Das gestrige Wiener Derby endete mit einem torlosen Unentschieden, das angesichts der Tabellensituation niemandem hilft. Während die Wiener Austria nach der Abwehrschlacht mit zwei... Vier Gründe warum der SK Rapid gegen neun Austrianer kein Tor erzielte

Das gestrige Wiener Derby endete mit einem torlosen Unentschieden, das angesichts der Tabellensituation niemandem hilft. Während die Wiener Austria nach der Abwehrschlacht mit zwei Spielern weniger zumindest Moral zeigte und Selbstvertrauen tankte, fühlt sich die Punkteteilung für die Hütteldorfer wie eine Niederlage an. Wieso konnte die Barisic-Elf aus den beiden Ausschlüssen für den Gegner kein Kapital schlagen?

Der SK Rapid wartet nun seit zwölf Spielen auf einen Sieg gegen den Erzrivalen. Viel einfacher werden es die Veilchen den Grün-Weißen aber in den zukünftigen Begegnungen nicht machen, denn nach den Ausschlüssen von Holland und Braunöder schien es zunächst nur eine Frage der Zeit zu sein, bis die Gäste aus Hütteldorf in Führung gehen würden. Immerhin erwischte die Wiener Austria in den ersten acht Runden den schlechtesten Saisonstart seit 17 Jahren und sammelte bis zum Derby nur fünf Punkte.

Nach einigen Minuten ließ es sich aber schon erahnen, dass die in Überzahl agierende Mannschaft bis zum Schluss um den Sieg kämpfen wird müssen. Wieso aber tat sich der SK Rapid gegen neun Austrianer so schwer? Wir fassen für euch die wichtigsten Gründe zusammen.

1) Personalsituation im Sturm

Guido Burgstaller wurde in der vergangenen Saison Torschützenkönig und ist auch abseits seiner Goalgetter-Qualitäten enorm wichtig für die Mannschaft. Der 34-Jährige dirigiert als verlängerter Arm des Trainers das Pressing und opfert sich auch in läuferischer Hinsicht für seine Kollegen auf, weshalb sein Ausfall doppelt problematisch für den Klub ist.

Da Bernhard Zimmermann und Ferdy Druijf im Sommer verliehen wurden und Oliver Strunz in seiner Entwicklung eher einen Schritt nach hinten als nach vorne machte, muss der 21-jährige Neuzugang Fally Mayulu die Kohlen aus dem Feuer holen. Mayulu ist allerdings ein gänzlich anderer Spielertyp als Burgstaller. Der Franzose wirkt in seinen Aktionen eher lethargisch, ärgert sich kaum über vergebene Chancen, geht trotz seiner Körpergröße äußerst halbherzig in Kopfballduelle und agiert lasch gegen den Ball.

Es ist ein wenig kurios, dass der SK Rapid, der immer darauf bedacht ist, seine „jungen Spieler zu schützen und nicht verheizen zu wollen“, nun mit Mayulu einen Angreifer forcieren muss, der aufgrund der oben aufgezählten Attribute, die im direkten Duell mit dem rund 13 Jahre älteren Burgstaller umso mehr auffallen, eigentlich nur verlieren kann. Solange Mayulu seine Spielweise nicht adaptiert und im Gesamtkonstrukt wertvoller für die Mannschaft wird, wird er auch weiterhin einer der Sündenböcke sein. Zu seinem „Glück“ dürfte Guido Burgstaller aber knapp vor seinem Comeback stehen.

Sportdirektor Markus Katzer wird sich nun aber zu Recht Kritik bezüglich der Kaderplanung anhören dürfen. Trainer Zoran Barisic, der den Ausfall von Burgstaller vor dem WAC-Spiel als „schwerwiegend“ und „unglücklich“ bezeichnete, wird intern erklären müssen, wieso das Spiel der Hütteldorfer so stark von einem 34-Jährigen Stürmer abhängig ist.

2) Verunsicherung der Mannschaft, problematische Mentalität

Während die Austria-Spieler jede gelungene Aktion in der Abwehr frenetisch abfeierten, sah man, dass die Spieler des SK Rapid immer mehr verkrampften. Die beiden Ausschlüsse beflügelten die Mannschaft kaum, es entstand kein Selbstverständnis, mit zwei Mann mehr den Gegner auffressen zu wollen. Es machte vielmehr den Eindruck, dass die Angst der Spieler immer größer wurde, dass sie blöd dastehen werden, wenn sie dieses Spiel nicht für sich entscheiden oder gar verlieren würden.

Abgesehen von der schwachen Zweikampfquote fiel auch folgende Aussage von Trainer Barisic nach dem Schlusspfiff auf: „Natürlich fehlt uns Burgstaller. Aber was mir auch fehlt, ist, dass noch mehr Spieler geil sind aufs Toreschießen.“

Dies erinnert an das Interview von Guido Burgstaller gegenüber dem KURIER, dass nicht Hicke Jr. an der schlechten Bilanz nach Standardsituationen schuld sei. Vielmehr gab es in der vergangenen Saison einfach zu wenige Spieler, die den Willen hatten „mit vollem Tempo und Kopf voraus“ in die Flanke hineinzugehen.

Der SK Rapid sollte aber für das genaue Gegenteil stehen und bei diesen Aussagen muss man sich schon fragen, ob es an der Kaderzusammenstellung oder der täglichen Arbeit liegt, dass der Verein zu wenige Spieler hat, die in einem Derby „geil auf Tore sind“ bzw. sich ganz allgemein vor Kopfballduellen fürchten – um es einmal polemisch auszudrücken.

3) Keine passenden Reaktionen auf die Ausschlüsse

Nachdem James Holland und Matthias Braunöder in der 52. bzw. 54. Minute vom Platz gestellt wurden, erwarteten beide Fanlager passende Adaptierungen an die neue Spielsituation. Die Wiener Austria agierte fortan mit den verbleibenden Feldspielern in zwei dichten Ketten vor dem eigenen Tor.

Zoran Barisic glänzte nicht mit Mut und Kreativität und brachte zunächst in der 69. Minute Rechtsverteidiger Schick für Rechtsverteidiger Kasanwirjo. Der nächste Wechsel folgte erst in der 83. Minute. Oswald machte für Kerschbaum Platz und Neuzugang Gale ersetzte Kühn.

Diese positionsgetreuen Wechsel erwiesen sich aber wenig überraschend nicht als Lösung für ein gravierendes Problem: Der SK Rapid bekam trotz der Überzahl kaum Präsenz im gegnerischen Strafraum.

Zoran Barisic hätte dabei durchaus Alternativen gehabt.

Ein Beispiel: Marco Grüll hätte nach den beiden Ausschlüssen neben Mayulu ins Sturmzentrum rücken können und Gale, der durchaus frische Impulse von der Bank brachte, wäre auf Kosten eines Defensivspielers als Linksaußen eingewechselt worden. Idealer Weise jedoch nicht erst in der 83. Minute.

Auch mit den tatsächlich vorgenommenen Ein- und Auswechslungen hätte es interessantere Möglichkeiten gegeben, um die eine oder andere Chance erzwingen zu können. Kerschbaum hätte beispielsweise Querfeld (praktisch als „tiefer Sechser“) in der Innenverteidigung ersetzen können, damit dieser als umfunktionierter Stürmer neben Mayulu für körperliche Präsenz sorgt. Aufgrund der schwachen Strafraumbesetzung schlugen die Spieler kaum Flanken, da sich in der Mitte keine Abnehmer fanden. Mit dem physisch starken Querfeld hätte sich das ändern können bzw. hätte Querfeld als unorthodoxe Brechstange zumindest ein wenig Chaos stiften können.

Man kann auch über die Zusammensetzung des Spieltagskaders diskutieren. Mit Grüll, Bajic und Gale wurden drei etatmäßige Linksaußen nominiert und mit Kühn war ein weiterer Akteur dabei, der die Position auf dem linken offensiven Flügel einnehmen kann. Eine Alternative für Mayulu gab es hingegen nicht, da der formschwache Strunz nicht für das Spiel nominiert wurde und der junge Rapid-II-Stürmer Zivkovic, siebenfacher Saisontorschütze in der Regionalliga Ost, für Barisic offensichtlich selbst in dieser Situation keine Option für die Ersatzbank war.

4) Technische und taktische Fehler

Schon in der ersten Halbzeit wirkten die Grün-Weißen verunsichert und begingen zahlreiche technische Fehler. Es entwickelte sich ein nervöses und zerfahrenes Spiel, in dem die Austria Vorteile bei den Zweikämpfen und zweiten Bällen hatte. Die Fehler wurden auch in der 11-vs-9-Überzahl nicht abgestellt, sodass viele Angriffe schon an den Basics wie der Ballannahme und der sauberen Weiterverarbeitung scheiterten. Das kostete viele wertvolle Minuten, da es die Heimmannschaft verstand, Zeit von der Uhr zu nehmen.

Auch in taktischer Hinsicht bestand viel Luft nach oben. Neben der im dritten Punkt angeführten Mutlosigkeit von der Trainerbank, machte man es mit der praktizierten Spielweise der Austria relativ einfach. Die Heimmannschaft musste kaum schnell verschieben, da bei Rapid viel zu selten schnelle Seitenverlagerungen zu sehen waren. Anstatt auf einem Flügel Überzahl zu erzeugen, das Spielgeschehen gezielt auf eine Außenbahn zu lenken und dann mit schnellen Verlagerungen die Abwehr auseinanderzuziehen, versuchte man es viel zu oft durch die Mitte und verdichtete sich die Räume praktisch selbst. Auch die kurzen Zuspiele hatten selten die richtige Mischung aus Tempo und Präzision, Kombinationen wie schnelle Doppelpässe gelangen zu selten. Die Spieler wurden zu schnell ungeduldig und versuchten es mit Distanzschüssen, die nichts einbrachten. Von insgesamt 17 Schussversuchen gingen nur drei auf das gegnerische Tor.

Und dann gibt es noch weitere Muster im Spiel des SK Rapid, die nur schwer zu begreifen sind. Es gibt wohl keine andere Profi-Mannschaft weltweit, in der eine 193cm große Solospitze die Einwürfe macht und dadurch im Strafraum fehlt. Man könnte dies vielleicht noch verstehen, wenn diese Hereingaben enorm scharf und präzise kommen würden, was jedoch nicht der Fall ist. Dies verdeutlicht auch den dritten Punkt mit der mangelnden Strafraumpräsenz perfekt – Mayulu wurde in diesen Situationen sogar freiwillig aus dem Spiel genommen.

Stefan Karger, abseits.at

Stefan Karger