Kamerun, Ghana, die Elfenbeinküste, Nigeria und Algerien schickten sich bei der WM in Brasilien an, nach den Sternen zu greifen. Nicht nur, um ihr... Afrika: Ein (Fußball)-Kontinent steht sich selbst im Weg (3) – Ghana

Ghana - FlaggeKamerun, Ghana, die Elfenbeinküste, Nigeria und Algerien schickten sich bei der WM in Brasilien an, nach den Sternen zu greifen. Nicht nur, um ihr Land, nein gewissermaßen um einen gesamten Kontinent in Ekstase zu versetzen. Gewissermaßen fühlt man sich jedoch an die Komödie „Und täglich grüßt das Murmeltier“ erinnert. Vor jeder WM wird afrikanischen Teams das Potenzial zugesprochen, den ganz großen Coup zu landen, stattdessen folgt beinahe wie das Amen im Gebet die unsanfte Landung am Boden der Realität.

Ghana: Prämienstreit, und eine Revolte gegen den Trainer bestimmen die Schlagzeilen

Die enttäuschenden Auftritte der Ghanaer erwiesen sich als Anstoß sich intensiver mit dem afrikanischen Fußball auseinanderzusetzen und vor allem die Probleme im Umfeld der Teams vom schwarzen Kontinent genauer zu beleuchten. Insbesondere die „Black Stars“ sorgten für einiges an Wirbel und stehen so sinnbildlich für den Titel der Artikelreihe. Mit großen Ambitionen und einer gehörigen Portion Optimismus im Gepäck traten Teamchef Kwesi Appiah und seine Mannen die Reise an die Copacabana an. Einen nicht unerheblichen Anteil am Misserfolg muss der Chefstratege an der Kommandobrücke wohl auf seine Kappe nehmen.

Auftaktpleite gegen die USA – der Anfang vom unrühmlichen Ende

Im Auftaktmatch gegen Klinsmanns US-Kämpfer verpokerte er sich nach allen Regeln der Kunst und manövrierte Ghana sehenden Auges in eine Position der Abhängigkeit. Anstatt sein Schicksal weiter in den eigenen Händen zu wissen, hingen Essien und Co. nun von Beginn an wie ein taumelnder, schwer angeschlagener Boxer in den Seilen.

Der Schachzug, zur Überraschung aller, die Führungsspieler Kevin-Prince Boateng und Michael Essien nicht in der Startelf zu berücksichtigen erwies sich als schwerwiegender Fehler und für den Spielaufbau der Ghanaer als kontraproduktiv. Natürlich bleibt es einem Außenstehenden verwehrt, einen detaillierten Blick in das Innenleben eines Teams zu werfen. Ein Trainer würde auch im Fall des Falles etwaige disziplinäre Verfehlungen wohl kaum vor laufenden TV-Kameras zur Sprache bringen. Zumindest bis zum Auftaktmatch ist von derartigen Vorkommnissen nichts nach außen gedrungen, nach dem verpatzten Start überschlugen sich die Ereignisse im Hinblick auf Disziplinlosigkeiten und diverse Verfehlungen allerdings förmlich.

Appiah führte zudem nach der 1:2-Pleite in Interviews seine Strategie aus, die vorsah, die beiden Routiniers als Waffen von der Bank gegen ermüdete Amerikaner einzusetzen. Bei all den technischen und spielerischen Mängeln, die das sich in jeglicher Hinsicht im Aufschwung befindliche US-Team auch offenbart haben mag, ist doch hinlänglich bekannt, dass es zumeist hervorragend gelingt, diese Schwächen durch Einsatz, Kampfeskraft und einem unglaublichen unbändigen Willen weitestgehend zu kompensieren. Diese intensiv geführte Partie zerrte natürlich an den Kräften der Klinsmann-Elf, doch ein wirklicher Einbruch blieb wie erwartet aus. Zudem spricht es eindeutig für eine hervorragende körperliche Verfassung des Teams, in der 82. Minute den Ausgleich hinnehmen zu müssen und dann in der 86. mittels Jokertor eindrucksvoll zurückzuschlagen. Auch im weiteren Verlauf offenbarten die Amerikaner nie physische Schwächen, präsentierten sich körperlich stets robust und zweikampfstark.

Nichtsdestotrotz kommt man nicht umhin, Appiah zugute zu halten, dass Ghana über die gesamte Spielzeit klar den Ton angab und in der Offensive Chancen in Hülle und Fülle vorfand. Boateng und Leader Essien belebten das Spiel der Afrikaner nach ihren Einwechslungen zusehends, auch die Qualität der Einschussmöglichkeiten erhöhte sich dadurch merklich. Wenngleich der WM-Auftritt Boatengs in Summe wohl zweifellos als unzureichend zu bezeichnen ist, vermochte er in diesem vorentscheidenden Aufeinandertreffen wichtige Impulse zu setzen und die Mannschaft nochmals anzutreiben. Die Hereinnahme von Altmeister Michael Essien erfüllte ebenso ihren Zweck, sodass es im Nachhinein zu bekritteln gilt, dass die Wechsel zu spät erfolgten. Boatengs Impulse und Essiens ordnende Hand und Ruhe hätten wohl auch schon nach der Halbzeitpause entsprechende Früchte getragen.

Qualitätsunterschied zwischen Offensive und Defensive eklatant

Ghanas Qualitäten, die die „Black Stars“ nach Meinung einiger Experten zur schlagkräftigsten und besten Truppe Afrikas machen, liegen ohne jeden Zweifel im Offensivbereich. Neben dem Schalker Boateng verfügen vor allem die Herren Asamoah Gyan, der beim Al-Ain Club in den Vereinigten Arabischen Emiraten seine Brötchen verdient, André Ayew, geht für Olympique Marseille auf Torjagd, und Sulley Muntari, beim AC Mailand unter Vertrag, über geballte Offensivpower.

Gegen die US-Boys scheiterten die Ghanaer neben einem glänzend aufgelegten Tim Howard allzu oft auch am eigenen Unvermögen. Zudem wird in keiner anderen afrikanischen Mannschaft der Qualitätsunterschied zwischen Offensivabteilung und Defensivverbund derart augenscheinlich wie in jener der Westafrikaner. Jonathan Mensah und John Boye bilden die etatmäßige Innenverteidigung, Kwadwo Asamoah vom italienischen Rekordmeister Juventus, dort vorwiegend als linker Mittelfeldakteur eingesetzt, bekleidet ähnlich wie Salihovic bei Bosnien, die für ihn ungewohnte Position des Linksverteidigers. Daniel Opare von Standard Lüttich verteidigt rechts. Letzterer verletzte sich zu allem Überfluss während einer Trainingseinheit vor dem Deutschland-Match und wurde in weiter Folge von Harrison Afful vertreten. Er ist in Tunesien bei Espérance Sportive de Tunis engagiert und konnte gegen Deutschland immerhin ein Assist auf sein Habenkonto verbuchen.

Alles in allem wirkte die Defensive Ghanas alles andere als sattelfest, zum Unglücksraben der WM in den Reihen der Black Stars avancierte unbestritten Innenverteidiger Boye. Mit einer wahren Slapstickeinlage gegen Dempsey läutete er die Niederlage gegen die USA schon nach wenigen Spielsekunden ein. Anstatt den Angreifer nach außen, und so vom Tor abzudrängen, gewährte ihm Boye freigiebig die Innenbahn, den direkten Weg zum Tor. Der Routinier nutzte die Riesenchance bekanntlich eiskalt.

Dieser Horrorauftakt sollte Boye noch länger in den Knochen stecken, in Minute 86 ließ er seinen Gegenspieler entwischen, ging nicht mit ihm hoch zum Kopfball – die Niederlage war somit in Stein gemeißelt, all die Offensivbemühungen die mit dem späten zwischenzeitlichen Ausgleich belohnt worden waren, letztlich doch vergeblich. Im Endspiel um den Aufstieg in Gruppe G gegen Portugal klebte ihm das Pech weiterhin an den Schuhen, sein spektakuläres Eigentor brachte Portugal auf die Siegesstraße. Die WM – ganz und gar zum Vergessen für den Teamkollegen von Neo-Stade Rennes-Legionär Philipp Hosiner.

Weiters zeigten die Amerikaner in der Anfangsphase der Begegnung immer wieder die Verwundbarkeit der Ghanaer über die Außenbahnen auf. Kurz vor seiner verletzungsbedingten Auswechslung verstolperte Jozy Altidore die große Möglichkeit auf 2:0 zu erhöhen. Sein Ausfall ließ die Offensivbemühungen seiner Teamkollegen etwas ins Stocken geraten, sodass Keeper Kwarasey nicht mehr allzu oft im Blickpunkt stand.

Bärenstarke Leistung gegen Deutschland

Gegen den Gruppenfavoriten Deutschland bot die Defensive hingegen eine wirklich überzeugende Vorstellung, ließ kaum klare Torchancen des großen Favoriten zu. Die Taktik Appiahs ging voll und ganz auf, das Mittelfeld unterstützte die Viererkette vorbildlich, freie Räume wurden stets sofort besetzt, sodass sich den Deutschen lange Zeit keine Lücken boten. Mittels gezielt und präzise vorgetragener Konterangriffe setzte man vor allem Mitte der zweiten Hälfte immer wieder Nadelstiche. So gelang es die Schwächen einer überaus hoch stehenden deutschen Defensive zu entblößen. Die wenigen sich bietenden Gelegenheiten nutzten André Ayew und Asamoah Gyan im Stile echter Torjäger. Lediglich der Torinstinkt von Miro Klose verhinderte die Überraschung, eine derart überzeugende Leistung gegen Mitfavorit Deutschland sollte für das Duell gegen Ronaldo und Co. ordentlich Auftrieb geben – doch weit gefehlt.

Das liebe Geld und die Untergrabung der Autorität des Trainers trüben Ghanas Fokus

Anstatt sich voll und ganz auf das Portugal-Match vorzubereiten und die letzte verbliebene Gelegenheit beim Schopf zu packen, rumorte es im Umfeld Ghanas munter weiter. Bereits nach dem verpassten Auftakterfolg gegen die USA äußerte Kevin-Prince Boateng unverblümt Kritik an der taktischen Ausrichtung sowie an der Marschrichtung des Trainers. Durch ausstehende Prämienzahlungen in Höhe von 75.000 Dollar wurde zusätzlich Öl ins Feuer gegossen, die Spieler boykottierten sogar das Training. Verbandspräsident Kwesi Nyantakyi bedauerte nach dem Ausscheiden, dass die Spieler den verspäteten Prämien solch eine Bedeutung zumaßen und dieser „Nebenkriegsschauplatz“ Ghana seine Chancen raubte. Kurz vor dem Gruppenfinale gegen Portugal sollen drei Millionen Dollar in bar per Charterflugzeug in Brasilien eingetroffen sein, von zig Polizisten bewacht zum Hotel eskortiert und den Spielern ausgehändigt worden sein. Die Drohung, bei weiterhin ausstehender Zahlung, es gar nicht erst mit Portugal aufnehmen zu wollen, zeigte entsprechende Wirkung. Der ghanaische Verband beugte sich den Spielern.

Zuvor machten Erzählungen eines tätlichen Angriffs von Muntari, der sich gegen einen Betreuer gerichtet haben soll, die Runde. Vorausgegangen war dem ganzen wohl eine handfeste Auseinandersetzung zwischen Muntari und Boateng im Training. Der Betreuer trachtete danach den Streit zu schlichten. In all diesem Chaos dürfte Boateng wohl auch Beleidigungen gegenüber Appiah geäußert haben, woraufhin dieser die beiden unbefristet suspendierte. Sowohl Muntari, der aufgrund einer unnötigen gelben Karte in Minute 94 gegen Deutschland, seiner zweiten im Turnier, ohnehin gesperrt gewesen wäre, als auch Boateng weigerten sich offenbar ohne ihren Anteil der Prämie das Hotel zu verlassen.

Kurz zusammengefasst kommt das ganze Chaos im Umfeld einer wirklichen Katastrophe in punkto Außendarstellung gleich. Nicht wenige sahen das Vorurteil vom undisziplinierten afrikanischen Fußball wieder einmal bestätigt. Unbestritten ist wohl, dass Appiah die Kontrolle verlor, ihm die Führung Stück für Stück entglitt.

Was folgte war ein inspirations- und mutloser Auftritt gegen hoffnungslose Portugiesen. Bedingt durch den pomadig wirkenden Auftritt der „Black Stars“ hatte allerdings Cristiano Ronaldo alleine eine Vielzahl an Möglichkeiten vorgefunden, um das Wunder von Brasilia doch noch zu realisieren. Nichts, aber auch gar nichts, war zu sehen, von der defensiven Struktur und Entschlossenheit, die Deutschland an den Rand einer Niederlage gebracht hatte. Nach Gyans zwischenzeitlichem Ausgleich hätte ein weiterer Treffer den Aufstieg bedeutet, die Afrikaner ließen allerdings nie den hierfür nötigen Nachdruck erkennen und erspielten sich keine wirklich klaren Torchancen. Portugal agierte über die gesamte Spielzeit feldüberlegen und abgeklärter. Kurz vor Schluss ebnete ein fürchterlicher Patzer von Schlussmann Kwarasey, der sich nicht gerade als sicherer Rückhalt für die unsichere Defensive erwies, den Portugiesen den Weg zum Sieg.

Ghana nimmt sich selbst aus dem Turnier

Neben den kurz angerissenen sportlichen Defiziten ist eines auf keinen Fall zu leugnen: Mit derartig vielen Nebenschauplätzen und Eskapaden, die für Unruhe sorgen und den Fokus von den wirklich wichtigen Dingen lenken, kann man schlicht und einfach nicht Erfolg haben. Die eine oder andere Schwäche lässt sich durch Teamgeist und ein harmonisches Teamgefüge durchaus kaschieren, wie Klinsmanns Elf eindrucksvoll beweist. Ironischerweise moniert nun ausgerechnet Kevin-Prince-Boateng, der 2011 seine Nationalteamkarriere schon einmal für beendet erklärt hatte und nun einen neuerlichen Rücktritt erwägt, die Black Stars seien nicht als Team aufgetreten und jeder hätte Individualinteressen gegenüber jenen des Teams den Vorzug gegeben. Ausgerechnet er, der mit seiner kontinuierlichen Kritik am Trainer selbst für reichlich Unruhe sorgte und seinen Anspruch auf einen Stammplatz bei seinem Startelf-Auftritt gegen Deutschland nicht untermauern konnte. Individuelle Klasse hin oder her, wer sich nicht unterordnen kann und will, schadet dem Team langfristig mit Sicherheit mehr als einzelne geniale Momente für die Mannschaft von Nutzen sein mögen. So lässt sich wohl auch die Absicht Appiahs erklären, künftig, sofern er im Amt bleibt, auf den Edeltechniker verzichten zu wollen.

Weiters ist es wirklich schleierhaft aufgrund der Verspätung der Prämien in Höhe von 75.000 Dollar einen Boykott des Portugal-Spiels ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Zumal auszuschließen ist, dass die Kicker die Prämie nicht erhalten hätten, schließlich sind Prämienstreitigkeiten nichts Neues und konnten bislang immer gütlich beigelegt werden. Der ghanaische Verband hat sich nun Geld vom Staat geliehen, wird das Kapital nach Erhalt der Prämien vom Weltverband FIFA wieder zurückzahlen. Kein Geringerer als Staatspräsident John Mahama linkte sich in die Causa ein, um den drohenden Streik der Spieler doch noch abzuwenden – mit Erfolg.

Natürlich ist hier auch das Verhalten der afrikanischen Verbände ein Stück weit zu hinterfragen, da derartige Streitigkeiten immer wieder auftreten und für unnötigen Wirbel sorgen. Schließlich sollte es in ihrem Interesse liegen, keinerlei Ablenkung zuzulassen, sodass das Team seinen Fokus voll und ganz auf die Realisierung sportlicher Ziele legen kann.

Appiah hatte im Vorfeld des Turniers das Halbfinale als Ziel ausgegeben, der Staatspräsident gar den Titel gefordert. Davon war man nicht nur meilenweit sondern Lichtjahre entfernt.

Sportlich wäre bei optimalem Verlauf zugunsten der „Black Stars“ einiges möglich gewesen, eine Euphoriewelle hätte die Elf trotz der einen oder anderen Defensivschwäche weit tragen können. Doch man arbeitete mit aller Macht daran, dass sich eine solche Welle gar nicht erst aufbauen konnte. „Die Black Stars“ standen sich erfolgreich selbst im Weg.

David Kühhas, abseits.at

David Kühhas

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