Jeden Sonntag wollen wir in dieser Serie Spieler beleuchten, die ungewöhnliche Wege eingeschlagen haben. Wir möchten Geschichten von Sportlern erzählen, deren Karriere entweder im... Men to (re)watch (51) – Christoph Knasmüllner (KW 51)

Jeden Sonntag wollen wir in dieser Serie Spieler beleuchten, die ungewöhnliche Wege eingeschlagen haben. Wir möchten Geschichten von Sportlern erzählen, deren Karriere entweder im Konjunktiv stecken blieb, die sich zu einem gegebenen Zeitpunkt radikal verändert haben oder sonst außergewöhnlich waren und sind: Sei es, dass sie sich nach dem Fußball für ein völlig anderes Leben entschieden haben, schon während ihre Profizeit nicht dem gängigen Kickerklischee entsprachen oder aus unterschiedlichen Gründen ihr Potenzial nicht ausschöpften. Auf jeden Fall wollen wir über (Ex)-Fußballer reden, die es sich lohnt auf dem Radar zu haben oder diese (wieder) in den Fokus rücken. Wir analysieren die Umstände, stellen Fragen und regen zum Nachdenken an: Unser heutiger Protagonist galt erst als großes, dann als gescheitertes Talent. Heute schnürt er seine Schuhe für Rapid Wien…

„Knasi“ schrie, bekam den Ball knapp innerhalb des Strafraums, blickte auf und hob die Kugel ins Kreuzeck. In der Folge explodierte das Weststadion: Am Abend des 20. Juli 2021 hatte Knasmüllner ein Tor, wie es ein Rapidler nur selten schießt, erzielt. Ein Tor, wie es symbolisch für die frühen Tage des österreichischen Fußballs stehen könnte, als die Donaustrandkicker für ihre feinen Füße beliebt und begehrt waren. Zeitzeugen gibt es von dieser Prä‑Wunderteam-Epoche heute keine mehr, aktuell hat der Durchschnittsfußballkonsument nur mehr im Kopf, dass das rot-weiß-rote Nationalteam jahrzehntelang auf keiner Ebene des modernen Fußballs mithalten konnte. Kreativspieler und Supertechniker musste man hierzulande lange mit der Lupe suchen. Zu diesem Spielerschlag gehört jedoch Christoph Knasmüllner: Der heute 30-jährige ist der Inbegriff eines bequemen Talents. „Knasi“ ist mehr Künstler als Athlet und definitiv mehr Diva als Faktotum. An besagtem Sommerabend hatte der Mittelfeldspieler Rapid mit zwei Toren in eine aussichtsreiche Position für das Rückspiel gegen Sparta Prag in der CL-Quali geschossen, doch eine Woche später sollten die Grün-Weißen nach einem 0:2 auswärts blamabel ausscheiden. Knasmüllner wurde dabei wegen Magenproblemen erst in der 78. Spielminute eingewechselt. Sein Wundertor brachte unterm Strich nichts – wieder eine bildhafte Beschreibung für seine bisherige Karriere.

Auferstehung in Mödling

Er sei schon mit einem Bein im Fußballgrab gestanden, erinnerte sich der damalige Admira-Trainer Oliver Lederer im Mai 2016 in einer TV-Diskussion an den Karriere-Reset von Knasmüllner bei den Südstädtern. Im gleichen Atemzug postulierte Lederer, was – bis heute – nur wenige Menschen auszusprechen wagen: „Christoph ist richtig gescheitert – das muss man so sagen. Es wäre sich auch bei uns fast nicht mehr ausgegangen.“ Damals war der Spielmacher 24 Jahre alt und hatte schon eine bewegte Laufbahn mit hochklassigen Vereinsstationen hinter sich. Ausgerechnet bei der „grauen Maus“ der Liga sollte er aber – nachdem er sein Bein aus dem Fußballgrab gezogen hatte – endlich den Durchbruch schaffen und sogar in die englische Championship wechseln. 2018 ereilte ihn der Ruf Rapids, wo er bis heute unter Vertrag steht.

Dass er ein Grün-Weißer werden würde, hätte sich Knasmüllner als Bub wohl nicht erträumt, denn ab dem Zeitpunkt, an dem er beim FC Stadlau seine ersten Fußballschuhe zerrissen hatte, galt der Offensivkicker als Riesentalent und zukünftiger Spitzenspieler in den europäischen Topligen. Bis in die U 17 des rot-weiß-roten Nationalteams gab „Knasi“ den Ton an. Man attestierte ihm damals weit mehr Potential als dem gleichaltrigen David Alaba, den er im Austria-Nachwuchs kennenlernte und mit dem er auch die neugegründete Frank Stronach-Fußballakademie in Hollabrunn besuchte. Gemeinsam mit dem heutigen Real-Verteidiger wechselte „Knasi“ als Sechzehnjähriger ins Bayern‑Internat, wo er – im Gegensatz zu Alaba – aber an seiner Einstellung scheiterte.

Die herausragenden Talente sind mit Glacéhandschuhen angegriffen worden. Dann kommen sie in die richtige Welt und es scheppert.“, wusste der verstorbene Spieler, Trainer und Funktionär Helmut L. Kronjäger über den Austria‑Nachwuchs, dem Christoph schon als Zehnjähriger beigetreten war, zu berichten. Tatsächlich war Knasmüllner schon von Kindesbeinen mehr Lob und weniger Tadel gewohnt, sodass seine Perspektive schon als Jugendlicher verschwamm: Bei den jungen Bayern akzeptierte er in der Folge nur bedingt die Ansichten der Trainer und äußerte Unverständnis dafür in jeder Übung Vollgas zu geben. Hermann Gerland, der gemeinhin als Diamantenschleifer und Detektor für spätere Fußballmillionäre gilt, erinnerte sich an den launischen Mittelfeldmann: „Er spielte schon im ersten Jahr A-Jugend bei mir in der 3. Liga, verliert den Ball, läuft nicht hinterher: Da hab‘ ich ihn gleich ausgewechselt. Das passierte sechs- oder siebenmal.“ Gerland versuchte dem Spielmacher klarzumachen, dass er so kein Profispieler würde: Weder bei Bayern noch bei einem anderen Klub. Doch er stieß bei dem Wiener und seinem Umfeld auf taube Ohren. Die Ampel für eine erfolgreiche Fußballkarriere stand bereits auf gelb, doch anstatt die blinkenden Warnsignale zu erkennen, verkündete Knasmüllners Berater, dass Gerland nicht der richtige Trainer für seinen Schützling sei und forcierte einen Wechsel zu Inter Mailand. Der damals 18-jährige Fußballer hoffte, er würde nach kurzer Eingewöhnungszeit bei den Profis kicken.

Man muss kein großer Fußballexperte sein, um diese Vorstellung für schlicht realitätsfern zu erklären. Nach acht Einsätzen in der schwarz-blauen Primavera ging Knasmüllner 2011 zurück nach Deutschland, wo ihn sein Ex-Trainer Mehmet Scholl bei Ingolstadt empfohlen hatte. Die zweite Liga taugte für den Edelzangler, der körperliche Defizite mit sich herumschleppte, jedoch wenig. Ähnliche Erfahrungen sollte „Knasi“ später auch in Barnsley machen.

Arnies Zwilling

Als der damals 22-jährige seine Zelte wieder in Österreich aufschlug, gaben ihm nur Wenige Chancen einen echten U-Turn seiner Karriere zu bewerkstelligen: „Knasis“ Zeit schien vorbei, noch bevor sie richtig begonnen hatte. Talente, die ihr volles Potenzial nicht ausschöpfen, müssen in Österreich jedoch nicht den Kopf in den Sand stecken: Marko Arnautovic wird mittlerweile von Fans und Medien vergöttert, dabei ist er weit unter seinen Möglichkeiten geblieben. Und das will etwas heißen, denn der gebürtige Floridsdorfer kickte immerhin in der millionenschweren Premier League, ist aktuell bei Bologna nicht wegzudenken und außerdem österreichischer Rekordnationalspieler. Dass „Knasi“ irgendwie im bezahlten Sport bleiben konnte, war demnach zu erwarten. Zwar war der Mittelfeldspieler anfangs körperlich so am Sand, dass ihn die Niederösterreicher schon nach einem halben Jahr beim FAC parken wollten, „Knasi“ schaffte es aber den Wechsel zu vereiteln und seine (wohl) allerletzte Chance sich in die „starting eleven“ zu spielen, zu nutzen.

Ernst Baumeister, der den Mittelfeldregisseur noch aus jener Zeit, als dieser im Austria-Nachwuchs mit seinem eigenen Sohn zusammengespielt hatte, kannte, wusste, dass Knasmüllner die Aufgabe Admira unterschätzt hatte: „Er hat geglaubt, dass es so ‚im Vorbeigehen‘ gehen wird.“ Im typischen Fußballerjargon versicherte der junge Mann zwar immer, er gebe sein Bestes und seine Zeit werde kommen, dass er dafür aber etwas zu tun bereit war, was über „Spaßscheiberl‘n“ hinausging, strahlte er nur selten aus: In Trainingsspielchen glänzte „Knasi“, sobald es jedoch in einer Ligapartie um Alles ging, konnte er seine Stärken aber nicht ausspielen. „Er braucht einen Trainer, der weiß, wie man ihn behandelt, von dem er das Vertrauen spürt. Man muss ständig und viel mit ihm reden.“, erklärte Baumeister. Letztendlich machte es doch „klick“ und Knasmüllner sorgte als Admiraner immer wieder für geniale Momente. Im März 2016 machte er seinen ersten Doppelpack bei einem 4:0-Auswärtssieg über seinen späteren Arbeitgeber Rapid. Nachdem er zwölf Tore in achtzehn Spielen erzielt hatte, wechselte im Jänner 2018 zu Barnsley. Doch mit der körperbetonten Spielweise konnte der Regisseur seine Stärken erneut nicht ausspielen. Ein rascher Trainerwechsel, Disharmonie in der Mannschaft und viele Konkurrenten taten das Ihrige dazu. Im Sommer vor vier Jahren unterschrieb Knasmüllner daher bei Rapid und kickt seither im Wiener Westen, beim großen Rivalen seines Jugendklubs.

Wechselspieler

Eigentlich passen Knasmüllner und der SCR perfekt zusammen: Der Mittelfeldspieler ist die Kragenweite des österreichischen Rekordmeisters, denn, wenn Christoph sein Potenzial voll ausgeschöpft hätte, würde er bestimmt nicht für die Grün-Weißen auflaufen. In diese Kerbe schlägt auch Kollege Thorsten Schick, der behauptet „Knasi“ sei der beste Techniker, mit dem er je zusammengespielt hätte. In Hütteldorf hoffte man schon bei Vertragsabschluss aus dem sensiblen Feintechniker so viel wie möglich herauszukitzeln – im Wissen, dass es ein Vabanque-Spiel bleiben würde. So war es dann auch: Kurz nach seiner Verpflichtung zeigte man sich in Fankreisen über die „Scorer-Maschine“ noch mehr als glücklich, ehe eine lange Durststrecke folgte: Knasmüllners Kampf- und Laufbereitschaft wurden dauerhaft kritisiert. In entscheidenden Spielen ging er auf Tauchstation oder versemmelte hundertprozentige Chancen – ohne mit der Wimper zu zucken. Der damalige Rapid-Coach Djuricin brachte das folgendermaßen auf den Punkt: „Wenn ‚Knasi‘ den ersten Sitzer vergibt, weißt du, dass du ihn eigentlich auswechseln kannst.“ Halbherzige Zweikämpfe, keine Beteiligung am Pressing, Lustlosigkeit – erst im Sommer 2022 waren die Leistungen des Offensivkickers unterirdisch. In Feldhofers System betrieb er schlicht „Alibi-Pressing“. Doch nach dem Trainerwechsel spielte „Knasi“ plötzlich wieder groß auf. Ein Teufelskreis?

Unterm Strich kann man Christoph Knasmüllners Karriere mit einfachen Worten bilanzieren: „Was Hänschen nicht lernt, …“. Der Wiener schafft es nicht seine Leistungen auf Dauer konstant zu halten. Selbst seine Motivation fährt Schlitten: Einmal haut er sich voll ins Zeug, dann trabt er nur herum. Der Mittelfeldspieler passt irgendwo perfekt zur Rapid, denn Konstanz ist, was diesem Verein auf allen Ebenen und eben auch im Spielerbereich zu fehlen scheint. Immer wieder glaubte man, „Knasi“ habe es geschafft: Seine Zuckerpässe und Traumtore, wie den Außenristlupfer im Cupmatch gegen Hartberg, führte man auf seine Erdung als Ehemann und zweifacher Familienvater zurück. Die Presse nannte die Nummer 28 in solchen Momenten einen „gereiften Spielmacher“, doch nur wenige Wochen später wollte der kritische Rapidanhang den „Badkicker“ wieder am liebsten auf den Mond schießen.

Woran‘s liegt? Wohl daran, dass das überragende Talent harte Arbeit nie gewohnt war. Im internationalen Spitzenfußball war „Knasi“ – auch wenn das schwer zu glauben ist – nur ein Hochtalentierter von Vielen. Um dort zu reüssieren, braucht man viel mehr als nur Top-Anlagen, doch das verstand der Wiener nicht. Kronjäger richtete mahnende Worte an das Umfeld des Ex‑Bayern-Legionärs: „Er hätte Führung gebraucht.“ „Knasi“ und seine Leute waren zu naiv für die große Fußballwelt, in der auch ein Talent seiner Klasse schnell unter die Räder kommt. Bis heute verbreitet der Spieler die Mär, man habe ihm wohl vielfach „die Karriere zerstören wollen.“ Nein, die Karriere des Christoph K. war seinen Vorgesetzten nur egal, es wäre an ihm gelegen eine Mentalität à la Stefan Effenberg („Ich hab’s allen gezeigt“) an den Tag zu legen und nicht nur auf sein Talent zu vertrauen. So hätte er es wahrscheinlich bei der Austria, Bayern, Inter und Ingolstadt geschafft. Doch vorbei, ist vorbei. Aktuell kann man nur hoffen, dass der Supertechniker seinen Karriereherbst mit ansprechenden Leistungen und vielen spektakulären Toren ausklingen lassen wird. Drauf hat er es ja – wie es die Rapidfans am Abend des 20. Juli 2021 bejubeln konnten.

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag