So haben sich die Fans des FC Liverpool den Start in die neue Premier-League-Saison nicht vorgestellt. Nachdem die „Reds“ zwölf Wochen zuvor Platz vier... Alarmstufe „Reds“ | Neue Saison, alte Probleme

So haben sich die Fans des FC Liverpool den Start in die neue Premier-League-Saison nicht vorgestellt. Nachdem die „Reds“ zwölf Wochen zuvor Platz vier und damit endlich mal wieder ein Champions-League-Quali-Ticket sicherten, ist zum Saisonstart Ernüchterung eingekehrt. Nach dem Schlusspfiff beim FC Watford (Prödl Ersatz, Bachmann nicht im Kader) erinnerte erschreckend vieles an die Vorsaison. Die Defizite die eine noch bessere Platzierung torpedierten, wurden gleich zum Auftakt 2017/18 abermals augenscheinlich. Wir haben die größten, ungelösten Baustellen analysiert.

Bewusst überspitzt und provokant formuliert könnte man folgende Frage in den Raum werfen: Was hat das Team um Jürgen Klopp eigentlich in der großereignisfreien Sommerpause trainiert? Die bekannten Schwächen der Vorsaison waren nämlich in den neunzig Minuten an der Vicarage Road auch in der neuen Saison gleich wieder da. So konnten die Probleme bislang nicht adäquat ausgemerzt werden. Doch wenigstens setzte im Champions-League-Playoff Hoffenheims freistehender Hubner in der Nachspielzeit den Kopfball übers Tor. Damit ist immerhin die Ausgangsposition für die europäische Königsklasse nach dem Hinspiel mit zwei Auswärtstoren ideal.

Baustelle 1: Die Defensive und die Standards

Eckball für den Gegner: Der Liverpool-Fan sitzt nervös vorm TV-Gerät und redet sich selber Mut zu, versucht positiv zu denken. Sekunden später ist es schon wieder passiert. Ohne viel Gegenwehr zappelt das Runde im Eckigen… So wie schon in der Vorsaison immer und immer wieder. Oder im Jahr davor. Liverpool und das Verteidigen von ruhenden Bällen bleibt weiterhin ein großes Missverständnis. Die Raumdeckung offenbart vogelwildes Chaos-Abwehrverhalten. Auch auf das Besetzen der Stangen wird verzichtet. Warum man dieses Herschenken von billigen Gegentoren einfach nicht in den Griff bekommt, bleibt ein Rätsel.

Doch nicht nur das Verteidigen von ruhenden Bällen bereitet Jürgen Klopp Bauchweh. Auch in der Organisation der Hintermannschaft lassen sich zu Beginn seiner zweiten vollen Saison kaum Fortschritte erkennen. Dejan Lovren – seines Zeichens gesetzt in der Innenverteidigung – ist zwar in der Luft hui, aber am Boden oft unsicher und regelmäßig für einen Bock gut. Ragnan Klavan oder Joe Gomez, die Backups für das Stammduo um den Kroaten und Joel Matip verfügen nicht über die nötige Klasse einer Top-4-Mannschaft. Aber immerhin: Mit Alberto Moreno hat sich ein abgeschriebener Linksverteidiger wieder zurückgemeldet. Auf rechts zeigt Shootingstar Trent Alexander-Arnold – nicht zuletzt durch seinen frechen Freistoß gegen Hoffenheim – auf. Zumindest zwei Lichtblicke. Damit haben sich auf den Außen zu den Dauerbrennern Nathaniel Clyne und James Milner Alternativen aufgedrängt.

Southamptons Kapitän Virgil van Dijk wurde zum Transferziel Nummer eins auserkoren. Um kolportierte 60 Millionen Pfund soll er der Hintermannschaft der Reds Sicherheit geben. Doch die Saints haben bereits unmissverständlich klargestellt, dass deren Defensiv-Chef nicht an die Anfield-Road transferiert wird. Es wäre bereits der sechste Leistungsträger der binnen vier Jahren von Southampton nach Liverpool wechselt. Da der Holländer nicht mehr mittrainiert und „zu einem Spitzenklub“ will, wäre es nicht überraschend, wenn schlussendlich Antonio Conte – der bereits im Werben um van Dijk seinen Hut in den Ring geworfen hat – als lachender Dritter den Innenverteidiger nach Chelsea lotsen wird.

Baustelle 2: Beschränkte Kreativität im Mittelfeld

In Klopp‘s bevorzugten 4-3-3 lastet gerade gegen spielerisch weniger ambitionierte Gegner – wie Watford – viel Verantwortung am Mittelfeld. Nach den Ausfällen von Adam Lallana (wohl ca. 3 Monate out) und Philippe Coutinho (offiziell Rückenverletzung, inoffiziell bereits am Absprung) besetzen das Zentrum Wijnaldum, Can und der lange verletzte Henderson. Grundsätzlich nicht das Schlechteste was die Premier League zu bieten hätte. Doch gegen tief stehende, Abwehrbeton anrührende Gegner dann doch vielleicht etwas zu bieder. Mit dem Mangel an Kreativität fehlen häufig auch die entscheidenden Ideen. Wie im Vorjahr dominiert dann der horizontale Pass, die Abwehrkette wird nur selten erfolgreich angedribbelt und überspielt. Wird dann doch mehr Risiko genommen und einer aus der Offensive um Mane, Firmino und  Salah gesucht, hapert es ungewöhnlich oft an der Genauigkeit der Pässe. Im Umschaltspiel fehlt dem Trio immer mal wieder die körperliche, aber auch geistige Schnelligkeit. So führen leichtfertig hergeschenkte Fouls in der Rückwärtsbewegung zu unnötiger Gefahr durch Standards.

Baustelle 3: Die Breite im Kader

Ein Kritikpunkt der Vorsaison– wo noch keine internationale Mehrfach-Belastung herrschte – war, dass es kaum Alternativen zur Stammelf gab. Abgesehen vom eigentlich nicht ersetzbaren Sadio Mane konnte man maximal zwei, vielleicht noch drei Stammkräfte halbwegs adäquat ausgleichen. Danach fiel die Qualität schon merklich ab. Fielen mehrere Leistungsträger aus oder sollte müde Beine geschont und rotiert werden, stieß der Kader des Deutschen rasch an seine Grenzen. Auch aus der eigenen Jugend schaffte bislang mit Trent Alexander-Arnold und vielleicht mit Abstrichen noch Ben Woodburn kaum wer den Sprung in den Kampfmannschaftskader. Bei Spielerwechseln konnte selten qualitativ nachgelegt werden, so war es wenig überraschend, dass Klopp seine Wechseloptionen oft erst spät in der Schlussphase zog.

Abgesehen der Zugänge von Mohamed Salah, Dominic Solanke oder Andrew Robertson tat sich wenig, dieses Leistungsgefälle abzufedern. Von den vierzehn, zum Saisonstart in Watford eingesetzten Spielern, waren bis auf Salah alle auch schon im Vorjahr dabei. Trotz der Aussicht auf Champions-League-Fußball, wurde in der Transferzeit dem Kader bislang kaum Qualität ergänzt. Wo wir schon bei Punkt vier wären…

Baustelle 4: Die Transferpolitik

Nachdem der FC Liverpool den Anschluss an die englische Spitze über die letzten Jahre kontinuierlich verlor, war Platz vier in der Vorsaison wiedermal ein Lebenszeichen. Erst zum zweiten Mal innerhalb der letzten acht Saisonen könnte sich der LFC für heuer für die Königsklasse qualifizieren. Das Hinspiel in Hoffenheim endete mit einem 2:1 Auswärtssieg. Doch schon zuvor träumte der Fan schon – gepaart mit der Strahlkraft von Klopp, Anfield und dem Kop – neue, schillernde Namen anlocken zu können. Doch bislang dominiert entsetzte Ernüchterung in den Fanforen. Die Transferperiode war bislang von großen Ankündigungen und darauffolgenden Rückschlägen dominiert.

Der quantitativ große Kader, der für die nationale Belastung im Vorjahr aber schon qualitativ limitiert war, wurde bislang nur mit Mohamed Salah in der Spitze aufgefettet. Ansonsten zog man bei den ausgegebenen und medial vorab lautstark rausposaunten Wunschspielern stets den Kürzeren. Der bereits angesprochene Virgil van Dijk wird wohl wenn, dann nur mit einem fetten „Liverpool-Aufschlag“ an die Anfield-Road wechseln. Bei Naby Keita sagte Ralf Rangnick bereits unmissverständlich „no“.

Dazu brachte Spielmacher Philippe Coutinho am vergangenen Freitag einen „Transfer-Request“ ein und möchte lieber heute als morgen ins Camp Nou wechseln. Auch mit den immer besser in Schwung kommenden Emre Can hackt es sich. Juventus möchte den Confed-Cup-Sieger nach Turin holen. Bei dem im kommenden Sommer auslaufenden Vertrag spießt sich die Verlängerung. Ob es für dieses Duo bereits realistische, überhaupt noch verfügbare Alternativen gäbe, bleibt ein Fragezeichen.

Fakt ist, das seit über eineinhalb Monate geöffnete Transferfenster wurde bislang nicht genützt um den Kader für die europäische Doppelbelastung fit zu machen. Dazu droht noch der empfindliche Abgang in der Kreativabteilung. Für Coutinho würde ein sattes Schmerzensgeld an die Merseyside überwiesen werden. Manch einer befürchtet dann aber wieder einen Panikkauf a la Balotelli oder Carroll, wenn kurz vor dem Deadline-Day mit einer vollen Brieftasche noch kurzfristig Ersatz geholt werden soll…

Baustelle 4: Der fehlende „Plan B“

Der Test im Rahmen des Münchner Audi-Cups verlief vielversprechend. Gegen „aktive“ Bayern funktionierte das „Gegenpressing“ erfolgreich. So wie auch schon in der Vorsaison wenn es gegen die „Großen“ ging. Die dann mit eigenem Ballbesitz dem LFC das Spiel diktieren wollen. Da kann weit in Gegners Hälfte der Ball gewonnen und schnell umgeschaltet werden. Doch das Deja-Vu folgte am Samstag im ersten Reality-Check in Watford: Verzichtet der Gegner auf einen kontrollierten Spielaufbau oder überlässt er den Roten den Ball, herrscht weitgehend Ideen- und Ratlosigkeit.

Ohne Coutinho und dem langzeitverletzten Adam Lallana im Mittelfeld tut sich bei eigenem Ballbesitz offensiv wenig. Vor allem wenn der Gegner tief steht ruht die Hoffnung auf einen individuellen Genieblitz der wieselflinken Flügelstürmer Mane und oder Salah.

Schon in der Vorsaison wurde dadurch mindestens eine bessere Platzierung, wenn nicht sogar die Meisterschaft verspielt. In den direkten Top-Duellen holte Klopp die meisten Punkte. Die sechs Saisonniederlagen passierten gegen Burnley, Bournemouth, Swansea, Hull, Leicester und Crystal Palace. Alles Mannschaften die Liverpool nicht zum „Gegenpressen“ einluden und damit den „Reds“ den Zahn zogen. Der Auftritt in Watford endete mit eine späten Remis, war aber über weite Strecken (spielerisch) eine Blaupause zur Vorsaison.

Das Prinzip Hoffnung – Durchhalteparolen und Königsklassenfußball

Natürlich bleibt noch etwas Zeit und auch das Prinzip Hoffnung, dass sich doch wieder alles halbwegs in Wohlgefallen auflösen wird. Die Coutinho-Saga wird sich bis zur Transferfenster-Schließung am 31. August hin, falls nicht schon vorher eine Einigung mit Barcelona erzielt wird. Falls man den Brasilianer gegen seinen Willen doch halten kann, muss er zumindest aus egoistischen Gründen Leistung abliefern. Geht es doch auch um seinen Platz im WM-Aufgebot der Seleção für kommenden Sommer.

Die beiden, oben schon benannten Wunschspieler van Dijk und Keita, werden wohl beide nicht nach Anfield wechseln. Ob die wacklige Defensive noch gestärkt wird bleibt daher mehr als fraglich. Mit der jetzigen Hintermannschaft werden den Liverpool-Fans auf jeden Fall einige Zitterpartien nicht erspart bleiben. Sichert man am Mittwoch die Champions League Qualifikation, könnten die Reds mit den zusätzlichen Einnahmen einerseits, aber vor allem mit dem Lockmittel Königsklasse andererseits, noch die Attraktivität am Transfermarkt pushen. Doch viel Zeit würde selbst da nicht mehr bleiben, knapp eine Woche wäre das Wechsel-Karussell da noch in Betrieb.

Nach der Bestellung Jürgen Klopp’s wurden im roten Teil Liverpools aus „Doubters“ „Believers“. Doch mittlerweile droht die Stimmung gegen die sportliche Führung, aber vor allem den amerikanischen Eigentümer FSG zu kippen. Noch ist es zwar nicht zu spät, doch wird die Hausübung in der Sommerpause nicht noch schnell erledigt, könnte ein ganz stürmischer Herbst an der Merseyside bevorstehen.

Werner Sonnleitner, abseits.at

Werner Sonnleitner

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