Jeden Sonntag wollen wir an dieser Stelle Briefe aus aktuellem Anlass versenden. Mit Gruß und Kuss direkt aus der Redaktion – Zeilen zum Schmunzeln,... Briefe an die Fußballwelt (100) –  Liebe Football Association!

Jeden Sonntag wollen wir an dieser Stelle Briefe aus aktuellem Anlass versenden. Mit Gruß und Kuss direkt aus der Redaktion – Zeilen zum Schmunzeln, Schnäuzen und Nachdenken an Fußballprotagonisten aus allen Ligen. Diesen Sonntag schicken wir unseren Brief an den englischen Fußballverband …

Liebe Football Association!

Ihr seid der älteste Fußballverband der Welt, gegründet im Mutterland des modernen Fußballs. In einem Pub in der Great Queen Street in London einigten sich Vertreter mehrerer Klubs am 26. Oktober 1863 auf ein erstes allgemeines Fußballregelwerk. Heute ist „eure“ Premier League die teuerste Liga der Welt, der zukünftige britische König ist euer Präsident und in der UEFA‑Fünfjahreswertung liegt ihr auf Platz 2. Man könnte meinen bei so viel Tradition und Erfahrung seien Vorkommnisse, wie sie jetzt in einer unabhängigen Untersuchung festgestellt wurden, nicht möglich.

Ein am Mittwoch dieser Woche vorgestellter Bericht kommt zur Auffassung, dass der Verband erhebliche Mitschuld an jenem 2016 aufgedeckten Kindesmissbrauchsskandal trägt. Es ist von institutionellen Mängeln die Rede: Der Schutz von Kindern sei nicht priorisiert worden, man habe ihnen nicht geglaubt und Täter nicht aus dem Verband entfernt. Aufgeflogen war die ganze Sache, als einem schon vorbestraften Jugendtrainer vorgeworfen wurde, er habe Kinder missbraucht. „Der Teufel in Menschengestalt“ – so wurde Barry Bennell bei seinem Gerichtsprozess vor drei Jahren bezeichnet. Der ehemalige Chelsea-Jugendspieler coachte Kinder bei Manchester City, Crewe, Stoke City und Leeds United. Er wurde wegen fünfzig Fällen von Missbrauch an Buben im Alter von acht bis fünfzehn Jahren in einem Zeitraum von über zehn Jahren zu 31 Jahren Gefängnis verurteilt. Nicht nur der Verband, auch die betroffenen Klubs kamen in der Untersuchung nicht gut weg: So habe der Manchester-City-Staff gewusst, dass Halbwüchsige bei Bennell zuhause übernachteten, jedoch ging niemand der Sache nach.

Das ist ein erschütterndes Zeugnis. Gerade in einem System, wo der Leistungsgedanke zählt, sollte jungen Menschen besonderer Schutz zuteilwerden. Insbesondere in sogenannten Männerdomänen wurde und wird dies teilweise verabsäumt. Das Aufbrechen solcher verkrusteten Strukturen, wo Schwäche nicht existieren darf, ist bestimmt auch dank Me-too- und Black-lives-matter-Debatten möglich geworden. Emanzipation ist eben ein Befreien von Stereotypen und kommt letztendlich nicht nur Frauen, Minderheiten und Nicht-der-Norm-Entsprechenden, sondern allen zu gute.

Liebe FA, ich hoffe, ihr zieht die richtigen Konsequenzen aus dieser Untersuchung. Täter, die sich – in welcher Form auch immer – an Schutzbefohlenen vergreifen wollen, werden immer deren Nähe suchen – ob es Kinderheime, Pflegeanstalten oder eben auch Jugendsportverbände sind. Es braucht ein Bewusstsein, dass derartige Vorkommnisse passieren können, und unabhängige Vertrauenspersonen, die in solchen Fällen Ansprechpartner für die Jugendlichen sind. In Zeiten, in denen der Begriff „Opfer“ vorrangig als Beleidigung gebraucht wird, ist das natürlich schwer. Diesbezüglich solltet ihr – als ältester Fußballverband der Welt – vielleicht ebenfalls eine Vorreiterrolle einnehmen.

Das wünscht sich

Marie Samstag, abseits.at

PS: Mit diesem Jubiläumsbrief endet die Serie der Internetbotschaften. Danke an alle Leserinnen und Leser! Gehabt euch wohl.

Marie Samstag