Gernot Fraydl verbringt seine Tage schon seit einigen Jahrzehnten dort, wo sich einst Kapuzinermönche ihre kargen Zellen teilten. Der ehemalige Torhüter begann 1973 das... Anekdote zum Sonntag (181) – Ihr Blatt, Herr Walter!

Gernot Fraydl verbringt seine Tage schon seit einigen Jahrzehnten dort, wo sich einst Kapuzinermönche ihre kargen Zellen teilten. Der ehemalige Torhüter begann 1973 das „Heilmoorbad Schwanberg“ im Bezirk Deutschlandsberg, das sich in einem umgebauten Kloster befindet, zu leiten. Mittlerweile ist Fraydl Seniorchef, das Tagesgeschäft verrichtet sein Sohn, Gernot junior. Die Kuranstalt ist ein echter Familienbetrieb, der vom Vater des Ex-Keepers, Gustav, einem Steuerberater, gegründet wurde. Sohn (und Enkel) Gernot junior war in den 2000ern als Model auf internationalen Laufstegen unterwegs und wirkte außerdem in Filmproduktionen mit, ehe er in die beschauliche Steiermark zurückkehrte: Die Fraydls sind eine erfolgreiche Familie. 

Heute erkennen nur noch wenige Kurgäste Gernot Fraydl, obwohl dieser einst Nachfolger von Kurt Schmied war und ab 1961 zum „zweiten Wunderteam“ rund um ÖFB-Teamchef Karl Decker gehörte. Die „Spinne“, wie man Fraydl nannte, war für ihre Strafraumbeherrschung bekannt und weckte so Mitte der 60er-Jahre das Interesse von Arsenal London. Doch eine fehlende Arbeitsbewilligung verhinderte den Sensationstransfer und der Spieler siedelte stattdessen in die USA über, wo er zwei Jahre lang seine Schuhe in Philadelphia und St. Louis schnürte. 1968 beehrte Goalie Gernot schließlich Hertha BSC, bis es für ihn über 1860 München zum First Vienna FC ging. Dort beendete Fraydl vier Jahre später seine Karriere und begann später als Trainer zu arbeiten. Als Coach feierte der Ex‑Legionär seinen größten Erfolg, als Sturm Graz im Viertelfinale des UEFA-Cups 1984 unglücklich gegen Nottingham Forest ausschieden. 1989 ging Fraydl kurz vor seinem fünfzigsten Geburtstag als Wolfsberg-Trainer in Pension.

Begonnen hat die Torwartkarriere des Ausnahmespielers jedoch beim beschaulichen SC Deutschlandsberg, wo das Talent schon mit 15 Jahren in der Kampfmannschaft spielte. Der 1939 in Graz Geborene erinnert sich an seine ersten Matches: „Als ich zu spielen angefangen habe, hat man als Tormann noch überhaupt keine Handschuhe getragen. Später bekam ich dann jene, die feine Noppen hatten. Jedoch waren diese Noppen nach einem Spiel weg – abgenutzt.“ Von Deutschlandsberg ging Fraydl anschließend für vier Jahre zum GAK bis ihn Karl Schlechta 1961 zur Austria holte. Dort feierte der 27-fache Nationalspieler seine größten Erfolge, als er mit den Veilchen zwei Double-Siege ensuite einheimste.

Schlechta galt als Nachwuchsförderer; später – als Trainer von Sturm – sollte er Jungspunden wie Heribert Weber oder Manfred Steiner den Weg ins Nationalteam ebnen. Der gebürtige Wiener war aber auch ein echter Disziplinfanatiker und verbrachte seine freien Abende damit seinen Kickern nachzuspionieren. Für Schlechta war ausreichend Schlaf und eine sinnvolle Abendgestaltung der Schlüssel zu sportlichem Erfolg. Stichprobenartig überprüfte er daher die Austrianer. Der lebenslustige Fraydl, der zu Beginn seines Engagements bei den Wienern erst 20 Lenze zählte und bei den Fans bald beliebt war, geriet früh ins Blickfeld des Moralapostels auf der Trainerbank. Schlechta stellte seinem talentierten Schlussmann rasch die Rute ins Fenster: Fraydl sollte sich ja vorsehen, denn regelmäßige Beislrunden könnten seine hoffnungsvolle Karriere im Keim ersticken, warnte er den Ex-GAK-Spieler.

Er verabredete mit ihm ein Zeichen: Bei Kontrollfahrten mit seinem Privat-PKW würde er vor Fraydls Wiener Wohnhaus in einer bestimmten Folge hupen. Dann sollte der Tormann zum Zeichen seiner Anwesenheit ein Stückchen Koks aus dem Fenster auf den Trottoir werfen. Ein witziges Schauspiel, das heute unvorstellbar wäre: Schließlich hat nicht nur die Zentralheizung längst den Koksofen beerbt, ein verabredetes „Hupkonzert“ in einer belebten Gasse der Hauptstadt hätte gegenwärtig auch andere Folgen. Ganz abgesehen davon, dass die aktuellen Bundesligatrainer nun Besseres zu tun haben, als zu überprüfen, welcher ihrer Spieler gerade eine „Nachtschicht“ einlegt. Peter Pacult sagte dazu als Rapid-Trainer einmal: „Ich bin nicht der Pfarrer von Hütteldorf!“.

Damals jedoch blieb Gernot Fraydl nichts Anderes übrig, als bei dem Spielchen mitzumachen. Anfangs funktionierte es und Fraydl hielt sich an das Ausgehverbot seines Trainers: Wenn er Schlechtas Signaltonfolge hörte, tat er, wie ihm geheißen und warf vorsichtig etwas Koks aus dem Fenster. Irgendwann wog sich der Steirer jedoch in Sicherheit und beschloss eines Abends – in der Hoffnung nicht erwischt zu werden – auf den Zapfenstreich zu pfeifen. Doch der Jung-Tormann sollte Pech haben: In seiner Abwesenheit kam Schlechta vorbei, parkte vor seinem Wohnhaus und hupte: Nichts passierte. Es nutzte auch nichts, dass der Austria-Trainer in der Folge eine kakophone Sirenen-Orgie veranstaltete: Fraydl war schließlich abwesend. Nun wurde der FAK-Trainer zornig: Er beschloss dieses Fehlverhalten sofort Klubboss Joschi Walter zu melden.

Der „Mister Austria“ befand sich an diesem Abend bei seiner wöchentlichen Kartenrunde im Café Savoy an der Linken Wienzeile. Dorthin fuhr Schlechta, um sich beim Chef zu beschweren. Der Fußballcoach parkte sein Auto beim Naschmarkt, eilte ins Savoy und marschierte dort schnurstracks auf die Galerie, wo die Herrenrunde um Walter zu tarockieren pflegte. Doch kaum hatte Schlechta die letzte Treppenstufe erklommen, sollte er entsetzt zurückprallen: Wen erblickte er neben Walter und den übrigen Kartentipplern? Gernot Fraydl! Der Gesuchte saß seelenruhig vor einem Glaserl Wein und schickte sich gerade an zu geben: „Ihr Blatt, Herr Walter!“ Schlechta verlor beinahe die Fassung, der Austria-Boss überriss die Sachlage dagegen in Sekundenschnelle und begann den Empörten zu spielen: „Gernot, solltest du nicht heimfahren?“ Fraydl wusste nicht, was er tun sollte und blieb schmähstad. Doch auch dem Disziplinwächter war die Situation mehr als unangenehm: Um sein Gesicht nicht zu verlieren, brummte Schlechta seinem Elfmeterkiller noch im Kaffeehaus eine 2.000 Schilling-Geldstrafe auf. Fraydl nickte stumm. Schlechta sprachs und rauschte wieder ab. Nachdem er sich aus dem Staub gemacht hatte, grinsten die anwesenden Herren und zogen den auf frischer Tat ertappten Fraydl auf.

Beim nächsten Austria-Training zahlte der Tormann anstandslos die Buße in die Mannschaftskassa ein. Doch es war nicht die Geldstrafe, die Fraydl schmerzte: Die Begegnung mit Trainer Schlechta hatte sich als peinliches Erlebnis in sein Gedächtnis gebrannt, weshalb er in den kommenden Wochen auf Abendausflüge verzichtete. Ob es sich lohnte? Jedenfalls sollte die Austria im Frühsommer sowohl Teller als auch Pokal holen. Der Erfolg gibt einem Trainer schließlich immer Recht, oder?

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag