Das ultimative Erfolgsrezept zu finden, davon träumt jeder Mensch, der es in seinem Job einmal weit bringen will. Aber gibt es solche Patentlösungen überhaupt?... Anekdote zum Sonntag (200) – General Gress‘ Feldküche

Das ultimative Erfolgsrezept zu finden, davon träumt jeder Mensch, der es in seinem Job einmal weit bringen will. Aber gibt es solche Patentlösungen überhaupt? Popstar Falco sagte einmal sinngemäß, er habe noch keine Methode gefunden einen Welthit zu schreiben, aber wenn er sie hätte, würde er sie zumindest verkaufen. Später erwähnte er, dass er als Künstler eine Analyse von System und Wirkung einem Musenkuss vorziehe. Der Modeschöpfer Karl Lagerfeld stellte preußisch-diszipliniert klar, dass 90 Prozent seiner Arbeit in den Papierkorb wandere. Auch im Sport gibt es unterschiedliche Ansätze, die zum Ziel führen können: Besonders im Fußball reicht die Bandbreite von eiserner Disziplin und Quälerei bis hin zu Lockerheit und Spaß bei der Arbeit.

Das Thema Ernährung ist dabei eine heikle Angelegenheit: Mittlerweile leisten sich viele Klubs Experten, die ihren Spielern individuelle Pläne erstellen. Gewichtsschwankungen, Blutbild und Co. der Athleten spielen bei der Trainingsgestaltung eine gewichtige Rolle. Viele Fußballer interessieren sich auch privat für dieses Thema und probieren Unterschiedliches aus, um noch mehr aus sich herausholen zu können. Trotzdem findet man gelegentlich noch Fußballer, denen ihre Ernährung relativ egal ist: So machte sich der deutsche Kultstürmer Sascha Mölders offensiv über seinen Bauchansatz lustig und vertrieb während seiner Zeit bei 1860 München Fanartikel, auf denen er sich als „Wampe von Giesing“ bezeichnete. Mölders: „Ich habe nie muskuläre Probleme gehabt, obwohl ich immer gegessen und getrunken habe, was ich will. Es gibt so viele Spieler, die genau auf die Ernährung achten und trotzdem Muskelverletzungen haben. Ich sage immer, mein Körper lässt mich nicht im Stich, weil er immer bekommt, was er will – hier eine Pizza oder da ein Bier.“ Bei Topvereinen hätte Mölders mit dieser Einstellung vermutlich Zank heraufbeschworen. Vor Jahrzehnten jedoch war das Thema gesunde Kost im Profifußball noch nicht wirklich angekommen. Einer, der seine Kicker aber schon Anfang der 2000er auf Diät setzte, war Gilbert Gress.

Gress gilt in der Schweiz als Kultfigur: Der gebürtige Franzose beendete in den 70ern seine Karriere als Stürmer bei Neuchâtel Xamax und begann dort anschließend seine zweite Laufbahn als Trainer. Schon als Aktiver war Gress erfolgreich: So war er unter anderem der erste Franzose, der in der deutschen Bundesliga kickte, später holte der Angreifer mit Olympique Marseille zwei Meistertitel. Und auch als Klubcoach machte er sich einen Namen, als er mit Xamax unter anderem Ende der 80er-Jahre die Schweizer Liga gewann sowie mit Siegen gegen Bayern München internationale Nadelstiche setzte. Diese Erfolge lagen allerdings schon einige Zeit zurück, als Sturm-Manager Schilcher, der den gebürtigen Elsässer aus seiner Zeit als Spieler bei Racing Strasbourg kannte, Gress 2003 nach Graz holte.

Heute wirkt der fast 82-jährige Pensionär immer noch jugendlich, umgänglich und blitzgescheit. Sein etwas kurioses Aussehen – ein Haarschnitt, den er sich einst von Filmschauspieler Alain Delon abschaute, der aber beim „eiskalten Engel“ deutlich besser aussah, und eine große Brille – hat sich bis heute als sein Markenzeichen gehalten. Man darf sich aber von seiner kumpelhaften Art nicht täuschen lassen, denn Gress galt in seiner Trainerzeit nicht als der Einfachste: Erstmals machte er außersportliche Schlagzeilen, als er zwar mit der Schweizer Nationalmannschaft die WM-Endrunde verpasste, aber bei den Verhandlungen zur Verlängerung seines Vertrags trotzdem die Chuzpe hatte mehr Gehalt zu verlangen. Der Verband sah daraufhin von einer Weiterverpflichtung des Doppelstaatsbürgers ab.

Als Coach galt Gress als harter Hund, der seine Spieler rackern sehen wollte. Lange nach seinem Rücktritt erklärte er seine Methode folgendermaßen: „Arbeit ist Arbeit. Ich sage immer: ,Schauen Sie mal auf’s Tennis. Sehen Sie Federer am Lachen auf dem Platz? Nie und die Franzosen, wie Monfils und Tsonga, die lachen pausenlos. Wer gewinnt am Ende?‘“ Wenn man die lockeren Interviews mit dem nunmehrigen Ex-Trainer sieht, könnte man angesichts eines solchen Standpunktes fast meinen, es handle sich um zwei verschiedene Personen. Nach Eigenaussage bewundert Gress den französischen Staatsmann General Charles de Gaulle und eiferte seinen Führungsqualitäten nach. In einem Interview nannte er diesen „eine beeindruckende Persönlichkeit.“

Die Sturmkicker jedenfalls verfluchten Gress im Sommertrainingslager vor zwanzig Jahren, als er sie im langärmligen Pullover Kondition schinden ließ. Streng war der Franzose auch beim Thema Ernährung: Während der Vorbereitung ließ er seinen Kickern fast nur Rohkost und gedämpftes Gemüse servieren. Süßigkeiten waren tabu. Die Mannschaft stand damals kurz vor der Meuterei. Noch heute werden Mario Haas und Co. wütend, wenn man sie auf jene Zeit anspricht: Die Schwoazn rannten damals sprichwörtlich am Zahnfleisch.

Stürmer Klaus Salmutter wurde es irgendwann zu bunt. Er brauchte Fleisch! Gott sei Dank hatte der Koch ein Einsehen und paktierte mit dem gebürtigen Grazer: Augenzwinkernd versteckte er unter Salmutters Salatberg ein zartes Wiener Schnitzel, das der Offensivspieler klammheimlich und weit entfernt von Trainer Gress verdrückte. Doch nicht alle hatten so viel Mumm wie Salmutter: Der georgische Teamspieler Dawit Mujiri bunkerte z.B. Schokodonuts, die er allein auf seinem Zimmer verspeiste. Einmal, als man Gress nicht in der Nähe wähnte, wollte sich Mujiri ausnahmsweise in der Öffentlichkeit die fettige Backware in den Mund schieben, als plötzlich der gestrenge Trainer um die Ecke kam. Panisch versteckte der Legionär den Donut rasch hinter seinem Rücken. Erwischt zu werden hätte für Mudschiri schlimme Folgen gehabt: Der Spieler war von Gress zuvor als „fett“ bezeichnet worden.

Saft- und kraftlos startete Sturm Graz schließlich in die Bundesligasaison und konnte auch nach einigen Runden Gress Pläne nicht umsetzen. Nach 91 Tagen war das Gastspiel des Doppelstaatsbürgers in der Steiermark schließlich beendet: Präsident Kartnig feuerte den erfolglosen Coach, der bis heute für den schlechtesten Saisonstart der Blackies verantwortlich ist. Gress ging daraufhin zurück in die Schweiz, wo er mit dem FC Aarau knapp den Klassenerhalt schaffte. 2009 schloss sich bei Racing der Kreis für den gebürtigen Straßburger.

Seinen Kultstatus zementierte Gress schließlich durch seine Expertentätigkeit im eidgenössischen TV; später wirkte er sogar als Juror in einer Castingshow mit, ehe er sich ins Privatleben zurückzog. Gilbert Gress hatte zwar unbestrittene Qualitäten, wenn er jedoch mehr Gefühl für die damalige Sturm-Mannschaft an den Tag gelegt hätte, wäre ihm klar geworden, dass er als „General Gress“ kaum erfolgreich sein würde. Bis heute ist der Ex-Spieler und -Trainer allerdings fußballverrückt. Selbstironisch meint er einst: „Außer Fußball und Kartenspielen habe ich kein Talent. Ich kann gar nichts. Ich kann nicht einmal Kaffee kochen.“

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag