Jeden Sonntag wollen wir an dieser Stelle Briefe aus aktuellem Anlass versenden. Mit Gruß und Kuss direkt aus der Redaktion – Zeilen zum Schmunzeln,... Briefe an die Fußballwelt (81) – Lieber Marcus Rashford!

Jeden Sonntag wollen wir an dieser Stelle Briefe aus aktuellem Anlass versenden. Mit Gruß und Kuss direkt aus der Redaktion – Zeilen zum Schmunzeln, Schnäuzen und Nachdenken an Fußballprotagonisten aus allen Ligen. Diesen Sonntag schicken wir unseren Brief erstmals als Geburtstagsgruß auf die Insel…

Lieber Marcus Rashford!

Gestern war dein 23. Geburtstag und du hast wahrscheinlich jetzt schon mehr erreicht als die Meisten, wenn sie diesen Geburtstag feiern. Nun ja, es liegt auch in der Natur der Sache: Leistungssport wird in jungen Jahren betrieben, Profis werden rasch erwachsen und müssen Verantwortung tragen. In einem Alter, wo viele Menschen noch in der Ausbildung stecken bzw. gerade erste Sporen im Beruf verdienen, bist du schon zum Familienernährer aufgestiegen. Schließlich hast du in einem Interview erzählt, du hättest von deinen ersten Profigehältern Schulden deiner Eltern zurückbezahlt. Das können nur wenige Menschen mit Anfang 20 behaupten.

Lieber Marcus, seit 2016 schießt du Tore für Manchester United, bist Nationalspieler und Pokalsieger. Du führst also ein erfolgreiches und (hoffentlich auch) glückliches Leben. Bekannt geworden bist du aber nicht nur für deine sportlichen Qualitäten, sondern auch für deinen Einsatz im Kampf gegen Kinderarmut. Deswegen wurdest du im Sommer 2020 zum Ehrendoktor der Universität deiner Heimatstadt ernannt und bekamst auch den Order of the British Empire verliehen. Du bist vermutlich kein Heiliger, sondern ein Mensch mit Fehlern und Schwächen. Und auch ein typischer Fußballer mit allem was dazugehört: Tattoos, Designerkleidung, teurer Uhr und Range Rover. Doch du bist irgendwie anders, du hast deine Wurzeln nicht vergessen. Wenn du durch dein – für einen Fußballprofi fast spartanisch eingerichtetes Haus – führst, verraten Gestik und Mimik, dass hier jemand auf dem Boden geblieben ist.

Als Sohn einer alleinerziehenden Mutter bist du zusammen mit vier Geschwistern aufgewachsen. Die finanzielle Lage damals hast du so zusammengefasst: „Wenn Essen da war, war Essen eben da. Wenn nicht, dann hatte ich Freunde, die meine Situation verstanden haben und manchmal war es für mich möglich bei ihnen zu essen.“ Diese Erlebnisse machen einen sprachlos. Wir alle wissen, dass es Armut gibt, dennoch wird sie erst plastisch, wenn von ihr erzählt wird. In einem hochentwickelten Industrieland ist Kinderarmut jedenfalls eine Schande. Das findest du auch und legst dich dafür sogar mit der britischen Regierung an, indem du kostenlose Essen für Schüler auch während der Ferien forderst. Im Corona-Frühjahr stimmte das Parlament einer Essensbon-Ausgabe bis zum Sommer zu, jetzt ist diese Form der Ausspeisung auch in den Herbstferien möglich. Doch prinzipiell wollen Johnson und Co. Schulessen nur während der Schulzeiten ausgeben, du willst dieses Programm zur Unterstützung Benachteiligter aber erhalten und hast eine Internet‑Petition gestartet. Als Berühmtheit mit entsprechender Reichweite hat diese Erfolg. Du selbst hast seinerzeit Glück gehabt, weil du Talent hast: Als Elfjähriger in der Akademie der Red Devils wurdest du bestens versorgt. Aber was ist mit denen, die nicht so früh als „förderungswürdig“ erachtet werden? Die keinen Fürsprecher haben? Für die bist du jetzt da. Danke, Marcus! Alles Gute zum Geburtstag wünscht dir

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag