Spielanalyse: Wie Sturm im Cup-Finale die Salzburger knackte
Sonstiges 10.Mai.2018 Sebastian Ungerank 1
Der SK Sturm Graz und Red Bull Salzburg sind im heimischen Fußball zwei Mannschaften, die für Kreativität, Offensivgeist und gute Strukturen bei eigenem Ballbesitz stehen. Dennoch (oder gerade deswegen) standen beim Aufeinandertreffen im ÖFB-Cupfinale die Matchpläne im Spiel gegen den Ball im Mittelpunkt, vor allem Heiko Vogel passte seine Mannschaft sehr gut an die Salzburger Aufbaustruktur an und legte damit den taktischen Grundstein für den ersten Cupsieg für die Blackies seit 2010.
Diese defensive Kompaktheit und Griffigkeit kombinierten die Steirer mit einem schnelleren und direkteren Spiel in die Spitze als noch am Sonntag in der Bundesliga-Begegnung und versetzten sich somit in die Lage, das Spiel über 120 Minuten zu dominieren und die torgefährlichere Mannschaft zu sein.
Wir analysieren diesen verdienten Cupsieg für Sturm Graz und schauen uns dabei im Detail an, welchen Matchplan Heiko Vogel gegen die favorisierten Salzburger aus dem Hut zauberte, mit welchen Punkten aus diesem Plan sich die Salzburger besonders schwer taten und wir arbeiten zum Schluss noch einmal die turbulente Verlängerung samt etlichen Umstellungen der beiden Trainer auf.
Grundordnungen und Personal
Seit der Amtsübernahme von Heiko Vogel in der Winterpause weiß man, dass er bezüglich Grundordnungen und taktischen Systemen äußerst flexibel und anpassungsfähig ist. Sein Vorgänger Franco Foda legte dafür im Sommer 2017 und in der sehr erfolgreichen Herbstrunde den Grundstein, Vogel konnte auf diesem Fundament aufbauen und geht in Sachen Flexibilität und Gegneranpassung noch einmal ein, zwei Schritte weiter als Foda.
Nachdem dies in den ersten Runden nach der Winterpause noch äußerst mechanisch und hölzern gewirkt hat und die Spieler sich mit den vielen Positionswechseln schwer taten, ging Vogel anschließend gleich mehrere Schritte in seinem taktischen Entwicklungsprozess zurück und konnte so sein Team stabilisieren und seine Spielprinzipien besser und effektiver seiner Mannschaft Schritt für Schritt vermitteln. Erst dadurch wurde eine derartige Leistung wie im Cupfinale gegen den amtierenden Meister möglich.
Dafür schickte Vogel seine Mannschaft in einer 5-2-1-2 / 3-4-2-1 Grundordnung auf den Rasen der Wörthersee-Arena. Wie wir später noch sehen werden, sollte dadurch der Zugriff im Spiel gegen den Ball sichergestellt werden. Vor Torhüter Siebenhandl setzte sich die defensive Dreierkette aus Koch, Spendlhofer und Maresic zusammen. Flankiert wurden diese drei von den beiden Wing-Backs Hierländer auf rechts und Potzmann auf der linken Abwehrseite.
Das Sechser-Duo im zentralen Mittelfeld bildeten James Jeggo und Peter Zulj. Beide hatten einen sehr großen Aktionsradius und waren vor allem im Pressing gefordert, einerseits aktiv zu verteidigen und Gegenspieler unter Druck zu setzen, andererseits aber das Gesamtgefüge zu stabilisieren und eine aufrechte Balance herzustellen.
Vor den beiden Sechsern kam Thorsten Röcher als Zehner zum Zug, ausgestattet mit ein paar Spezialaufgaben im Pressing. Die vorderste Sturmlinie bestand aus dem Duo Alar und Edomwonyi.
Marco Rose auf Seiten der Salzburger vertraute auf die eingespielte 4-1-2-1-2 Grundordnung, nachdem er am Sonntag im Ligaspiel sich auch mit einer Dreier- bzw. Fünferkette versuchte. Auch auf dem Personalsektor gab es relativ wenig große Überraschungen. Auf Andreas Ulmer musste Rose verletzt verzichten, für ihn spielte Backup Farkas auf der linken Abwehrseite der Viererkette. Auf der halbrechten Achterposition bekam Ray Yabo den Vorzug vor Haidara und bildete zusammen mit Samassekou und Berisha das Mittelfeldband der Bullen. Xaver Schlager besetzte wieder den offensivsten Punkt der Raute, vor ihm stürmten Dabbur und Gulbrandsen.
Sturms oberstes Gebot: Die Salzburger ja nicht ins spielen kommen lassen
Was passiert, wenn der Salzburger Offensivexpress ins Rollen kommt, hat man in dieser Saison bereits mehrmals begutachten können, sowohl in der heimischen Liga als auch im Europacup. Auch Sturm Graz hat dies erst vor ein paar Tagen hautnah miterleben „dürfen“.
Viele Mannschaften sahen sich heuer aus dem Mangel an Alternativen gezwungen, sehr tief und passiv gegen die Salzburger zu verteidigen. Meist mit einer Fünferkette und weiteren vier Spielern in den verschiedensten Anordnungen davor. Die Linien sollten eng zusammen stehen, um das gefährliche Spiel der Salzburger im Zwischenlinienraum eindämmen zu können. Auch der Raum hinter der letzten Verteidigungslinie sollte maximal verknappt werden. Nur war es oft so, dass die Salzburger mit ihren sehr stabilen und guten Aufbaustrukturen, (diagonalen) Passwinkeln, durchschlagskräftigen Tiefgangvarianten, hoher individueller Qualität und einem sehr griffigen Gegenpressing die gegnerischen Defensivblöcke durchbrechen konnten. Die gegnerische Mannschaft konnte aufgrund der eigenen passiven (eindimensionalen) strategischen Ausrichtung häufig nicht mehr richtig reagieren und die Partien waren vorzeitig zugunsten der Salzburger entschieden.
Heiko Vogel setzte im Cupfinale auf einen etwas anderen Ansatz, auf eine aktivere Herangehensweise. Er verschanzte seine Truppe nicht ausschließlich in der eigenen Hälfte, sondern nahm vom Beginn weg eine aktive Rolle ein und zwang die Bullen dadurch zu etlichen Passverbindungen, die ihnen nicht besonders recht waren.
Ein Zitat von Karl Rappan, dem Urvater des Catenaccio, bringt den Matchplan von Heiko Vogel sehr gut auf den Punkt:
„ Wie schlägt man eine Elf mit einem starken Stürmer? Ganz einfach. Wenn man nicht will, dass jemand isst, muss man verhindern, dass das Essen aus der Küche kommt. Ich schickte dann keinen los, um den Kellner zu decken. Stattdessen muss ich mich um den Koch kümmern.“ Karl Rappan – Urvater des Catenaccio
Nichts anderes hat Heiko Vogel gemacht. Um das starke Offensivspiel der Salzburger einzudämmen, musste er die Quelle dieser Angriffe in den Griff bekommen, die Köche sozusagen. Das unterscheidet seinen Ansatz von den vielen anderen, die wir in dieser Saison gegen die Salzburger gesehen haben. Vielfach wurde nämlich nur versucht, auf Angriffsaktionen der Bullen zu reagieren und bereits laufende Spielzüge abzuwürgen, was aufgrund des Geschwindigkeitsnachteils (sowohl im Kopf als auch in den Beinen) oft nicht mehr möglich war. Sie versuchten also, die Kellner zu decken, nicht aber den Koch.
Als Köche hat Vogel folgerichtig die beiden Innenverteidiger Ramalho und Caleta-Car sowie den Sechser Samassekou ausgemacht. Um den konsequenten Zugriff auf diese drei Spieler herstellen zu können, bastelte er um diesen Gedanken herum die passende Grundordnung und Struktur. Herausgekommen ist die angesprochene 5-2-1-2 Struktur, mit der vor allem in der ersten Aufbauphase der Salzburger eine Gleichzahl-Situation hergestellt werden konnte.
Entscheidend war dabei natürlich die Position von Thorsten Röcher. Er positionierte sich als Zehner hinter den beiden Spitzen und orientierte sich dabei sehr stark an der Position von Samassekou. Durch diese Mannorientierung war der Sechserraum für die Salzburger-Innenverteidiger zugestellt und Samassekou konnte über sehr weite Strecken gut aus dem Spiel genommen werden. Ein Koch konnte somit durch eine recht simple, aber sehr effektive Gegneranpassung kalt gestellt werden.
Die beiden Spitzen Alar und Edomwonyi komplettierten diese 3 gegen 3 Situation und positionierten sich dafür in einer Linie vor den beiden Innenverteidigern. Die Pressinghöhe der gesamten Mannschaft war in diesem Zusammenhang auch sehr passend gewählt. Allgemein war es ein etwas höher angelegtes Mittelfeldpressing, Alar und Edomwonyi hielten konstant gut die Höhe und gingen vereinzelt in ein aktives Angriffspressing über, was ebenfalls nicht hilfreich für den Spielrhythmus der Salzburger Meister-Elf war.
Taktisch interessant zu beobachten war auch, wie Sturm gegen die Salzburger Außenverteidiger sich positionierte, wenn diese an den Ball kamen. In den Anfangsminuten war die extremste Version davon zu sehen. Vor allem auf der linken Seite der Blackies rückte Potzmann in solchen Pressingsituationen sehr weit auf und attackierte Lainer, Zulj und Jeggo schoben zur Ballseite durch, stabilisierten aber die zentralen Räume und der ballferne Wing-Back Hierländer nahm eine etwas pendelnde Position zwischen Abwehr- und Mittefeldband ein.
Mit Fortdauer des Spiels war diese Variante aber immer seltener zu beobachten. In der Regel war es dann so, dass Peter Zulj von seiner nominell zentralen Position auf den Flügel herausschob und Lainer attackierte, während Potzmann tiefer blieb und die letzte Linie der eigenen Mannschaft zusätzlich verstärkte. Dies wurde vor allem auch deshalb notwendig, weil sich Yabo immer häufiger auf den rechten Flügel heraus fallen ließ und so versuchte, das Spiel der eigenen Mannschaft noch mehr in die Breite zu ziehen und Gegenspieler zu binden. Wirklich durchschlagskräftig war dies aber nicht, dafür war die horizontale Kompaktheit der Blackies zu gut und die Aggressivität im direkten Zweikampfverhalten zu hoch. Die Aktivität im Spiel gegen den Ball hat auch dazu geführt, dass die Salzburger nicht wie gewohnt ihre Angriffe vorbereiten konnten und so auch nie wirklich mit den passenden Anspieloptionen und Passverbindungen ins dritte Drittel kamen.
Um noch einmal kurz auf das Zitat von Karl Rappan zurück zu kommen. Heiko Vogel hat die Köche im Salzburger Aufbauspiel ausgemacht und diese mit der passenden Gegenstruktur eigentlich über 120 Minuten kalt gestellt. Dadurch kam die Offensivpower der Bullen nie zur Geltung und es war vermutlich das Spiel mit den wenigsten klaren Torgelegenheiten für die Salzburger in dieser Saison. Eine herausgespielte Chance gab es eigentlich überhaupt nicht. Ein größeres Kompliment für eine Mannschaft und dessen Trainer kann es nicht geben, vor allem wenn der Gegner Red Bull Salzburg heißt.
Erhöhte Vertikalität führt zu einigen guten Torabschlüssen
Im Vergleich zum Ligaspiel am vergangenen Sonntag war das Offensivspiel der Grazer wesentlich direkter und schneller angelegt. Das Aufbauspiel von Zulj und Co. könnte man dabei in mehrere Phasen unterteilen, welche allesamt mit einem etwas anderen Rhythmus ausgestattet waren.
In der ersten Phase, im eigenen Aufbaudrittel, versuchte man wie gewohnt das Spiel flach und geduldig aus der eigenen Abwehr heraus aufzubauen. Dabei griff man auf eine 3-2 Aufbaustruktur zurück, mit den beiden Sechsern im Sechserraum vor den drei zentralen Verteidigern. Die Grazer versuchten dabei ziemlich ruhig und zielstrebig diese Überzahlsituation auszuspielen und über die erste Pressinglinie der Salzburger drüber zu kommen. Zulj und Jeggo versuchten dabei immer wieder, den Raum um Schlager herum zu überladen, welcher dadurch vor allem zu Spielbeginn vor ungewohnte Zuordnungsprobleme gestellt werden konnte.
Die Ballzirkulation im ersten Drittel hatte auch das Ziel, die Salzburger zu locken, um dadurch die Räume hinter der ersten Pressinglinie bespielen zu können.
Dafür gingen die Steirer in die zweite Phase über. Wurden die Salzburger etwas aus ihrer Ordnung herausgelockt, versuchten die Blackies erst gar nicht lange, enge Drucksituationen spielerisch zu lösen, sondern griffen relativ schnell immer wieder zum weiten Ball und überbrückten damit das gesamte zweite Spielfelddrittel. Nach den langen Bällen war man mit Alar, Röcher, Edomwonyi und den beiden Flügelverteidigern ziemlich gut positioniert (auch im Kampf um die zweiten Bälle) und man fand gegen die gestreckte Salzburger Formation offene Räume neben Samassekou bzw. hinter den beiden Außenverteidigern Farkas und Lainer vor.
In der dritten und letzten Phase (nach dem Anlocken des Gegners und dem schnellen Überbrücken des zweiten Drittels mit langen Bällen) kamen die Grazer dann mit individuellen Aktionen oder gut geschlagenen Flanken immer wieder aussichtsreich vor das Tor von Stankovic und hätten eigentlich schon viel früher den Führungstreffer erzielen müssen.
Es wurden also vor allem bei eigenem Ballbesitz die richtigen Schlüsse aus der letzten Begegnung gezogen und Vogel fand neben der stabilen und griffigen Struktur im Pressing auch für das eigene Angriffsspiel effektive Werkzeuge und Wege, mit denen die Salzburger in ihrer allseits bekannten Pressingstruktur nie so recht klar kamen.
Turbulente Verlängerung mit einigen Umstellungen
Nachdem in der regulären Spielzeit keine Treffer fielen, ging es in die Verlängerung. Für die Salzburger mit ihren knapp 60 Bewerbsspielen natürlich ein besonderer Kraftakt. Erschwerend kam hinzu, dass die Mannschaft von Marco Rose ab der 70. Minute nach dem Ausschluss von Andre Ramalho mit zehn Mann weiterspielen musste. In einer ansonsten schon sehr zähen Partie für die Bullen war dies ein zusätzlicher Nackenschlag.
Marco Rose reagierte aber unmittelbar und stellte auf ein flaches 4-4-1 um. Valon Berisha ging auf die linke Flügelposition, Ray Yabo nahm die gleiche Position auf der rechten Seite ein. Das zentrale Mittelfeldduo bestand aus den beiden Youngsters Schlager und Haidara, Samassekou rückte dafür in die völlig neu zusammengestellte Innenverteidigung neben Onguene (kam in der Halbzeit für den angeschlagenen Caleta-Car).
Nach dem Ausschluss zogen sich die Salzburger im Pressing ausschließlich in die eigene Hälfte zurück und fokussierten sich auf die stabile Verteidigung des eigenen Tores und waren natürlich nicht wie gewohnt auf mögliche Ballgewinne aus. Häufig wurde aus dem 4-4-1 auch ein 5-3-1, weil sich Yabo auf rechts in die letzte Linie neben Lainer zurück fallen ließ, um Potzmann nicht aus den Augen zu verlieren.
Die Grazer dominierten ab diesem Zeitpunkt das Spiel natürlich noch klarer und versuchten aus ihrer 3-4-2-1 / 3-4-3 Struktur in die torgefährlichen Zonen zu kommen. Die Salzburger stabilisierten sich aber in ihrer passiven Ordnung zusehends und ließen auch in der ersten Halbzeit der Verlängerung nicht viel zu.
Heiko Vogel reagierte in der Verlängerung aber noch einmal und brachte Jantscher für Edomwonyi. Damit einhergehend änderte sich auch die Grundstruktur seiner Mannschaft. Es war ein recht klares 3-1-4-2, mit Jantscher und Zulj auf den beiden Achterpositionen (Zulj agierte dabei im linken Halbraum höher als Jantscher) sowie mit Jeggo auf der alleinigen Sechs.
Der Ex-Salzburger Stefan Hierländer sollte schließlich in der 112. Minute die Fans und die eigene Mannschaft nach idealer Vorarbeit von Potzmann erlösen und den ersten Cupsieg seit 2010 in die steirische Landeshauptstadt bringen. Salzburg wirkte danach zahnlos und hatte nicht mehr wirklich etwas entgegenzusetzen.
Fazit
Sturm Graz krönt mit diesem Triumph eine bärenstarke Saison. Es ist gut für den österreichischen Fußball, dass sich mit Red Bull Salzburg und Sturm Graz zwei Mannschaften die nationalen Titel teilen, die beide über einen sehr modernen Ansatz sowohl auf dem Platz als auch außerhalb davon verfügen. Einen sehr großen Teil dazu beitragen natürlich die beiden Trainer Rose und Vogel sowie eine Ebene darüber die beiden Sportdirektoren Freund und Kreissl. Beide sind im Bereich des Scoutings und der Spielerverpflichtungen top und verfügen dazu über Trainer, welche die vorhandenen Spieler richtig einschätzen und einbinden können und deshalb einen Mehrwert aus der gesamten Mannschaft ziehen können. Das sind im modernen Fußball sicher nicht die schlechtesten Voraussetzungen.
Man hat in diesem Cupfinale auch gesehen, dass Sturm mit einem sehr guten Matchplan gegen Salzburg in einem Spiel bestehen bzw. gewinnen kann. Um eine ganze Saison mit den Bullen mithalten zu können, reichen gute Matchplane allein nicht aus. Kreissl und Vogel sind also im Bereich der Kaderzusammenstellung und der Weiterentwicklung der eigenen Spielprinzipien gefordert. Man kann aber davon ausgehen, dass sie ihre Hausaufgaben machen werden….
Sebastian Ungerank, abseits.at
Sebastian Ungerank
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