„Ich weiß nicht, ob ich meinen Sohn zum Fußball bringen will, wenn er groß ist“ – sprach der extrem fußballaffine Stadionfreund und einstige „Allesfahrer“... „Ihr macht unser’n Sport kaputt“: Wenn der VAR-Check 4:42 Minuten dauert…


„Ich weiß nicht, ob ich meinen Sohn zum Fußball bringen will, wenn er groß ist“ – sprach der extrem fußballaffine Stadionfreund und einstige „Allesfahrer“ nach der 0:1-Heimniederlage Rapids gegen Salzburg. Der Sport habe sich in vielerlei Hinsicht verändert und sei in seiner Gesamtheit ein „Fegefeuer der Eitelkeiten“ geworden, wie er sagt. Ausgangspunkt der Plauderei, in der es sich auch um Investoren, Geldmacherei und die Abgründe des „modernen Fußballs“ drehte, war der vermeintliche Ausgleich Rapids durch Guido Burgstaller in der 70. Minute.

69:22 zeigte die Uhr an, als Rapids Torjäger Grülls Schuss zum 1:1 abstaubte. 74:04 stand auf der Uhr, als Schiedsrichter Altmann dem Treffer die Gültigkeit verweigerte. Vier Minuten und 42 Sekunden dauerte also der VAR-Check.

Während des Checks: Kopfschütteln auf der Tribüne. Ein anderer Stadionfreund ging sich erst mal erleichtern, war aber noch während des Checks zurück auf seinem Abo-Platz in der 28. Reihe. Der durchaus ekstatische Torjubel von 20.400 Zuschauern im Eiskasten Weststadion war bereits längst verhallt. Schon während des Jubels: Verhaltenheit. Viele Fans erahnten die Abseitsstellung bereits. Der Treffer würde mit hoher Wahrscheinlichkeit im Nachhinein aberkannt werden.

Dass es fast fünf Minuten dauern würde, erwartete man hingegen nicht – am Ende war man darüber aber auch nicht verwundert. Zu oft erwies sich das Schiedsrichter/VAR-Gespann in Österreich schon als haarsträubend unfähig. Während der Wartezeit stieg man einfach in den Live-Beitrag zum Spiel im Austrian Soccer Board ein und erfuhr schon vorab, dass Burgstaller tatsächlich im Abseits stand. Damit war eigentlich schon alles klar. Aber die ungeduldigen StadionbesucherInnen mussten eben noch auf die „kalibrierte Linie“, wohl eines der Fußball-Unwörter des Jahres, warten. Der „Block West“ skandiert: „Ihr macht unser’n Sport kaputt“.

Hierzulande fällt das neumodische Konzept im Vergleich zu größeren Fußballnationen deutlich ab. „Wir sind noch am Anfang, weit von der Perfektion entfernt. Der VAR und die Schiedsrichter müssen sich steigern, ganz klar“, betonte etwa ÖFB-Schiedsrichter-Chef Viktor Kassai. Der Ungar war einer der besten Schiedsrichter seiner Ära, seine Bestellung die richtige Entscheidung. Die heimischen Unparteiischen macht er allerdings um keinen Deut besser – die bleiben leider so schlecht. Definitiv kein neues Problem.

Die „Perfektion“, von der Kassai sprach, wird man aber auch nur mit einer Reform des Schiedsrichterwesens (im Kleinen) oder einer neuerlichen VAR-Reform (im Großen) erreichen. Profischiedsrichter auszubilden, würde Österreich zu einem internationalen Vorreiter machen, die Qualität steigern und auch enormen Druck von den Herren in Schwarz bzw. jenen im „VAR-Kammerl“ nehmen. Schiedsrichter sind auch nur Menschen und haben in ihren Brotberufen völlig normale, alltägliche Sorgen und Probleme, die sie womöglich auch am Wochenende auf den Platz mitnehmen – was sich dann da und dort in Unsicherheit niederschlägt.

Und so tüftelte der Videoassistent Alan Kijas, seines Zeichens Versicherungsmakler, mit dem einstigen Notfallsanitäter und jetzigem Rotes-Kreuz-Finanzer Walter Altmann am „Horcherl“ knapp fünf Minuten lang an einer Entscheidung, deren Ausgang im Austrian Soccer Board schon im Voraus zu lesen war, weil die Fans vor dem Fernseher einfach schauten, was das Programm klar offenbarte.

Der so genannte „VAR-Supervisor“ ist mit dem Tiroler Ex-Schiedsrichter (viele betiteln ihn fälschlicherweise als „Ex-Spitzenschiedsrichter“) Conrad Plautz, der wiederum sehr wahrscheinlich einer der analogsten Menschen des Landes ist und selbst erst dieses Jahr im Sky-Audiobeweis erklärte: „Wir wissen, der VAR wird nie perfekt funktionieren“.

Schon mal eher eine ernüchternde Einschätzung, die eine self-fulfilling prophecy mit sich bringt. Weiters führte Plautz aus: „Ich sehe das größte Problem darin, dass die Schiedsrichter vor dem Monitor nach wie vor schiedsrichterliches Denken haben. Das ist in manchen Situationen schlecht. Man muss wie ein Konsument darauf schauen und nicht als Schiedsrichter. Sonst versucht man den Kollegen zu unterstützen und die Entscheidung zu bestätigen. Das ist der falsche Weg.

Ja – sehr korrekt, das alles. Es wird nie funktionieren. Schon gar nicht, wenn der VAR-Supervisor von Haus aus die Möglichkeit der Perfektion ausschließt. Österreichisches Denken mit österreichischen Qualitätsmängeln als Ergebnis. Eine Idee, wie man die ganze Farce – zumindest bei Abseitsentscheidungen – erträglicher, schneller und genauer gestalten könnte: Lasst es doch einfach den Computer machen! Im Feld der Datenanalyse im Fußball sind bereits jetzt ausgezeichnete, KI-gestützte Systeme im Einsatz, die automatisiert und innerhalb von Sekunden die exakten Positionierungen von Spielern „sehen“ und auch passives Abseits richtig interpretieren können – Fehler ausgeschlossen. Ein sofortiges Signal ins Ohr des Schiedsrichters, als käme es vom Linienrichter – Aberkennen des Treffers noch bevor die Tormusik eingespielt wird – und weiter geht’s…

Es wäre auch tatsächlich nicht verwunderlich, wenn diese Adaptierung eine der nächsten wäre, die uns erwartet. Dabei handelt es sich jedoch um keine Entscheidung, die in Österreich gefällt wird, sondern auf der großen Bühne, mit Österreich als kleinem Abnehmer, sobald’s dann endlich soweit ist. Und bis dahin werden wir uns weiter ärgern und die Köpfe schütteln, wie stümperhaft man agieren kann. Einzig die Toilettenpausen, in denen man nichts versäumt, werden dann wieder schwieriger vorhersehbar sein.

Daniel Mandl Chefredakteur

Gründer von abseits.at und austriansoccerboard.at | Geboren 1984 in Wien | Liebt Fußball seit dem Kindesalter, lernte schon als "Gschropp" sämtliche Kicker und ihre Statistiken auswendig | Steht auf ausgefallene Reisen und lernt in seiner Freizeit neue Sprachen