Fußballfans beklagen oft, dass die „echten Typen“ am Platz aussterben. Heute gäbe es nur mehr brave Akademiekicker, die nicht einmal mehr bei Rot über... Anekdote zum Sonntag (210) – Mitternachtssnack im Teamhotel

Fußballfans beklagen oft, dass die „echten Typen“ am Platz aussterben. Heute gäbe es nur mehr brave Akademiekicker, die nicht einmal mehr bei Rot über die Straße gehen würden. Doch – auf Nachfrage, was denn einen „echten Typen“ ausmache – folgt meistens ein Gestammel. Die Definition desselben ist wie ein Stück Seife schwer zu fassen. Einig ist man sich (meistens) nur, wer zu den Kultfiguren des Fußballs gehört, obwohl auch in diesem Fall unterschieden werden muss: Gibt es doch jene Kicker, die ihre Mannschaften lautstark anführten, aufrüttelten und Ecken und Kanten zeigten, und solche Spieler, die vorwiegend abseits des Platzes für Schlagzeilen sorgten und sich so ins Rampenlicht spielten. Profis, die beide Definitionen erfüllen, gibt es aber auch: Man denke beispielsweise an Éric Cantona oder Stefan Effenberg.

In diese Kategorie fällt ebenfalls – wenn auch qualitätsmäßig nicht (ganz) Weltklasse – Andy Ogris. Der Stürmer wurde von den eigenen Fans vergöttert und von den gegnerischen Anhängern gehasst. Als blitzschneller Außenbahnspieler netzte er 99-mal für seine Austria, traf bei der WM-Endrunde in Italien für Rot-Weiß-Rot und wurde von Ernst Happel persönlich zum Teamkapitän ernannt. Eine gutkalkulierte Mischung aus Aggressivität und Ehrgeiz ließ Andy auch zum Kartensammler mutieren; sein Nase-an-Nase-Foto mit Didi Kühbauer ist legendär. Außerhalb des Platzes pflegte der gebürtige Strebersdorfer nicht den gesündesten Lebensstil: Sein ehemaliger Mitspieler und späterer Trainer Prohaska erinnerte sich, dass Ogris einst maulte, er würde wegen der Kasernierung seine Familie nicht sehen können.  „Schneckerl“ konterte: „Andy, selbst wenn ich dir eine Woche freigebe, siehst du deine Familie nicht!“ Schließlich wusste auch Prohaska um „Ogerls“ Partyleidenschaft. Im Gegensatz zur breiten Öffentlichkeit kannte und schätzte der langjährige ORF-Analytiker aber auch das „zweite Gesicht“ der violetten Nummer Sieben: Andy war ein vorbildlicher Trainierer, Top-Mannschaftsspieler und die Stimmungskanone in der Kabine.

Nach seiner Profikarriere verlor Ogris allmählich sein Kampfgewicht und „schluckte einen Medizinball“ – wie es eine Tageszeitung treffend formulierte. 2022 folgte beim stolzen Opa dann ein Umdenken und er verordnete sich selbst eine Ernährungsumstellung, um abzunehmen. Mit „wenig Bier, kein Zucker, viel Bewegung“ fiel ihm der Kiloverlust leichter als mit einer „Körndl-Diät“, denn für Sportlernahrung konnte sich Ogris schon in seiner aktiven Zeit nicht wirklich erwärmen. Einst erzählte er, er habe während der Kasernierung mit dem Nationalteam oft von der Pyramide in Vösendorf zuhause angerufen und sich für den Tag nach dem Ländermatch einen Schweinsbraten „bestellt“. Doch – wie folgende Anekdote verrät – verfolgte Andy auch während der ÖFB-Lehrgänge gelegentlich sein eigenes Ernährungsprogramm:

Ogris‘ Namensvetter Andi Herzog wurde 1988 noch als 19-jähriger erstmals in das A-Team einberufen und war dementsprechend beeindruckt. Plötzlich traf er auf den über zehn Jahre älteren Routinier Klaus Lindenberger oder auf Toni Polster, der sich bereits nach Italien gebombt hatte, und eben auf den goscherten Andy Ogris, der zwei Jahre vor ihm debütiert und bei seinem ersten Spiel für Österreich gleich getroffen hatte. Der schüchterne Herzog war demnach bestrebt nicht aufzufallen und nur im Training Vollgas zu geben.

Umso überraschter war der Jung-Rapidler, als ihn der damalige ÖFB-Teammanager Heinz Palme am vorletzten Abend eines seiner ersten Teamcamps beiseite nahm: „Auf ein Wort, Andi!“, begann Palme seine Standpauke: Er erläuterte dem jungen Spieler, er wisse, dass er sich jeden Abend gegen 22:30 Uhr zwei Wiener Schnitzel aufs Zimmer habe kommen lassen: „Wo ist das Problem, Andi? Wir haben doch gutes Frühstück, Mittag- und Abendessen! Da brauchst du doch nicht abends so einen Mist essen.“ Herzog war entsetzt. Er hatte keine Ahnung, wovon Palme sprach. Eindringlich beteuerte der später Werder-Legionär seine Unschuld im „Schnitzel-Gate“. Palme machte jedoch eine abweisende Handbewegung: „Aber ich seh’s doch an deiner Unterschrift!“ Herzog schwor Stein und Bein keinen kulinarischen Zimmerservice genutzt zu haben, doch der ÖFB-Teammanager glaubte ihm nicht. „Das geht so nicht!“, beendete Palme das Zwiegespräch. Der junge Mittelfeldregisseur war schwer getroffen, sein guter Ruf schien ohne Zutun ramponiert. Er sah schon, wie künftige Einladungen zum Team ausbleiben würden. Andi entschloss sich der Sache auf den Grund zu gehen, wie er das anstellen würde, war ihm jedoch noch nicht klar.

Geknickt verbrachte der spätere ÖFB-Rekord-Spieler den letzten Tag mit der Mannschaft und schlich um 21:30h nach der Massage hinauf in sein Zimmer. Da sollte Herzog justament das Schicksal Hilfestellung leisten, denn mit ihm im Lift fuhr ein Hotelangestellter mit einem Servierwagen. Andi fasste sich ein Herz und frage den Servicemann, was er denn liefere. Dieser flüsterte nur geheimnisvoll: „Das ist für einen Kollegen.“ So einfach ließ sich Andi aber – im wahrsten Sinne des Wortes – nicht abspeisen: Als der Hotelkellner den Aufzug verlassen hatte, schlich er ihm – mit ausreichendem Sicherheitsabstand – nach.

Das quietschende Speisefahrzeug hielt schließlich vor einer ihm bekannten Türe. Herzog linste vorsichtig um die Ecke. Nach dem Klopfen ertönte eine Stimme mit Wiener Klangfarbe: „Herein! Endlich san die Bröselfetz’n da! Kumm, Zsaki!“ Niemand anderer als Schlitzohr Ogris öffnete die Türe, nahm die Teller mit dem österreichischen Nationalgericht in Empfang und quittierte die Lieferung. Nunmehr dämmerte Herzog was hier gespielt wurde: Die beiden violetten Zimmerkameraden Ogris und Zsak hatten sich jeden Abend einen feinen Mitternachtssnack bestellt und die Rechnung mit seinem Namen unterschrieben. Andi war zornig: Er trat aus der Deckung und konfrontierte die Beiden mit seiner Vermutung. Daraufhin brachen die Austrianer in schallendes Gelächter aus, während sich der Hotelmitarbeiter rasch entfernte, um nicht in die Sache hineingezogen zu werden. Andy und Manfred trösteten ihren Mitspieler damit, dass die ganze Sache doch nur ein Scherz gewesen sei, aber Letzterer wollte die mysteriöse Schnitzelbestellung nicht auf sich beruhen lassen.

Zwar hatte Herzog das Rätsel gelöst, doch wie sollte er seine Ehre beim Trainerstab wiederherstellen? Seine Kameraden zu verpfeifen – das war – laut Ehrenkodex – unmöglich. Andi entschloss sich letztendlich nichts weiter zu unternehmen. Mittlerweile kann „Herzerl“ über den Phantom-Mitternachtssnack im Teamhotel lachen, damals fand er seine „Bresl“ aber nur semi-lustig.

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag