Der zweite Spieltag der Deutschen Bundesliga nach dem Re-Start brachte wieder ein Derby, dieses Mal in der Hauptstadt: Hertha BSC traf auf Aufsteiger Union... Analyse: Hertha BSC gewinnt das Berliner Derby souverän

Der zweite Spieltag der Deutschen Bundesliga nach dem Re-Start brachte wieder ein Derby, dieses Mal in der Hauptstadt: Hertha BSC traf auf Aufsteiger Union Berlin. Für Hertha-Trainer Bruno Labbadia war es der erste Auftritt im heimischen Olympiastadion, nachdem die Mannschaft bei seinem Debüt in der Vorwoche auswärts gegen die TSG Hoffenheim mit 3:0 gewann.

Die Gäste hingegen mussten fünf Tage zuvor, trotz ordentlicher Leistung, eine 0:2-Niederlage gegen Tabellenführer Bayern München hinnehmen. Das Heim-Derby im November des vergangenen Jahres konnten die Unioner in der Alten Försterei mit 1:0 für sich entscheiden.

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Herthas Positionsrotationen lassen Union unbeeindruckt

Es ergab sich von Beginn an das zu erwartende Bild: Die Herthaner waren die Mannschaft mit mehr Ballbesitz, Union hingegen stand kompakt im 5-4-1 und wartete auf Fehler des Gegners. Die Gäste agierten dabei im Mittelfeldpressing, um die entscheidenden Räume in der eigenen Hälfte nicht freizugeben. Dies erschwerte es dem Stadtrivalen, Torchancen herauszuspielen.

Auffälligstes Element im Spielaufbau der Hertha war die flexible Raumbesetzung der zentralen Mittelfeldspieler Marko Grujic, Per Skjelbred und Vladimir Darida. Darüber hinaus waren auch Positionsrotationen der drei Spieler mit den jeweiligen Außenverteidigern und den Flügelspielern klar erkennbar. Die Außenverteidiger boten sich zunächst oft flach an, um dann den diagonalen Laufweg in den Halbraum zwischen Verteidigungs- und Mittelfeldlinie des Gegners zu forcieren. Der Sechser übernahm die flache Positionierung des Außenverteidigers und der nominelle Flügelspieler verließ den Halbraum und übernahm die Rolle als Breitengeber. Trigger für diese Bewegungen war der Spielaufbau auf der jeweils anderen Seite – sprich wenn der Ball beim linken Innenverteidiger war, begann die Rotation zwischen dem rechten Außenverteidiger, den halbrechten Sechser und dem rechten Flügelspieler. Jener Sechser, der nicht in die Rotation eingebunden war, hielt die Position vor der Abwehr.


Der Ball befindet sich bei Torunarigha (25), das ist der Trigger für den ballfernen Außenverteidiger Pekarik (2), den halbrechten Sechser Grujic (15) und den rechten Flügelspieler Lukebakio (28) die Positionen untereinander zu rotieren. Das Spiel wird daraufhin auf die rechte Seite verlagert.

Ziel dieser Rotation war ganz klar die mannorientierte Spielweise der Unioner zum eigenen Vorteil zu nutzen. Wenn nämlich der Sechser im ursprünglichen Raum des Außenverteidigers an den Ball kam war es einer der gegnerischen zentralen Mittelfeldspieler – Grischa Prömel oder Robert Andrich – der ins Pressing überging, obwohl der Ball gerade am Flügel war. Der Plan der Hertha war es, die Räume, die sich hinter den pressenden zentralen Mittelfeldspielern ergaben, bespielen zu können. Die Kompaktheit der Gäste machte diesen Bemühungen allerdings einen Strich durch die Rechnung. Der pressende Spieler wurde von seinen Kollegen in der Mittelfeldreihe gut abgesichert, sodass eine Spielfortsetzung über den Halbraum für die Hertha nicht möglich war. Die Fünferkette dahinter deckte die Breite gut ab, sodass auch über den Flügel so gut wie kein progressiver Ballvortrag möglich war. Das zwang die Hertha dazu, das Spiel oft über die Innenverteidiger zu verlagern. Union agierte sehr diszipliniert im Spiel gegen den Ball und ließ aus der geordneten Defensivformation kaum Torchancen für den Gegner zu.

Beide Mannschaften neutralisieren sich gegenseitig

Bei ruhenden Bällen im Aufbaudrittel der Hertha – zum Beispiel bei Abstößen – ging Union in ein Angriffspressing über. Nach dem Zuspiel von Tormann Rune Jarstein auf einen der beiden Innenverteidiger Jordan Torunarigha oder Dedryck Boyata war es Unions zentraler Stürmer Sebastian Andersson, der mit seinem bogenförmigen Anlaufen die Passoption zurück zum Tormann sowie zum anderen Innenverteidiger abkappte und somit die Handlungsoptionen für den Ballführenden massiv einschränkte.

Die Vierer-Mittelfeldreihe dahinter agierte mannorientiert. Die zentralen Mittelfeldspieler Prömel und Andrich, sowie der ballnahe äußere Mittelfeldspieler – Marius Bülter oder Marcus Ingvartsen – waren bereit, den jeweiligen direkten Gegenspieler zu attackieren, sollte der Ball zu diesem weitergeleitet werden. Den Zwischenlinienraum konnten die Innenverteidiger dank der hohen Präsenz der Fünferkette gut abdecken, ohne die Sicherung des Rückraumes vernachlässigen zu müssen.

So war die Hertha gezwungen, immer wieder lange Bälle an bzw. über die letzte gegnerische Linie zu spielen, die meist keinen Abnehmer fanden und somit entweder bei Tormann Rafal Gikiewicz oder im Out landeten. Dass die Heim-Elf nicht auf die Pressingfalle der Unioner einging erschwerte es Letzteren, ihre große Stärke – das Umschaltspiel – forcieren zu können. Durch die langen Bälle gelangten die Gäste zwar an den Ball, jedoch stand der Gegner dann in seiner defensiven Grundordnung und erwartete den Ballvortrag.


Mit seinem bogenförmigen Anlaufen nimmt Stürmer Andersson (10) den Tormann, den linken Innenverteidiger (25)  und den linken Außenverteidiger (21) in den Deckungsschatten und somit die komplette ballferne Seite aus dem Spiel. Die Mannorientierungen der Spieler in der Mittelfeldreihe dahinter (gelbe Kreise) zwingt die Hertha zum langen Ball, der entweder im Out oder bei Tormann Gikiewicz landet.

Gegen den Ball ließ Hertha-Coach Labbadia ein 4-4-2-Angriffspressing spielen. Das hatte zur Folge, dass Union-Keeper Gikiewicz den langen Ball in Richtung Sebastian Andersson schlug, und sich seine Kollegen auf die Eroberung des zweiten Balles konzentrierten. Die Heimischen agierten in der Absicherung jedoch sehr diszipliniert, ließen meist Sechser Grujic in das Luftduell mit Andersson gehen, um den Raum dahinter mit den vier Abwehrspielern abzusichern. Gegen die beiden Außenstürmer Bülter und Ingvartsen ergab sich somit eine 4-gegen-2-Überzahl an der letzten Linie.

Die Kopfballverlängerungen von Andersson konnten daher von den Blau-Weißen Abwehrspielern meist gesichert werden. Darüber hinaus arbeiteten die Offensivspieler Dodi Lukebakio, Matheus Cunha und Vladimir Darida äußerst diszipliniert nach hinten, um für den Fall einer Kopfballablage bereit für den zweiten Ball zu sein. So hatte Hertha BSC so gut wie jedes Mal Überzahl in Ballnähe, was ihnen viele Ballgewinne ermöglichte und die Gäste offensiv kaum zur Geltung kommen ließ.

Wie bereits erwähnt, tat sich die Hertha selbst ebenfalls schwer, spielerische Lösungen gegen die defensiv sehr kompakt und diszipliniert agierenden Unioner zu finden. Trotzdem war in der ersten Halbzeit ein deutliches Chancenplus auf Seiten der Heimischen vorhanden. Bezeichnend für den Spielverlauf in den ersten 45 Minuten war jedoch, dass diese Chancen entweder durch Umschaltsituationen bzw. nach einem langen Abstoß, der von Ibisevic auf den durchstartenden Lukebakio verlängert wurde, entstanden. Chancen ergaben sich für die Hertha also nur dann, wenn das Mittelfeld schnell überbrückt werden konnte bzw. der Gegner gerade nicht in seiner kompakten Grundordnung stand.

So kam es also, dass sich beide Teams in der ersten Halbzeit größtenteils neutralisierten und die Stärken des Gegners kaum zur Geltung kommen ließen. Es ging also mit einem torlosen Unentschieden zum Pausentee in die Kabinen.

Doppelschlag nach der Pause sorgt für die Vorentscheidung

In Halbzeit Zwei sah man eine mutiger auftretende Union-Mannschaft. Trainer Urs Fischer wies seine Mannen an, situativ auch aus dem Spiel heraus in ein Angriffspressing überzugehen. Zunächst schien es auch so, als ob diese Umstellung fruchten würde. Die Gäste konnten sich gar für einige Zeit in der gegnerischen Hälfte festsetzen und tauchten im Ansatz gefährlich vor dem gegnerischen Tor auf.

Genau in diese kleine Drangperiode fiel allerdings in der 51. Minute das 1:0 für die Mannen von Bruno Labbadia: Nach einem Ballgewinn wurde der Ballbesitz mit einem Rückpass auf Torunarigha gesichert. Das zentrale Mittelfeld der Gäste war noch nicht geordnet, wodurch sich eine Passlinie für den Innenverteidiger auftat, die dieser gut erkannte und einen sensationellen linienbrechenden Ball auf den Zehner Vladimir Darida spielte. Darida konnte sich im Zwischenlinienraum aufdrehen und bekam keinen Druck von einem der Innenverteidiger. Ibisevic und der ins Sturmzentrum eingerückte Cunha banden die drei Innenverteidiger des Gegners, wodurch keiner von ihnen Druck auf Darida im Zwischenlinienraum ausüben konnte. Darida entschied sich nun nicht für das direkte Dribbling Richtung Tor, sondern steuerte den rechten Außenverteidiger an, um diesen aus seiner Position zu locken. Den dahinter freiwerdenden Raum erkannte wiederum Herthas Linksverteidiger Marvin Plattenhardt, um diesen für sich zu nutzen. Das Zuspiel von Darida übernahm Plattenhardt mit dem ersten Kontakt und brachte die Flanke aus vollem Lauf vor das Tor, wo Vedad Ibisevic dank seiner guten Freilaufbewegung, die im Rücken seines direkten Bewachers begann, zum 1:0 einköpfen konnte.

Das 2:0 folgte nur eine Minute später: Union spielt den ersten Ball nach dem Anstoß lang in Richtung der letzten Linie des Gegners. Die Hertha konnte allerdings einmal mehr den zweiten Ball gewinnen und das Spielgerät schnell in Richtung des ins Mittelfeld abkippenden Neuners Ibisevic weiterleiten. Union hatte fünf Spieler an bzw. um die letzte Linie zur Eroberung des zweiten Balles gebracht, die durch das Zuspiel auf Herthas Altstar allesamt aus dem Spiel waren. Innenverteidiger Florian Hübner scheiterte beim Versuch, Ibisevic von hinten unter Druck zu setzen und wurde mit einer einfachen Körperdrehung des Bosniers aus dem Spiel genommen. Die hochstehende Restverteidigung der Köpenicker konnte daraufhin den Steilpass von Ibisevic auf Lukebakio nicht mehr verteidigen. Der schnelle Flügelspieler der Hertha lief allein auf Gikiewicz zu, umkurvte ihn, um dann zum 2:0 zu vollenden – die Vorentscheidung in diesem Spiel.

Beide Tore fielen also nach schneller Überbrückung des Unioner Mittelfeldes. Die Unordnung nach Ballverlust konnte in diesen beiden Fällen also genutzt werden, was als Dosenöffner zum Derbysieg betrachtet werden kann.

Union mit mehr Risiko, Hertha schaltet einen Gang zurück

Union-Trainer Fischer reagierte auf den Doppelschlag mit einem Spielertausch: Anthony Ujah kam für Marcus Ingvartsen in die Partie. Die Grundformation gegen den Ball änderte sich marginal, in ein 5-3-2. Die Unioner gingen nun noch häufiger ins Angriffspressing. Dies wiederum ermöglichte es der Hertha, die Räume dahinter mittels Chipbällen zu bespielen. Diese waren für die Offensivspieler nun leichter zu verarbeiten bzw. die zweiten Bälle leichter zu sichern, da die Abstände zwischen den Linien Unions nun größer wurden. Ein solcher Gewinn des zweiten Balles war es auch, der dem 3:0 für die Hertha in der 61. Minute vorausging. Matheus Cunha wurde am linken Flügel freigespielt und konnte sich im Dribbling gegen zwei Gegenspieler durchsetzen. Die eigentlich misslungene Hereingabe wurde von Ibisevic gesichert, der den Ball erneut auf Cunha ablegte. Der junge Brasilianer traf mit einem platzierten Flachschuss aus gut 16 Metern zum 3:0.

Das Spiel war nun endgültig entschieden. Die Hertha zog sich etwas zurück, überließ den Unionern öfter den Ball und ging in ein Mittelfeldpressing über. Sie nahmen also die ursprüngliche Rolle des Gegners ein: Das Herstellen einer kompakten Grundordnung und das Lauern auf Fehler des Gegners, um sich im Umschaltspiel die eine oder andere weitere Torchance zu erarbeiten.

Der kontinuierliche Spielaufbau bzw. das Herausspielen von Chancen auf diese Art und Weise gehört nicht zu den Stärken Unions, wodurch deren Bemühungen weitestgehend verpufften. Das 4:0 durch Dedrick Boyata nach einer Ecke markierte den Schlusspunkt in der 77. Minute.

Fazit

Hertha BSC konnte das Derby, in dem sich beide Teams zunächst gegenseitig weitestgehend gut im Griff hatten, dank eines Doppelschlags direkt nach der Pause für sich entscheiden. Die bis dahin selten auftretenden Unachtsamkeiten in der defensiven Grundordnung des Stadtrivalen konnten in diesen Situationen eiskalt ausgenutzt werden. Somit konnte der Grundstein, für den am Ende doch souveränen Sieg gelegt werden.

Nach den turbulenten Monaten, die die Hertha hinter sich hat, scheint nun mit der Verpflichtung von Coach Labbadia, und der damit einhergehenden passenden Leistungen, endlich Ruhe beim Big City Klub einzukehren.

Für Union hingegen bleibt eine schmerzhafte Derbyniederlage, die wohl vermeidbar gewesen wäre. Der über weite Strecken gute Auftritt in der Defensive hätte den Eisernen wohl einen Punkt bescheren können. So müssen die Gäste die kurze Heimreise allerdings mit leeren Händen antreten. Tabellarisch betrachtet ist die Niederlage wohl verschmerzbar, die Unioner befinden sich nach wie vor auf dem besten Weg, das Ziel Klassenerhalt zu erreichen. Somit ist die Wahrscheinlichkeit groß, sich in der kommenden Saison für diese Niederlage zu revanchieren.

Mario Töpel, abseits.at

Mario Töpel