Jeden Sonntag wollen wir an dieser Stelle Briefe aus aktuellem Anlass versenden. Mit Gruß und Kuss direkt aus der Redaktion – Zeilen zum Schmunzeln,... Briefe an die Fußballwelt (10): Lieber Michel Platini!

Jeden Sonntag wollen wir an dieser Stelle Briefe aus aktuellem Anlass versenden. Mit Gruß und Kuss direkt aus der Redaktion – Zeilen zum Schmunzeln, Schnäuzen und Nachdenken an Fußballprotagonisten aus allen Ligen. Diesen Sonntag adressieren wir unseren Brief an einen ehemaligen Weltklassespieler aus Frankreich.

Lieber Michel Platini!

„Komm.“, sagte mein Kollege F. am Freitag zu mir: „Du wirst die WM in Katar nicht boykottieren, sondern so wie wir alle anschauen.“ Es wird noch drei Jahre dauern, um zu wissen, wer von uns beiden Recht hat. Die Konsequenzen der Vergabe des Turniers an einen Wüstenstaat, der Menschenrechte manchmal mit Stockschlägen quittiert, spüren wir allerdings schon jetzt. Sogar, du Michel, spürst sie.

Als dich am Dienstag Polizeibeamte abgeholt haben, wird dir schnell klar gewesen sein, dass du es schaffen wirst, dich aus der Sache herauszuwinden. „Garde à vue“, heißt das in Frankreich. Polizeigewahrsam. Wenn man dort ist, ist man kein Zeuge. Man ist Beschuldigter. Aber Fußballfunktionären passiert einfach nichts. Mit einem Lächeln auf den Lippen hast du das Kommissariat in Nanterre wieder verlassen. Als könnte man dir nichts anhaben, du bist ja Träger eines weißen Kragens.

Du hast als Europas Vertreter in der FIFA damals für eine Vergabe der WM 2022 an Katar gestimmt. Es gibt Gerüchte, dass dich der ehemalige französische Staatspräsident Sarkozy überredet haben soll: Katar pumpt PSG mit Geld wieder zu einem Topklub hoch, wenn es die nächste Weltmeisterschaft ausrichten darf. Vor wenigen Wochen hat die Sunday Times einen weiteren ominösen TV-Deal mit einem katarischen Fernsehsender hochfliegen lassen. Ums kurz zu machen: Selbst ein Blinder sieht, dass es hier nicht mit rechten Dingen zu geht.

Das juckt dich wahrscheinlich alles nicht, Michel. Du wirst da schon irgendwie rauskommen. Aber weißt du woran man sich in einigen Jahren erinnern wird? Nicht daran, dass du dreimal Europas Fußballer des Jahres wurdest, an deine Zeit bei Juventus oder an deine Fähigkeit zur Antizipation. Oder an die Aufnahmen, die zeigen, wie du mit deiner lässige Art Frankreich zur Europameisterschaft ‘84 geführt hast. Du gehörst zwar zu den größten Regisseuren, die der Fußball je hervorgebracht hast. Aber wird man daran noch denken?

Schon jetzt bist du für viele einfach nur einer dieser selbstgerechten Anzugträger, ausgerüstet mit Waschtrogbauch und einem Ego, das eine eigene Postleitzahl braucht. Jene Werte, die der Sport vermitteln soll, wirst du nicht mal mehr im Wörterbuch finden würde. Dabei warst du doch auch einmal jung und idealistisch: Der Enkel italienischer Einwanderer. Einer für den der Fußball alles war. Vielleicht auch der Schlüssel zu einer (finanziell) sorgenfreien Zukunft, aber du hast doch – wie wir alle – zunächst einmal das Spiel geliebt. Erfolg hieß ein Tor zu schießen, einen schnörkellosen Pass zu spielen, zu gewinnen. Später war das Ziel dann in der ersten Mannschaft zu spielen, irgendwann das Nationaltrikot zu tragen und Pokale hochzustemmen. Du hast als Junger wohl nicht davon geträumt Geld zu scheffeln, das man in diesem Leben nicht ausgeben kann. Blutgeld. Denn hinter diesen Scheinen stehen tausende, wenn nicht Millionen Menschenschicksale, die dafür büßen müssen. Wie jene Arbeiter, die als Sklave die Sportstätten errichten, in denen sich die weltbesten Kicker messen werden. Einwanderer, die eigentlich nur auf eine bessere Zukunft für sich und ihre Kinder hoffen. Einwanderer, wie deine Großeltern sie einmal waren.

Denk einmal darüber nach, das rät dir

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag

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