Es war eines der besten, wenn nicht das beste Wiener Derby des letzten Jahrzehnts. Rapid und die Austria trennten sich nach einer packenden Partie... Taktikanalyse: Wildes Wiener Derby endet 3:3!

Es war eines der besten, wenn nicht das beste Wiener Derby des letzten Jahrzehnts. Rapid und die Austria trennten sich nach einer packenden Partie mit 3:3 und beide Teams müssen sich selbst einige Dinge vorwerfen, die sie besser hätten machen können. Die große abseits.at Derbyanalyse von Daniel Mandl (Rapid) und Dalibor Babic (Austria).

Austria entscheidet sich gegen die Derby-Erfolgsformel

Im Vorfeld der Partie haben wir die Frage thematisiert, für welches Spielsystem sich Trainer Michael Wimmer wohl entscheiden würde und dahingehend Überlegungen angestellt, ob man auf die Erfolgsformel vom letzten Derbysieg setzt – oder jene aus dem 3:3 in Salzburg.

Letzteres war dann der Fall und es wurde auf das 3-4-1-2 und die gleiche Startelf vertraut, in der einzig Polster den verletzten Leidner ersetzte. Scheinbar war das Trainerteam der Violetten der Meinung, dass man auch in dieser Struktur im Angriffspressing einen guten Zugriff gewährleistet und eine passende Balance zwischen Defensive und Offensive schafft.

Von Beginn an wirkte man dabei recht griffig und mit einem guten Plan ausgestattet, wobei man sich auch nicht von der Systemumstellung des Erzrivalen auf ein 4-3-3 aus dem Konzept bringen ließ. Gegen den Ball formierte man sich wie bereits in Salzburg zu einem 3-4-1-2 System, wobei diese 2-1-Anordnung an vorderster Front wieder das entscheidende Mittel sein sollte.

In der ersten Pressinglinie formierte man sich erneut zu einer „V-Anordnung“ in der Tabakovic und Gruber die beiden Innenverteidiger markierten, während Fitz sich dahinter um den tiefen „Sechser“ kümmerte. Die beiden Angreifer liefen dabei ihre Gegenspieler so an, dass sie nicht das Zentrum bespielen konnten, sondern nach außen gedrängt wurden. Tabakovic blieb dabei etwas enger an Querfeld dran, da von dem jungen Abwehrspieler in der Spieleröffnung eine größere Gefahr ausging, als von Routinier Sollbauer, der meist in die Breite spielt. Dahinter kümmerte sich Fitz um den Sechser und wurde von Fischer und Braunöder abgesichert, die sich an den gegnerischen Achtern orientierten. Das kann man am folgenden Bild gut erkennen:

Rapid im Ballbesitz und im Aufbauspiel. Hier erkennt man die „V-Formation“ an vorderster Front, die Tabakovic, Gruber und Fitz bilden und auch, dass die Austrianer eine klare mannorientierte Zuteilung für ihre Gegenspieler im Pressing haben.

Der Pass auf die Außenverteidiger war der Pressingauslöser der Austrianer und man schob mit der gesamten Mannschaft nach vorne, um Rapid unter Druck zu setzen. Vor allem die Flügelverteidiger schossen im Sprint auf ihre Gegenspieler und stellten sie, um ein Vorwärtskommen zu blockieren (im oberen Bild erkennt man gut den ansprintenden Ranftl). Ziel war es hier ganz klar, den Erzrivalen auf die Flügel zu leiten und nicht durch das Zentrum zu lassen, um hier entweder Ballgewinne oder zumindest lange Bälle zu provozieren. Das gelang auch gut und von Anfang an würgte man damit de facto das Aufbauspiel der Hütteldorfer ab.

Selbst unter Einbeziehung des Torhüters und der daraus resultierenden Überzahl, gelang es Rapid nicht, spielerisch an der ersten Pressinglinie der Violetten vorbeizukommen. Nach einigen Pässen, folgte meist schnell der lange Ball – und in weiterer Folge dann das Duell um den ersten und zweiten Ball. Die Grün-weißen wollten hier offensichtlich nicht ins Pressing der Austria laufen und sich mehr auf das physische Spiel konzentrieren, um so ins Spiel zu gelangen, was auch die Aufstellung im zentralen Mittelfeld unterstreicht. Die Gäste aus Wien-Favoriten bekamen diese langen Bälle jedoch gut verteidigt und spielten nicht nur ihre Kopfballstärke in der Verteidigung aus, sondern eroberten auch viele zweite Bälle.

Violettes Ballbesitzspiel gewinnt dank taktischem Kniff an Stahlkraft

Dadurch kamen die Austrianer früh zu mehr Ballbesitz im Spiel und fanden rasch in ihren Rhythmus. Immer wieder zeigte man sich hier schnörkellos im Spiel nach vorne und konnte eine ordentliche Dynamik und Wucht entfalten, um ins letzte Drittel zu gelangen. Bereits in den ersten zehn Minuten hatte man drei Abschlüsse und klopfte damit erstmals beim Gegner an. Dann folgte jedoch ein Schockmoment, der drohte, diesen guten Start zu torpedieren.

Nach einem Einwurf waren die Violetten nicht fokussiert und verabsäumten es Rapids Auer zu stellen, der eine tolle Flanke auf Burgstaller schlug, der wiederum das Missverständnis zwischen Martins und Mühl zum 1:0 ausnutzte. Das war natürlich eine bittere Pille für die Favoritner und zeichnete sich im Vorfeld auch nicht wirklich ab. Daher durfte man gespannt sein, wie nun die Reaktion aussehen würde.

Die Austria ließ sich davon jedoch nicht davon beirren und man zog das eigene Spiel weiter durch. Im Pressing war man nach wie vor griffig, jedoch verlagerte sich der Fokus mehr auf das Ballbesitzspiel, da es nun in Rückstand galt, Lösungen zu finden, um die Defensive von Rapid zu knacken. Die Gastgeber versuchten ebenfalls immer wieder mit ihrem 4-3-3 vorne hoch anzulaufen und die drei Angreifer bildeten auf einer Höhe die erste Pressinglinie, um die drei Innenverteidiger der Violetten zu stellen. Dahinter tat sich jedoch ein Problem für die Grün-Weißen auf, das mit Fortdauer des Spiels von den Austrianern gezielt bespielt wurde. Die drei zentralen Mittelfeldspieler der Hütteldorfer sollten sich nämlich um ihre Pendants Fischer, Braunöder und Fitz kümmern. Dadurch stellte sich nun aber die Frage: Wer kümmert sich um Flügelverteidiger Ranftl?

Auf den ersten Blick wirkt dieses Problem recht banal, doch strategisch hatte es große Auswirkungen. Normalerweise wäre die Antwort recht einfach und würde Linksverteidiger Auer heißen, doch die Austria baute hier eine Zwickmühle auf. Sofern nämlich Auer aus seiner Position herausrückte, hinterließ er hinter sich natürlich viel Raum und verließ damit die Abwehr. Dadurch hatten die beiden Stürmer der Austria allerdings ein Eins-gegen-Eins gegen die beiden Innenverteidiger und diese keinerlei Absicherung, was speziell gegen einen starken Zielspieler wie Tabakovic sehr gefährlich ist. Wenn also Auer herausrückte, spielten die „Veilchen“ immer wieder lange Bälle und attackierten den Rückraum – mit Erfolg.

Blieb Auer jedoch in der Abwehr und sicherte diese zusätzlich ab, stand dadurch Ranftl wiederum frei und war anspielbereit, um mit dem Ball nach vorne zu stoßen. Dass dies von der Austria so gewollt war, erkannte man auch daran, dass entweder Gruber oder Fitz auf die rechte Seite auswichen und Auer binden sollten, damit dieser nicht nach vorne rückte. Den beschriebenen Sachverhalt kann man am nächsten Bild recht gut erkennen:

Die Austria im Spielaufbau. Die drei Stürmer des Gegners orientieren sich an den Innenverteidigern, das Zentrum ans Zentrum und Auer wird davon abgehalten, auf Ranftl herauszurücken, wodurch dieser völlig frei steht und an den Ball kommt, um ihn nach vorne zu tragen.

Dadurch verwundert es auch nicht, dass Ranftl nach dem Spiel mit 88 Ballaktionen mit Abstand die meisten auf dem Feld hatte. Der Ursprung lag in ebendiesem strategischen Vorteil, den man kreierte. Rapid versuchte mit Fortdauer entgegen zu steuern, nur stopfte man ein Loch, während sich auf einer anderen Stelle wieder eines auftat. Rückte etwa „Achter“ Oswald auf Ranftl heraus, stand wiederum Braunöder frei und konnte durch den rechten Halbraum nach vorne stoßen. Mit diesem strategischen Vorteil – in unterschiedlichen Variationen – kam die Austria konstant recht flüssig in die gegnerische Hälfte und entzog sich dem Zugriff Rapids.

In dieser Szene rückt Auer aus seiner Position, die Innenverteidigung von Rapid muss Mann gegen Mann verteidigen und Braunöder spielt einen tollen langen Ball auf Gruber, der nur durch ein Foul von Sollbauer an der Strafraumgrenze gestoppt werden kann.

Nach und nach arbeitete man sich damit eine klare Überlegenheit und es dauerte auch nicht lange, ehe man daraus Kapital schlug. Nach einem Ballverlust ging man ins Gegenpressing und gleich drei (!) Austrianer bekämpften Grüll und holten sich den Ball, ehe Fitz mit einem tollen Zuspiel Gruber bediente und dieser das 1:1 erzielte. Der Torjubel der Violetten war kaum verhallt, schon setzte man das nächste Ausrufezeichen. Nach einem Angriff über mehrere Stationen, legte Gruber eine Braunöder-Flanke auf Tabakovic ab, der trocken ins Eck zum 2:1 vollendete. Die „Veilchen“ drehten also das Spiel in wenigen Minuten und es schien, als wäre man auf Kurs und hätte alles unter Kontrolle. Man spielte weiter mutig nach vorne und das 3:1 lag eigentlich in der Luft.

Doch das sollte zu einer falschen Sicherheit führen und man wurde etwas passiv, was Rapid sofort bestrafte. Ein Abpraller fiel dem nachrückenden Kerschbaum vor die Füße der den Ball wunderbar ins lange Eck zum 2:2 legte. Doch das sollte nicht der Schlusspunkt im ersten Durchgang sein. Nach dem Anstoß rückte Auer diesmal auf Ranftl heraus und öffnete den Raum hinter sich (am letzten Bild zu sehen), Braunöder spielte einen langen Ball in diese Region auf Gruber, der den Laufweg des Verteidigers kreuzte und zu Fall gebracht wurde. Der „VAR“ korrigierte allerdings die zunächst getroffene Elfmeter-Entscheidung und wandelte sie richtigerweise auf einen Freistoß um. Diesen setzte Fitz an die Außenstange, womit es auch mit dem 2:2 in die Halbzeitpause ging.

Platzverweis für den Gegner bringt Austrianer aus dem Rhythmus

Die Austria konnte mit ihrem ersten Durchgang sicherlich zufrieden sein, auch wenn das Ergebnis nicht die Überlegenheit widerspiegelte. Nach dem Wiederanpfiff dauerte es in dieser abwechslungsreichen Begegnung auch nicht lange bis zum nächsten Höhepunkt – diesmal jedoch in negativer Hinsicht. Rapid-Verteidiger Denso Kasius wurde nach einem groben Foulspiel des Feldes verwiesen und somit musste Rapid fast die gesamte zweite Spielhälfte in Unterzahl spielen. Nachdem die Hütteldorfer bereits Elf gegen Elf mit Problemen zu kämpfen hatten, schien es nun logisch, dass die Gäste noch leichteres Spiel haben würden.

Doch im Gegenteil, Rapid stabilisierte sich dadurch und behob die Zuordnungsprobleme in der Defensive mit der Umstellung auf ein 4-2-3, wodurch die Austria auf der rechten Seite nicht mehr so einfach nach vorne kam und mehr Gegenwehr spürte. Darüber hinaus legte man sich selbst ein Ei ins Nest, indem man immer wieder zu hektisch agierte und in einigen Situationen die Ruhe am Ball vermissen ließ. Statt den in Unterzahl befindlichen Gegner laufen zu lassen, verlor man die Bälle nun wesentlich schneller und zeigte sich im Ballbesitz auch viel zu ungeduldig. Zu oft wurden auch die komplizierten Lösungen gesucht, statt einen Schritt zurückzuweichen und beispielsweise die Seite zu wechseln, um dann vielleicht zwei Schritte nach vorne zu machen.

So verlor die Austria trotz der Überzahl ihren Rhythmus und wirkte nicht mehr so selbstsicher wie noch zuvor. Das bestärkte Rapid in ihren Bemühungen und es gelang sogar öfter, das Pressing der Violetten auszuhebeln, was im ersten Durchgang kaum zu sehen war. Auch die Restverteidigung der Gäste wirkte wackelig und man hatte vor allem mit dem Duo Burgstaller/Grüll Probleme und musste einige brenzlige Situationen überstehen.

Beide Teams fanden ihre Möglichkeiten vor, konnten diese jedoch nicht verwerten. In der Schlussphase versuchte Austria-Trainer Wimmer mit einem Doppelwechsel für frischen Schwung und einen dringend benötigten Impuls zu sorgen. Dieser kam dann auch und nach einem schönen Angriff auf der rechten Seite, brach Torjäger Tabakovic durch und erzielte das 3:2 für die Violetten.

Wer nun dachte, das wäre der Schlusspunkt in diesem Spiel, der sollte sich irren. Bereits kurz nach Wiederanpfiff verursachte der unkonzentrierte Polster beinahe einen Elfmeter, der nach dem „VAR-Check“ zu einem Freistoß revidiert wurde. Einige Minuten später sollten die Austrianer sich erneut nach einem Einwurf schlecht verhalten und ein unnötiges Foul verursachen. Das bestrafte Rapid auch prompt und Rapids Linksaußen Marco Grüll erzielte mit einem schönen Freistoß das 3:3. Kurz danach musste auch noch Torjäger Tabakovic mit seiner zweiten Verwarnung vom Feld, womit wieder Gleichzahl herrschte. Auch die letzten Minuten dieser Begegnung blieben ereignisreich, es sollte jedoch letztlich beim 3:3 bleiben.

Rapids völlig unterschiedliche Halbzeiten

Für die Gastgeber aus Wien-Hütteldorf verlief die Partie reichlich kurios. Die Austria hätte bereits in der ersten Halbzeit – trotz frühen Rückstandes – die Partie in eine deutlichere Richtung lenken können. Rapid war mit dem 2:2 zur Pause gut bedient und spielte eine der schwächeren Halbzeiten der bisherigen Saison – allerdings präsentierten sich die Hausherren ausgesprochen effizient. Doch der Reihe nach.

Zoran Barisic entschied sich im Vergleich zu den Veränderungen, die ein gutes Heimspiel gegen Austria Klagenfurt ermöglichten, im Derby zu einem „Mittelding“. Moritz Oswald blieb als „Achter“ in der Startelf, aber etwas unerwartet rutschte auch wieder Michael Sollbauer anstelle von Martin Moormann in die Viererkette.

Dies kam auch deshalb unerwartet, weil Sollbauers Aufbauprobleme ebenso bekannt sind, wie die dynamische, mannorientierte Pressingausrichtung der Austria – zwei Dinge, die nicht kompatibel sind. Gleichzeitig erkannte man aber auch an den Körperhaltungen im grün-weißen Aufbauspiel, dass man die häufigen Verlagerungen auf die Außenverteidiger vermeiden wollte, um den Pressingauslöser der Austria nicht zu aktivieren.

Eine in dieser Partie gerne gebräuchliche Variante war deshalb der Rückpass auf Torhüter Niklas Hedl, der deutlich häufiger gespielt wurde als in den Spielen zuvor und als Ziel hatte, die Pressingformation der Austria „langzuziehen“ und die Veilchen leere Wege laufen zu lassen. Das machte das offensive Verteidigen für die Austria sehr kraft- und laufaufwendig, aber für das eigene Aufbauspiel brachte es nicht sonderlich viel. Das Problem Rapids war zunächst erneut, dass man spielerisch nicht durch die Linien kam, was wiederum mehrere Gründe hatte.

Mittelfeldzentrum der Austria mit deutlich mehr Qualität

Das wohl auffälligste Problem: Das Mittelfeldzentrum der Austria mit Fischer, Braunöder und Fitz ist qualitativ schlichtweg über das Rapid-Mittelfeld mit Pejic, Kerschbaum und Oswald zu stellen. Hinzu kommt, dass die Austria gerade in diesem Positionskomplex genau weiß, was sie erreichen will, während Rapid die Balance fehlt. Weiterhin sind Pressingbemühungen bei Rapid eher eine individuelle, phasenweise auch gruppentaktische Angelegenheit, aber fast nie ein mannschaftlich geschlossener, konzeptioneller Aspekt.

Rapids Top-Mann Guido Burgstaller dirigiert zwar seine unmittelbare Umgebung gut und hat ein ausgezeichnetes Gefühl für Raum und Zeit, aber speziell die Spieler, die der Kapitän im Pressing nicht in seinem unmittelbaren Blickfeld hat, schalten viel zu langsam und schieben nur sehr zögerlich nach, weshalb die Austria nach dem Überspielen der ersten Pressinglinie kaum Gegnerdruck vorfindet.

Das ist bei Rapid ein systematisches Problem gegen den Ball, weil Zoran Barisic nicht als Trainer gilt, dem ein mannschaftlich geschlossenes Pressing besonders wichtig ist. Es geht viel mehr um Kompaktheit, gemeinsames und vor allem sehr klassisches Verteidigen im Block und schließlich Umschaltmomente und – wenn es ermöglicht wird – Spielkontrolle.

Aber auch mit dem Ball hatte Rapid in der ersten Halbzeit massive Probleme und konnte praktisch nie andauernde Ballbesitzphasen aufbauen. Das zentrale Mittelfeld war sowohl im Kopf, als auch physisch zu langsam, in Einzelaktionen zu hastig und nervös – falsche Entscheidungen im Spiel mit dem Ball waren somit praktisch unvermeidlich. Auch weil die Austria schlichtweg einen konzeptuellen Vorteil hatte und jeder Spieler gegen den Ball genau weiß, was er zu tun hat. Obwohl es fast kurioserweise mit 2:2 in die Pause ging, obwohl die xG-Werte zum Halbzeitpfiff mit 0.48 : 1.29 recht klar für die Austria sprachen, kann man davon sprechen, dass Wimmers Matchplan weitgehend aufging.

Rapid zeigte sich aber effektiv und erzielte zweimal praktisch aus dem Nichts schöne Treffer. Spielerisch konnte man der Austria aber in der ersten Halbzeit so gut wie gar nichts entgegensetzen. Ausgerechnet eine Verletzungsunterbrechung nach einem harten Einsieg von Marvin Martins gegen Oliver Strunz beim Stand von 1:0 brachte Rapid aus dem Tritt. Es war die einzige Phase in der ersten Halbzeit, in der man nahe an so etwas wie Spielkontrolle war.

„Kampf Mann gegen Mann“

Wäre die Austria in der zweiten Halbzeit ähnlich aufgetreten, wie in der ersten, hätten Wimmer und seine Spieler wohl einen Auswärtssieg feiern dürfen. Nach der schnellen roten Karte für Denso Kasius zu Beginn der zweiten Halbzeit, mit der er seiner Mannschaft einen Bärendienst erwies, schien es angesichts des Gesehenen in der ersten Halbzeit nur wie eine Frage der Zeit, bis die Austria das Derby doch noch auf ihre Seite holen kann.

Aber es kam anders und Rapid ging „im Chaos“ regelrecht auf. In Unterzahl war klar, dass es nun primär um einen guten Fight geht. Das Pressing wurde ebenso vorsichtiger wie der Spielaufbau, die Antizipationsbewegungen der offensivsten Spieler zum Zentrum hin, wurden häufiger. Jeder musste für den anderen laufen – und das gelang mit Fortdauer des Spiels immer besser, auch weil Rapid sah, dass die Austria nach und nach verkopft reagierte, weil der Charakter des Spiels kaum in ihre Richtung kippte.

Rapid fühlte sich in diesem Chaos aber wohl und nahm den Kampf an. Das Spiel wurde nach und nach ruppiger, aber die Hütteldorfer mussten der Unterlegenheit körperlich kaum Tribut zollen, sondern hatten offenbar eher Freude daran, dass die Austria sie nun eher „spürte“. Man ging konsequenter in die Schnittzweikämpfe und zerhackte damit auch das Spiel ein wenig. Es hatte nun mehr den Anschein, dass das Derby eine Aneinanderreihung von Einzelaktionen, als das Durchziehen eines zusammenhängenden Spielkonzepts war.

Rapid befreite sich in Unterzahl sozusagen aus den üblichen taktischen Konventionen, die man von einer Heimmannschaft erwartet und vereinfachte das eigene Spiel, das ohnehin schon recht einfach aufgebaut ist, noch weiter. Dadurch wurden die Hütteldorfer unerwarteterweise schwieriger zu bespielen und die Austria wurde allmählich ungeduldig und fehleranfällig.

Kuriose Schlussphase

Haris Tabakovic hatte nach 78 Minuten dann doch noch etwas dagegen und sorgte sehr entschlossen für das 3:2 der Veilchen. Aber auch was danach kam, war als reichlich kurios zu bezeichnen. Rapid baute das Spiel nach dem folgenden Anstoß nicht über den Sechserraum oder die Innenverteidiger auf, sondern schickte sofort Thorsten Schick auf die Reise, der auch tatsächlich mit der zweiten Ballberührung nach dem Anstoß (!) in den Strafraum kam und einen Elfmeter herausholte, der später vom VAR auf einen Freistoß revidiert wurde.

Alleine diese Aktion zeigte aber, dass Rapid jetzt die spielerische Sauberkeit, nach der man normalerweise trachtet, vollkommen über den Haufen werfen würde. Es kam demnach nicht von ungefähr, dass die Grün-Weißen nach dem Treffer zum 2:3 noch zu ihren Chancen kamen. Die Kombination aus Grülls Ausgleich und dem Ausschluss von Tabakovic, sorgte schließlich sogar dafür, dass Rapid Oberwasser bekam. Austria-Trainer Wimmer setzte schließlich auch Signale, die seiner Mannschaft in der absoluten Schlussphase womöglich nicht gut taten, wie etwa die Einwechslung von James Holland statt Dominik Fitz. Rapid wurde damit quasi suggeriert, dass jetzt noch etwas gehen könnte.

Und tatsächlich hätte das Derby in der Nachspielzeit noch zu einem unvergesslichen Feiertag für Rapid werden können – nämlich dann, wenn Thorsten Schick nach Burgstallers hartem Zweikampf mit Austria-Schlussmann Früchtl, das „Empty Net Goal“ versucht und möglicherweise sogar trifft. Gleichzeitig wurde aber auch in derselben Szene ein möglicher Elfmeter für die Austria überprüft. Bis zum Schlusspfiff hätte also noch alles passieren können.

Hätte Rapid zu elft ähnlich gespielt?

Ein weiteres Kuriosum ist die Mutmaßung, dass Rapid die zweite Hälfte mit elf Mann wohl nicht derart stark abgespult hätte. In der Grundformation wären die Aufbauprobleme unweigerlich fortgesetzt worden und auch das mentale Momentum wäre wohl ein anderes gewesen. Der Ausschluss schien demnach fast schon Vorteile für Rapid gehabt zu haben.

Der Grund dafür: Rapid ist taktisch betrachtet wohl die „beständigste“ Mannschaft der Liga. Es kommt nur sehr selten vor, dass Rapid „anders“ spielt. Für gewöhnlich weiß man stets, was man taktisch von Rapid erwarten darf. Nach der roten Karte für Kasius änderte sich das allerdings und Rapid wurde „wilder“ und verlagerte sich auf Aktionen, in denen man zocken konnte. Man suchte praktisch unangenehme Schnittbälle, hohe Direktheit im Angriffsspiel und gab zudem klarerweise auch den Ball her und überließ die Ideenfindung aus dem Spiel heraus dem Gegner.

Allesamt Aspekte, die Rapid bei Gleichzahl nicht umgesetzt hätte. Das Handicap der numerischen Unterlegenheit machte die Barisic-Elf auf eine seltsame Art und Weise flexibler – was allerdings auch dafür spricht, dass die sonstige Herangehensweise im 11-gegen-11 zumindest zu hinterfragen ist, wie auch die schwache erste Halbzeit bewies.

Fazit

Es war letztlich erneut ein guter Austria-Auftritt im großen Wiener Derby, die sich diesmal jedoch nicht belohnen konnte. Obwohl man statistisch in nahezu allen Kategorien die Oberhand behielt, speziell im ersten Durchgang klar überlegen war und hier den beschriebenen strategischen Vorteil gekonnt ausnutze, muss man sich nun mit einem Remis begnügen. Der Hauptgrund dafür war, dass man vom Platzverweis des Erzrivalen überhaupt nicht profitierte und sich an die veränderten Umstände nicht anpassen konnte. Hier fehlte es an der nötigen Ruhe und Cleverness im Ballbesitzspiel, wo es mehr Kontrolle benötigt hätte, statt auf Teufel komm raus nach vorne zu kommen und jeden Pass nach vorne spielen zu wollen.

Dennoch ging man in Führung und der Sieg lag eigentlich auf dem Silbertablett, ehe erneut fehlende Kaltschnäuzigkeit zu einem schlechten Defensivverhalten führten und man das 3:3 kassierte. Damit steht man nach drei Runden aufgrund später Gegentreffer statt mit neun, nur mit drei Zählern da und der erhoffte dritte Tabellenplatz rückt in immer weitere Ferne.

Rapid hingegen darf mit dem Remis zufrieden sein. Natürlich war der erste Derbyheimsieg seit sieben Jahren das klare Ziel, aber der Spielverlauf und vor allem der heiße Kampf, den man dem Erzrivalen bot, sollten gut für die grün-weiße Moral sein. Nichts desto trotz war es ein teurer Punkt: Leopold Querfeld musste verletzt runter, Denso Kasius mit Rot und zudem sahen Guido Burgstaller und Thorsten Schick jeweils ihre fünfte gelbe Karte. Das Auswärtsspiel beim LASK am kommenden Sonntag wird somit zu einer ausgesprochen schwierigen Aufgabe, aber im Vordergrund sollte dennoch die große Mentalitätsleistung der zweiten Halbzeit stehen, auf der Rapid definitiv aufbauen kann.

Ebenso wichtig wird es aber auch sein, die richtigen Schlüsse aus den beiden Halbzeiten zu ziehen – einerseits, was das systematische und mannschaftlich geschlossene Pressing und die bereits zig-mal beschriebenen Aufbauprobleme betrifft, andererseits aber auch, vor welche Probleme man den Gegner durch unvorhersehbare Veränderungen stellte. Vielleicht ist „das eigene Spiel durchziehen“ für Rapid 2023 gar nicht die erfolgsversprechendste Option, denn die Adaptierung an eine unangenehme Situation und auch an die numerische Überlegenheit des Gegners, machte Rapid ausgesprochen giftig und riss auch das Publikum mit…

Dalibor Babic & Daniel Mandl, abseits.at

Dalibor Babic

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