Jeden Sonntag wollen wir an dieser Stelle Briefe aus aktuellem Anlass versenden. Mit Gruß und Kuss direkt aus der Redaktion – Zeilen zum Schmunzeln,... Briefe an die Fußballwelt (82) –  Lieber Diego Maradona!

Jeden Sonntag wollen wir an dieser Stelle Briefe aus aktuellem Anlass versenden. Mit Gruß und Kuss direkt aus der Redaktion – Zeilen zum Schmunzeln, Schnäuzen und Nachdenken an Fußballprotagonisten aus allen Ligen. Diesen Sonntag schicken wir unseren Brief an einen argentinischen Ex-Fußballer…

Lieber Diego Maradona!

Vor über einer Woche hast du deinen 60. Geburtstag gefeiert und musstest dich danach aufgrund einer Gehirnblutung einer Operation unterziehen. Du wirst zwar länger als geplant im Krankenhaus bleiben, aber dein Arzt hat bereits versichert: „Diego geht es gut.“. Nun ja, ich glaube, gut geht es dir schon seit Jahren, seit Jahrzehnten nicht mehr.

Es ist noch nicht so lange her, da habe ich mir wieder einmal den britischen Dokumentarfilm über dein Leben angeschaut, der insbesondere deine Zeit beim SSC Neapel beleuchtet. Der Film zeigt einerseits was für ein genialer Kicker du gewesen bist und beleuchtet andererseits deinen privaten Alltag. Deinen Privatkampf – möchte man fast meinen. Herbert Prohaska hat einmal gesagt, dass jeder gute Spieler von früher auch heute ein guter Spieler wäre. Wenn ich mir die Archivbilder von dir anschaue, dann denke ich mir, dass ich noch nie einen so guten Spieler wie dich gesehen habe. Wenn ich dabei jedoch überlege, wie du in dieser Zeit mit deinem Körper umgegangen bist oder welche Lasten du auf deinen Schultern getragen hast, dann kann ich noch weniger begreifen, wie du damals eine Wahnsinnspartie nach der anderen runterreißen konntest: Du hast Neapel, dem armen süditalienischen Underdog, zwei Scudetti und den UEFA-Pokal eingebracht, hast dein Heimatland als Kapitän zum WM-Sieg 1986 geführt. Mir fallen kaum andere Spieler ein, die in diesem Mannschaftssport derartig herausstechen konnten. Dennoch scheint dieses Leben einen Preis zu haben: Du hast das Elend aus dem Ghetto von Lanús mit dir mitgeschleppt, konntest den Verlockungen eines (vermeintlichen) Luxuslebens nicht widerstehen: Drogen, Frauen, Kriminalität.

Lieber Diego, ich möchte nicht in deiner Haut stecken. Deine großen Erfolge sind mit deinen persönlichen Troubles nicht aufzuwiegen. Je älter ich werde, desto mehr weiß ich persönliches Glück zu schätzen. Selbstzufrieden ist mit kaum etwas Anderem zu vergleichen. Der Endorphinrausch, wenn man ein Tor schießt, wenn man ein Tor in einem vollen Stadion schießt, wenn man ein Tor in einem entscheidenden Spiel schießt, wenn man den ersehnten Pokal holt, ja, das muss ein unglaubliches Gefühl sein, allerdings wiegt es nicht ein Leben abseits des Platzes voller seelischer Dunkelheit auf. Alle lieben den Fußballer Maradona, der Mensch Diego hat es schwerer. Fanverehrung macht private Einsamkeit nicht wett. Es ist wie mit Blumen, die auf Gräber gelegt werden: Sie können diejenigen, für die sie bestimmt sind, nicht mehr erreichen. In diesem Sinne wünsche ich dir viel Gesundheit und mögest du noch zu Lebzeiten deinen Frieden finden.

Marie Samstag