Als die beiden Erzfeinde des Deutschraps, Sido und Bushido, vor Jahren ihren „Beef“ beiseitelegten, um eine gemeinsame CD aufzunehmen, gaben sie unumwunden zu, dabei... Buchrezension: „Adrenalin“ von Zlatan Ibrahimović

Als die beiden Erzfeinde des Deutschraps, Sido und Bushido, vor Jahren ihren „Beef“ beiseitelegten, um eine gemeinsame CD aufzunehmen, gaben sie unumwunden zu, dabei hauptsächlich kommerzielle Interessen im Auge zu haben: Rihanna mache es schließlich auch nicht anders, wenn sie jährlich ein Album produziere. Mit den beiden Berliner Rapgrößen gemein hat Zlatan Ibrahimović jedenfalls das gehegte und gepflegte Bad-Boy-Image. Nachdem ich „Adrenalin – Was ich noch nicht erzählt habe“ ausgelesen habe, habe ich aber außerdem die Vermutung, dass beim schwedischen Ex-Teamspieler ebenfalls hauptsächlich wirtschaftliche Gründe ausschlaggebend waren das vorliegende Buch zu schreiben.

Der alte Mann und der Ball

Seine Biografie hat „Ibra“ nämlich schon 2011 mit Co-Autor David Lagerkrantz verfasst und vorgelegt. Zehn Jahre später tat er sich mit Luigi Garlando, einem italienischen Sportjournalisten, zusammen um „Adrenalin“ zu schreiben. Eine Darstellung seiner Lebensgeschichte – wie im Klappentext behauptet – enthält das Buch aber nicht: Zlatan rekapituliert dagegen seine bisherige Zeit als Fußballprofi und erstellt sein Charakterprofil, indem er sein Privatleben mit seiner Spielweise verbindet. Das wird durch die Kapitelüberschiften deutlich, die z.B. „Pässe (oder: über die Freundschaft)“ und „Fallrückzieher (oder: über den Wandel)“ heißen.

In „Adrenalin“ erzählt Zlatan u.a. von seiner Abscheu gegen Anzug und Krawatte oder vom Tod seines Halbbruders. Er redet über sein Leben als Strohwitwer in Italien, wie er späte Rache an Marco Materazzi nahm oder als Moderator am Festival von San Remo auftrat. Richtig spannend sind diese Geschichten nicht. Neues erfährt man nur punktuell, doch das Buch ist flüssig geschrieben und auf die Zielgruppe abgestimmt.

Der ehemalige Profi, der im biblischen Alter von 41 Jahren bis vor kurzem noch für den AC Milan aufgelaufen ist und jetzt seine Karriere beendet hat, hat eine klare Meinung von sich: „Ich bin ein Gott, aber ein Gott der älter wird.“ Steht schon auf der ersten Seite des Vorwortes. Mittlerweile sei er reifer, habe seinen Spielstil angepasst („Dribbling [ist] zu kräftezehrend“), kämpfe nicht mehr gegen Schiedsrichter und sei weniger selbstverliebt, behauptet Ibrahimović. Trotzdem ist Zlatan Zlatan geblieben und was das bedeutet, müssen seine Teenager-Söhne z.B. spüren, wenn er sie im Urlaub zu Sprintübungen auf dem heißen Asphalt zwingt. Der Fußballer ist Millionär, aber trotzdem ein Sportler, der sich quälen kann. In „Adrenalin“ behauptet der Autor das Ende seiner Laufbahn hinauszögern zu wollen. Heute wissen wir, dass Zlatan diese nach dem Erscheinen des Buches noch zwei Jahre lang verlängern konnte.

Man muss sich keine Sorgen machen, dass der fünffache italienische Meister in seinen letzten Profijahren ein weichgespülter Topsportler war. In seinem zweiten Buch teilt er – wie auch schon im Vorgänger „Ich bin Zlatan“ – genügend aus: Insbesondere mit seiner Zeit in Paris rechnet „Ibra“ ab: „Sie [die französischen Schiedsrichter, Anmerkung] hatten nicht die Erfahrung, waren keine richtigen Profis, sondern pfiffen nur im Nebenjob, und vor allem waren sie es nicht gewohnt, Champions mit starker Persönlichkeit gegenüberzutreten.“ Unvergessen – wie der Ex-Stürmer während seines Engagements beim PSG nach einem Auswärtsmatch Frankreich als „Scheißland“ bezeichnete und diese Aussage prompt zum Politikum wurde: Man habe ihn aus der Grande Nation „rauswerfen“ wollen, behauptet Ibrahimović. Daraufhin geht er in die Offensive und erklärt in einem Interview mit Franc Lebœuf selbstbewusst: „Ich finde dieses Ding mit dem Verhalten, von dem ihr immer redet, ziemlich seltsam. Eurer Meinung nach bin ich arrogant, aber in der gesamten Welt sind es die Franzosen, die für ihre Arroganz berühmt sind. Das bedeutet also, ich bin einer von euch.“ This is Zlatan.

Angst vor dem Aufhören

Eigentlich sollte das gold (was sonst?) eingepackte Buch eher den Untertitel „Was ich noch erzählen will – bevor ich aufhöre.“ tragen, denn die Angst des Schweden vor der Sportler-Pension zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichten der „Autobiografie“: „Mit jedem Tag, der vergeht, komme ich dem Moment näher, und ich merke, dass meine Angst davor wächst. Das hat nichts mit Geld zu tun. Daran wird es mir nicht fehlen. Es geht um etwas anderes: Was mache ich dann?“ Adrenalin treibe ihn an, behauptet Zlatan. Es schießt ihm manchmal bis unter die Schädeldecke – wie damals als er gegen England ein unglaubliches Fallrückziehertor erzielte. Auf fünf Buchseiten beschreibt er diesen Treffer und was er ihm bedeutet.

„Ibra“ scheint das Sprichwort „Viel Feind, viel Ehr‘“ zum Lebensmotto adaptiert zu haben: Er hat ein Ziel: Gewinnen – alles andere ist nebensächlich. Zlatan verbarrikadiert sich vier Monate lang, um für sein Comeback zu schuften. Nicht einmal seine Familie darf ihn besuchen. 2014 fliegt er nach Pittsburgh um sich vom besten Kniespezialisten der Welt, dem verrückten Professor Freddie Fu, operieren zu lassen. Viereinhalb Jahre später bekommt er einen Anruf: „‚Freddie Fu hat nur noch sieben oder vielleicht zehn Tage zu leben. Krebs.‘ Es wurden sogar weniger. Ein weiterer Anruf: ‚Er ist gestorben.‘ So ist das Leben.“ Auch Mino Raiola, der Agent und väterliche Freund, der ihn überredete nach seinem Engagement in Los Angeles nochmals in Europa zu kicken, ist – nachdem das Buch erschienen ist – verstorben.

In „Adrenalin“ gibt es wenig Platz für Sentimentalitäten. Es ist das Buch eines Mannes, der einen Kampf führte. Die Brechstange, die Zlatan im Strafraum einsetzt, wird groteskerweise auch in den unpassendsten Momenten seines Privatlebens hervorgeholt. So faucht er seine Frau während (!) der Geburt ihres gemeinsamen Sohnes an: „‚Hör mit dem Gejammer auf! Wir gehen jetzt in den Kreißsaal, schnappen uns unser Kind, und dann verschwinden wir aus diesem verdammten Krankenhaus, wo ich fast ersticke!‘“ Helena ist die Frau, die Zlatan erträgt. Sie ist „tough“, sagt er.

Mittlerweile lebt die Familie in einer umgebauten Kirche mit fünf Stockwerken in Stockholm. Keine einzige Fußball-Devotionalie im Haus erinnert daran, womit der Eigentümer sein Geld verdiente. Ibrahimović wohnte unter der Saison in Mailand und ließ Frau und Kinder gelegentlich einfliegen.

Die Urlaube werden auf der Yacht namens „Unknown“, einer Insel oder mehreren Waldgrundstücken in Schweden verbracht, wo der Neo-Pensionist nach Hirschen, Mufflons oder Elchen jagt: „Adrenalin pur“. Zlatans Lebenselixier. Möge er es auch in seiner Post-Karriere finden.

„Adrenalin – Was ich noch nicht erzählt habe“ von Zlatan Ibrahimović ist 2021 bei Malik erschienen und kostet 22,95 EUR.

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag