„Hui, das ist aber ein Schinken!“, war mein zweiter Gedanke als ich Andy Mareks Buch „Mein Leben mit Rapid – 27,5“ in den Händen... Buchrezension | Andy Mareks Leben mit Rapid

„Hui, das ist aber ein Schinken!“, war mein zweiter Gedanke als ich Andy Mareks Buch „Mein Leben mit Rapid – 27,5“ in den Händen hielt. (Mein erste Gedanke war übrigens die Frage, was es mit „27,5“ auf sich hat, obwohl ziemlich logisch ist, dass Marek seine in Jahren bezifferte Schaffensperiode bei den Grün-Weißen in den Titel aufgenommen hat.) Der ehemalige Stadionsprecher und Klubserviceleiter erzählte anlässlich der Erscheinung seiner Autobiografie im Mai 2021, dass der schon langgehegte Wunsch seine Zeit beim österreichischen Rekordmeister zusammenzufassen während der Corona-Krise endlich in die Tat umgesetzt wurde. In seinen eigenen Worten diktierte Andy sein Wirken bei den Hütteldorfern von Anfang bis Ende und konservierte so für die Nachwelt seinen Beitrag zum Wachsen des Traditionsklubs zu dem Verein, der er heute ist.

296 km

legte Marek täglich zurück, um für die Grün-Weißen zu arbeiten: Er verließ sein Haus im nördlichen Niederösterreich um 7:00 Uhr früh (mit dem Frühstück im Tupperware-Geschirr) und kehrte erst drei Stunden vor Mitternacht zurück. Beinahe sieben Tage die Woche – nur von seltenen Familienurlauben unterbrochen – gab der quirlige Moderator Vollgas: Er avancierte vom Stadionsprecher zum „Baumeister des grün-weißen Hauses“, regelte mit seinem Klubservice den Kontakt zwischen Anhängern und Verein, organisierte Fanreisen, Abos, Events, instruierte die Spieler, war der Kontaktmann für Exekutive, Ultras, Verantwortliche. Seine 599 Rapid-Spiele in Serie geben viel Raum für Geschichten. Ihnen folgte kein Abschied auf Raten, sondern ein glatter Cut, denn Marek ist kein Mann der halben Sachen: „Am Samstag […] moderierte ich dann noch beim Heimspiel gegen St. Pölten, ehe ich einen Tag später ins Krankenhaus einrückte. Und da spürte ich erstmals, dass es sich nicht mehr nur um eine Verkühlung oder Grippe handelte, sondern, dass es mehr war. Viel, viel mehr.“ Im November 2019 kündigte Marek seinen Abschied an, sein Prostatakrebs war die rote Flagge für den grün-weißen Niederösterreicher: „Bei Rapid geht man nicht von selbst, höchstens man wird krank!“ Er legte seine Tätigkeiten für die Hütteldorfer nieder, woraufhin ihm die Gemeinschaft Respekt zollte.

Jene Rapid-Community ist (naturgemäß) die Zielgruppe von Mareks Biografie. Vielleicht erspart sich der Autor deshalb die Ausschmückung sportlicher Schauplätze, die man in Internetarchiven oder Chroniken sowieso nachlesen kann und konzentriert sich neben seiner Lebensgeschichte und besonderen Ereignissen mit Rapid auf seine Weggefährten, Emotionen und Anekdoten in grün-weiß. Trotzdem nervt sein Vollständigkeitsanspruch etwas: Jedem Trainer oder Präsidenten einige Worte zu widmen, ist aus Sicht des Lesenden nicht notwendig. Die üblichen Phrasen hinterlassen sowieso keinen Eindruck. Erforderlich war es auch nicht Fußballbegriffe wie Choreo, Ultra und Co. zu erklären, der angesprochene Leserkreis kennt sich sowieso aus. Wuchteln sind in Mareks Buch im Übrigen weniger gesät, als man erwarten konnte. Wahrscheinlich ist das so weil Rapidlegende Funki Feurer diese schon mehrfach zu Papier gebracht hat.

Insgesamt ist die Gliederung der Autobiografie etwas gewöhnungsbedürftig und die Sortierung der Ereignisse manchmal nicht ganz nachvollziehbar. Die Perspektive des Erzählers, der so viel mehr als nur die „Stimme Rapids“ war, macht jedoch zweifellos den Reiz der Geschichte(n) aus: Andy beweist pointiert zum Beispiel, dass viele Fans nur im Internet eine große Klappe haben. Er erzählt, wie er einen ihm bekannten Fan, der virtuell seine Entlassung gefordert hatte, postwendend angerufen hatte: „,Hier spricht Andy Marek!‘, sagte ich in den Hörer und noch vor allem anderen kam wie aus der Pistole geschossen zurück: ,Ich werde es sofort löschen!‘ – ,Nein, mach das nicht. Sag mir einfach, was das Problem ist und was dich stört!‘ Er wiederholte sich: ,Es tut mir leid, ich lösche es sofort!‘“ Doch der Reihe nach:

Die Kassette von Queen

Wie viele Rapid-Fans und -Sympathisanten bereits wissen, wurde Andreas „Andy“ Marek im Waldviertel geboren. Seine Eltern führten ein kleines Textilunternehmen, den Junior zog es jedoch zur Bühne: „Ich war zehn Jahre alt und mir war klar: Ich möchte Sänger werden.“ Erste Erfahrungen sammelte er als Volksschüler bei den Altenburger Sängerknaben und versuchte – neben seiner Ausbildung an der Textil-HTL in Wien – in der Musikbranche Fuß zu fassen: Bis zu seinem 21. Lebensjahr verdingte sich Andy als DJ und Sänger mit seinem eigenen Mix aus Schlager und (Austro)pop. Nach dem plötzlichen Tod seines Vaters musste er seine Zelte in der Bundeshauptstadt jedoch abbrechen, um im familiären Betrieb auszuhelfen. Obwohl Textilkaufmann nie sein Traumjob war, schöpfte er aus den Zweifeln seines Umfelds Kraft und führte jahrelang erfolgreich das Modenunternehmen.

Im Sommer ’92 saß Geschäftsführer Marek eines Nachmittags im Wiener Modecenter, blätterte in einer Zeitschrift und entdeckte eine Anzeige: „Stadionsprecher gesucht – SK Rapid Wien“. Das reizte ihn. Er telefonierte daraufhin mit Klubchef Franz Binder Jr., moderierte wenige Stunden später als Feuerprobe den Tag der offenen Tür und mutierte vom Schönwetter-Rapid-Fan zur „Stimme von Hütteldorf“. Bei seinem ersten Heimspiel bat ihn der damalige SCR-Trainer Starek „We will rock you“ von Queen zum Aufwärmen aufzulegen. Für Marek ein gutes Omen: „Ich hatte die Kassette im Auto, lief zurück und strahlte über meinen ersten, kleinen Erfolg. Aber wo sollte ich jetzt eigentlich hin?“ Keine Sorge, der Niederösterreicher fand seinen Platz.

Er gehört zu jenen Menschen, denen es zu verdanken ist, dass es Rapid Wien heute überhaupt noch gibt: Nach dem Aktienflop bangte der Klub ums Überleben, die wenigen Angestellten werkelten mit viel Herzblut, improvisierten ohne Provision. Sekretärin Gabi Fröschl schupfte das Administrative quasi allein und Trainer Dokupil träumte kurz nach dem Abwenden des Konkurses schon von 10.000 Abonnenten. Nachdem er sich seine ersten Sporen verdient hatte, bekam Andy Marek von Manager Kuhn und Präsident Kaltenbrunner 1998 ein Angebot, das er nicht ablehnen wollte: „Marek Moden“ wurde daraufhin erst verpachtet und dann verkauft und der einstige Sängerknabe zum Klubserviceleiter umgeschult. Von A wie Auswärtsfahrt bis Z wie Zweierabo strickte Marek fortan am grün-weißen Band zwischen Fans und Verein.

Nachdem die Startbedingungen seines Rapid-Lebens chronologisch erzählt sind, gleitet der Autor fortan mit emotionalem Kompass durch seine Zeit bei den Hütteldorfern: Abende im Happelstadion, Trikotpräsentationen, Abrissparty, Europacupfahrten, drei Meistertitel, Bürgerkriegszustände in Saloniki, Tage der offenen Tür, leutselige Weihnachtsfeiern, Audienz beim Pabst, spontane T-Shirt-Aktionen, Europacupauswärtsfahrten, Checks mit der UEFA („Andy, we have a problem!“) und so weiter. Marek erzählt wie ihn die Polizei im wohlverdienten Winterurlaub störte oder ein griechischer Molotowcocktail direkt neben ihm explodierte. Wie er 2009 in Glasgow für Rapidfans ein komplett violett ausgestattetes Hotel buchte, WAC-Trainer Struber bat still zu sein („Hoit de Papp’n!“) oder wie die Polonaise am Rückflug von Kazan ihren Anfang nahm. Trauriger wird es beim Schicksal seines Mitarbeiters Ivo, der nach einer Hirnblutung nun in einem Pflegeheim lebt: „Man konnte alles von ihm haben und auch wenn er manchmal anfangs knurrte, war auf ihn Verlass und er erledigte die Angelegenheit.“ Die Berichte des Stadionspreches reichen von grün-weißen Events, dem Legendklub bis zum Merchandise, das mit en-détail-Verkauf im Container anfing und bis zum 350 m2 großen Fanshop samt kleinem Bruder in St. Pölten ging. Rapid wurde größer, moderner und der Waldviertler wuchs mit den Aufgaben.

Erst gegen Ende der ca. 400 Seiten widmet sich Marek auch seinem – auf der Strecke gebliebenen – Familienleben mit seinen zwei Kindern: „Lukas war schon als kleiner Bub viel mit mir unterwegs […], bei Kathi wiederum versuchte ich meine Abwesenheit mit besonderen Erlebnissen zu kompensieren wie erste Reihe bei Konzerten wie von Miley Cyrus oder Justin Bieber. Meine Liebe hatten sie, aber ihnen Zeit zu schenken, gelang mir leider viel zu selten.“, räumt der Tausendsassa ein.  

Ein Fan-Buch

Das Geheimnis seines Erfolges entschlüsselt der Ex-Textilhändler letztendlich wie folgt: Alles im Dialog und so viel wie möglich im persönlichen Kontakt regeln. In tausenden Telefonaten spielte Marek seine rhetorischen Stärken aus, moderne Mitteilungsdienste verweigerte er deswegen lange. Der damalige Stadionsprecher mutierte zu einem vielbegehrten Mann: Wenn er nicht gerade für Rapid im Einsatz war, betätigte er sich als Moderator oder Eventorganisator. Außerdem arbeitete er seit 1993 als „Teamspeaker“ des ÖFB-Nationalteams. Der Entschluss, sein Lebenswerk nicht kaputt zu machen, weil er nur mehr auf Sparflamme laufen kann, erleichterte seine Entscheidung schließlich in die grün-weiße Pension zu gehen.

Letztendlich ist Mareks „Leben mit Rapid“ ein kurzsichtiger, aber interessanter Blick hinter die Kulissen des Traditionsvereins. Es ist das Buch eines Rapidfans für andere Rapidfans – versehen mit so manchem rhetorischen oder dialektischen Lapsus, wie er Gelegenheitsschriftstellern eben passiert. Bisweilen stört die Tatsache, dass Marek in seiner Biografie so manchen Übelmeinenden in die Schranken weisen will: An mehreren Stellen wehrt sich der Waldviertler auf die eine oder andere Art gegen Unterstellungen von außen: „Alle Aufgaben, die ich bei dem Verein gemacht habe, vollzog ich mit sehr viel Herzblut […] Ja, man mag es kaum glauben, dass so etwas auch ohne Beteiligungen, Provisionen oder dem Besitz von Markenrechten geht.“ Das königliche Motto „Nicht einmal ignorieren“ wäre diesbezüglich sinnvoller gewesen.

Relativ unkritisch geht der Autor auch mit der aktiven Fanszene um. Seine Haltung: Großteils seien die Hardcore-Rapidfans tolle Menschen, deren karitative Arbeit zu wenig Gehör findet. Angesichts der von ihm thematisierten Causa Ivanschitz ist hier doch etwas zu viel grün-weiße Brille im Spiel. O-Ton: „Vielleicht sind wir Rapid-Fans oft zu sehr Romantiker […] Vielleicht macht uns aber gerade diese Liebe und Eigenart so besonders leidenschaftlich. Jedenfalls: Eine blöde Sache, die Causa Ivanschitz.“ Hm. Sicher ist jedenfalls: „Mein Leben mit Rapid“ verdeutlicht, was die grün-weiße Familie schon lange weiß: Andy Marek – einer von ihnen.

Mein Leben mit Rapid 27,5von Andy Marek ist 2021 erschienen und kostet 27,50,– EUR.

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag