Das waren noch Zeiten als Rapid im Europapokal auf Größen wie Manchester United traf: In den 90ern zahlten Kühbauer und Co. gegen die Red... Anekdote zum Sonntag (219) – Räuberleiter für einen Sir

Das waren noch Zeiten als Rapid im Europapokal auf Größen wie Manchester United traf: In den 90ern zahlten Kühbauer und Co. gegen die Red Devils Lehrgeld und verloren zweimal mit 0:2. Ende der 60er sah es gegen Sir Bobby Charlton, Dennis Law oder den legendären George Best zwar nicht viel besser aus – 3:0 fertigten die Engländer den österreichischen Rekordmeister im Hinspiel des Viertelfinales des Europapokals der Landesmeister ab –, die Grün-Weißen rechneten sich vor dem Match in Wien am 5. März 1969 aber trotzdem Chancen aus: Schließlich hatte man zuvor im Achtelfinale Real Madrid aus dem Wettbewerb geworfen. Mit einer Topleistung war alles möglich.

Journalist Peter Elstner befand sich schon am Abend des 4. März vor dem Praterstadion. Der legendäre Reporter suchte einen offenen Eingang, um dem Abschlusstraining der Gäste beizuwohnen. Zwar wünschte Manchester keine Beobachter, Elstner hatte jedoch seinem damaligen Arbeitgeber – dem Magazin EXPRESS – zugesichert, einen Bericht zu schreiben. Die Flutlichter brannten bereits, als der gebürtige Wiener die Spielstätte umrundete, um irgendwie in das Stadion zu gelangen. Doch nirgendwo befand sich Personal, dass ihn nach Bitten und Betteln einlassen hätte können. Elstner war allerdings nicht der Einzige, der an diesem Abend nach Einlass strebte: Als der spätere ORF-Kommentator bereits enttäuscht abdrehen wollte, sah er einen Herrn, der seinen Hut tief ins Gesicht gezogen hatte, und erfolglos an der Gittertür des Spielereingangs rüttelte.

Elstner wies ihn darauf hin, dass Manchester United beim Training offensichtlich nicht gestört werden wollte. Der Herr, den der Reporter im schwachen Licht, kaum sehen konnte, brummte etwas Unverständliches. „Müssen Sie wirklich hinein?“, fragte Elstner. Der Fremde nickte eindringlich: Er betrachtete die Gittertür und den Maschendrahtzaun und bedeutete dem Journalisten schließlich ihm die Räuberleiter zu machen. Elstner stutzte nur kurz, denn irgendwie fand er Gefallen an dieser Nummer: Er kniete sich nieder und faltete seine Hände ineinander: Der Fremde setzte seinen Fuß auf Elstners Finger und zog sich am Zaun hoch; als er oben saß reichte er wiederum dem Reporter seine Hände und so erklomm auch der damals 28-jährige den Maschendrahtzaun. Im Handumdrehen fanden sich beide Herren am Stadiongelände wieder und gingen Seite an Seite durch die Katakomben dem Spielfeld entgegen.

Nun im hellen Flutlicht musterte Elstner seinen Begleiter genauer und erstarrte kurz: Er hatte soeben niemand geringerem als Sir Matt Busby – Manchester-United-Coach, Namensgeber der „Busby Babes“, fünffacher englischer Meistertrainer, regierender Europapokalsieger – über die versperrte Tür des Praterstadions geholfen. Busby fragte Elstner freundlich, was er beim Training seines Teams eigentlich wolle. Elstner erklärte daraufhin, dass er Sportjournalist sei und von der letzten Übungseinheit der Red Devils berichten wollte. Als Revanche für die Räuberleiter fragte ihn Busby, wen er denn gern interviewen würde. Elstner war von den Socken: „If it’s possible, I would like to talk to you, Sir! “, hauchte er ehrfurchtsvoll. Busby war einverstanden und organisierte dem perplexen Reporter darüber hinaus nach Trainingsende ein Treffen mit Bobby Charlton und dem jungen George Best. Elstner schwebte auf Wolke 7.

Er sollte der einzige frohe Wiener bleiben, denn Rapid spielte am nächsten Abend schwach und kam vor 52.000 Zuschauern zu keinem Torerfolg. Nach dem 0:0-Rémis flogen die Grün-Weißen aus dem Wettbewerb und die Zeitungen vergossen kübelweise Häme über den österreichischen Rekordmeister: „Wie tief muss aber der einst ruhmvolle österreichische Fußball schon abgesunken sein, wenn eine Niederlage d e s österreichischen Spitzenklubs gegen einen Verein, der in der englischen Meisterschaft nicht einmal zu den ersten fünf zählt, schon als ‚durchaus ehrenvoll‘ apostrophiert wird?“ Es waren eben ganz andere Zeiten.

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag