Frauen als Fußballfans bilden in der öffentlichen Wahrnehmung immer noch die Ausnahme und nicht die Regel. Die reisende Ausstellung fan.tastic females – football herstory... Frauen, die auf Fußbälle starren

Frauen als Fußballfans bilden in der öffentlichen Wahrnehmung immer noch die Ausnahme und nicht die Regel. Die reisende Ausstellung fan.tastic females – football herstory hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Welt weiblicher Fans von Lens bis Innsbruck zu zeigen. Wer die interaktive Schau besuchen möchte, braucht viel Zeit, ein Smartphone mit installierter QR-Code-Scan-App und Kopfhörer. Bis vor kurzem machten die Fan.tastischen in Wien Station. Im Frauenzentrum in der Windmühlgasse, parallel zur Mariahilferstraße, konnte(n) sich frau (und man) durch die liebevoll gestalteten Kurzvideos wühlen. Circa acht Stunden würde es in Anspruch nehmen alle Clips anzusehen, die Auswahl bleibt dem Besucher überlassen. Kostenpunkt? Eintritt frei.  

Femmetastic

Die Ausstellung wurde von Mitgliedern des Netzwerks Football Supporters Europe (FSE) organisiert und ist seit Sommer auf Europatour. Hoster brauchen einen entsprechenden Ausstellungsort und das notwendige Kleingeld für Versand und Kaution. Aktuell ist fan.tastic females bis Ende des Monats in Linz zu sehen. Die Organisatoren trafen eine Vorauswahl und teilten die porträtierten Damen in Gruppen wie „Ikonen der Fankultur“ oder „weibliche Ultras“ ein. Die Anhängerinnen erzählen, wie sie zum Fußball kamen und warum sie dabeigeblieben sind. Durchmischt mit Fotos und Videos, die sie im Einsatz zeigen, reden die Frauen über ihre schönsten Erlebnisse und sagen auch auf welche Erfahrungen sie verzichten hätten können.

Wie bei den Herren der Schöpfung, zeigt sich, dass auch viele Frauen, ihre Fanleidenschaft – klassisch – durch den Herrn Papa vermittelt bekommen haben. Andere begleiteten schon im „reiferen“ Alter Freunde oder Kollegen ins Stadion und – ein auffallender Prozentsatz – wählte den Herzensverein gar aufgrund politischer Überzeugung. In weiten Kreisen bekannt ist Sabine Karl, die einzige Frau unter den Gründern der wohl bekanntesten Ultragruppierung Österreichs – der Ultras Rapid. Die Mitarbeiterin der grün-weißen Geschäftsstelle nennt ihren ersten selbstständigen Stadionbesuch an ihrem 14. Geburtstag als Meilenstein ihrer Fanbiografie. Es war das Match zum Meistertitel 1982. Sabine meint, sie sei ab diesem Zeitpunkt Stück für Stück einfach in die harte Fanszene hineingewachsen. Daran, wie sie als Frau behandelt wurde, hat sie nur gute Erinnerungen: „Ich wurde nie in Frage gestellt. Man hat sich immer bemüht höflich zu sein.“ Bis heute prägt sie die innige Freundschaft innerhalb der Gruppe. Anders die Geschichte von Soňa: Die Bankbeamtin übernachtete bei Freunden, die am nächsten Tag zu einem Heimspiel von Bohemians Prag wollten. Soňa ging spontan mit und wurde mit dem Fußballvirus infiziert. Heute ist sie Gründerin der „Barflies“ und erzählt mit Stolz, dass sie die einzige linke Fanclub der Tschechischen Republik sind.

Nur wenige der Frauen mobilisieren sich in rein weiblichen Fangruppen: Die Ladies Curva Sud gehören dazu. Die weibliche Sektion der Ultras des indonesischen Vereins PSS Sleman hat an die 1.000 Mitglieder ohne Glied. Die Gründerinnen wählten bewusst den Weg einer auf Frauen beschränkten Fanfraktion, um ihren Geschlechtsgenossinnen die Angst zu nehmen ins Stadion zu kommen. Es fällt auf, dass viele der Interviewten in ihrem Fandasein mehr als nur den Sport und den Zusammenhalt untereinander als Eckpfeiler identifizieren. Viele Frauen schlagen eine Brücke zwischen Klub supporten, sozialem Engagement und (linker) Politik. Gemeinsam ist ihnen auch, dass sie sich für die Zukunft wünschen, dass der Fußball seine Wurzeln nicht vergisst. Sie kämpfen gegen hohe Eintrittspreise und Bevormundung durch die Liga und die Vereinsführung. Sabine Karl bringt es auf den Punkt: „Ein großer Wunsch, der nicht nur den Fußball betrifft, ist, dass das Geld nicht mehr so wichtig sein soll.“

„Es gab keine Damen-Toiletten.“

Die „Fanfrauen“ kommen aus unterschiedlichen Ländern, sind verschieden sozialisiert. Auch ihr Verständnis von Fußball und Fankultur gleicht sich nicht. Bemerkenswert ist jedoch, dass es kaum Beschwerden gibt. Elena erzählt, ohne anzuklagen, wie unangenehm manche Stadienbesuche für sie sind. Die blonde Frau hat einen ZSKA-Schal um den Hals hängen und trotz ihres Schicksals ein Lächeln auf den Lippen. Sie sitzt seit ihrer Kindheit im Rollstuhl und ist daher in ihrer Bewegungsfreiheit sehr eingeschränkt. Ein Matchbesuch im Juli 2005 wird für die Russin zum Erweckungserlebnis. Im Interview resümiert sie: „Ich war so viele Jahre zuhause. Ich konnte nicht einfach hinausgehen, Freunde treffen oder etwas unternehmen, weil so viele Menschen mich als „anders“ bezeichnet haben. […] Aber ich bin nicht anders, ich bewege mich nur anders fort. Der Fußball hat mir geholfen hinauszugehen und ein neues Leben zu beginnen.“ Heute hat sie ihr Hobby zum Beruf gemacht und arbeitet als Behindertenbeauftragte für den russischen Fußballverband.

Es scheint fast so, als könnten sich Frauen in der Kurve gut anpassen, sich schnell integrieren. Kaum eine berichtet von negativen Erlebnissen, die sie von ihrem angepeilten Weg abbrachten. Schwierigkeiten wurden einfach ignoriert. Grace McKenzie, Jahrgang 1960, kichert: „Das größte Problem für Frauen in den 70ern war, dass es damals keine Damen-Toiletten gab.“ Sie behauptet von sich jedes schottische Stadion zu kennen. Seit ihrem 10. Lebensjahr reist sie ihrem Lieblingsverein, Clyde FC, hinterher. Die Schwedin Margareta Lindgren mutierte nach elf Jahren als Ordnerin bei IFK Göteborg selbst zum Fan und gilt heute als Kultfigur der Kommandobryggan, der Göteborger Fantribüne. Sie singt und hüpft meist 90 Minuten durch, für den Eintritt kommt ihr fünfzigjähriger Sohn auf. Margareta ist übrigens 74 Jahre alt. Dana, die in die jungen Ultras Fortuna Düsseldorf quasi „hineingeboren“ wurde, ist oft mit negativen Erlebnissen von außen konfrontiert. In der Schule hätten sie viele Kommentare genervt, erzählt die Fünfzehnjährige. Ärger gab es für die offen linken Ultras auch von rechten Fans gegnerischer Vereine. Jasmin aus Bern sieht ihre Frauenfangruppe als zweite Familie an. Sie ist es mittlerweile gewohnt sexistischen Sprüchen auf der Tribüne zu kontern.

Die Ausstellung bewegt. Viele Frauen haben sich – genau wie die Männer – mit Herzblut ihren Klubs verschrieben. Anderes hat man nicht erwartet. Und wie bei den Männern, geht es eben nicht nur um Sport. Es geht um eine Gemeinschaft, die über den Tod hinaus zu bestehen scheint, wie am Beispiel von Christine deutlich wird. Die Französin gehörte zwanzig Jahre lang zum harten Kern der Fans im Stade Vélodrome. Sie starb 2015 an Krebs. Ihre Freunde Christophe und Mari-Anne erzählen die Fanbiografie jener Frau mit Feathercut und Temperament für Zwei. Für Christine seien zuerst die Ultras, dann der Fußball und erst am Schluss ihre Familie gekommen, behauptet der Capo, der sein Gesicht nicht öffentlich zeigen will. Für ihn war Christine wie eine Schwester. Man verfolgte sämtliche Spiele zusammen, ging Bier trinken und schlug sich die Nächte um die Ohren. Als Christine schließlich krank wurde, hielt man weiter zusammen und sorgte dafür, dass sie sich nicht alleine fühlte. Mari-Anne ringt um Worte: „Christine war eine Kämpferin.“ Doch die Sprecherin der OM-Ultras verlor diesen Kampf. Nach ihrem Tod kondolierten die Marseiller Spieler und liefen sich in T-Shirts mit ihrem Konterfei warm. „Sie ist nicht gestorben, sie ist immer bei uns.“, sagt Mari-Anne. Und jetzt gehört ihre Fanbiografie zu jenem Kosmos an weiblicher Fantradition, der durch Europa reist und hoffentlich von vielen gesehen wird.

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag