Der Vater der Autorin dieser Geschichte hat ihr einst zögernd erzählt, dass er sich auch aus dem Grund wenig für Fußball interessiert, da er... Anekdote zum Sonntag (208) – Ist der Ruf erst ruiniert…

Der Vater der Autorin dieser Geschichte hat ihr einst zögernd erzählt, dass er sich auch aus dem Grund wenig für Fußball interessiert, da er in den 60ern unangenehme Erfahrungen in der legendären Grazer Gruabn gemacht hat. Von fliegenden Glasflaschen war unter anderem die Rede. Die Gruabn in Graz‑Jakomini galt seit ihrer Eröffnung als hartes Pflaster: Der Platz uneben, die Fans laut, das Heimteam überhart. So manchem Spieler zitterten die Knie, wenn er die Stufen zum Platz hinunter (!) ging und mit tosendem Lärm empfangen wurde. Selten war ein Heimvorteil größer als auf diesem Platz.  

1919 mit einem 14:0-Sieg von Sturm Graz gegen den SAK 1914 eröffnet, diente der legendäre Platz fast 80 Jahre lang den Schwoazn als Heimstätte. Heute wird er vom Grazer SC genutzt, nachdem Sturm schon vor fast 20 Jahren seine Nutzungsrechte wegen finanzieller Probleme abtreten musste. Die Gruabn steht zurecht unter Denkmalschutz, schließlich ist sie eine Erinnerung an einen Fußball, den es heute nicht mehr gibt: Einst tummelten sich sportbegeisterte Steirer:innen auf abgewetzten Holzbänken, die eng den Platz säumten. Diejenigen, die keine Karten ergattern konnten, lugten durch die Bretterspalten, kletterten auf nahe Bäume, standen auf Bierkisten. Bei den Derbys hingen Trauben von Bewohner:innen des angrenzenden Studentenheims an den südseitigen Fenstern um den Kampf um die Vorherrschaft in Graz live mitzuerleben. Bisweilen kochte der Volkszorn über: Schmähungen und Co. waren für die Akteure am Spielfeld äußerst unangenehm.

Der Platz an der Kastellfeldgasse prägte auch mehrere Generationen an Sturmspieler. So erinnert sich Mario Haas an seine Anfänge in der Kampfmannschaft: „Ich bin auf der Tribüne praktisch groß geworden. Ich habe später im VIP-Klub mitgearbeitet, während sich die anderen schon für das Training fertig gemacht haben. Ich musste noch nachhause fahren, um mich umzuziehen. Dann bin ich schnell wieder hergefahren und habe mittrainiert.“

Einer, der zusammen mit Haas in der schwarz-weißen Jugend spielte und ungefähr zur gleichen Zeit wie der spätere Sturm-Rekordspieler debütierte, war Martin Hiden. Der vierfache österreichische Meister wurde in der Weststeiermark geboren und begann in der U10 seiner Heimatgemeinde mit dem Vereinsfußball, ehe er als Fünfzehnjähriger fix in das Leistungszentrum Graz übersiedelte. Wegen Sturms finanzieller Probleme kam Hiden schon als 19-jähriger zu seinem ersten Kampfmannschaftseinsatz für die Schwoazn. Die Grazer waren gezwungen auf die Jugend zu setzen; spätere Kultspieler wie Wetl, Schopp, Neunkirchner, Prilasnig oder besagter Mario Haas mussten so schon früh Verantwortung tragen. Auch Martin Hiden erinnert sich mit Begeisterung an seine ersten Profimatches in der Gruabn: „Dort ging die Post ab, da haben sich unfassbare Szene abgespielt. Kultig!“ In Erinnerung blieb dem späteren Leeds-Legionär insbesondere eine Szene, als ein Spieler, der auch zu den prägenden Figuren der Bundesliga gehört und in Fankreisen bis heute verehrt wird, die lautstarke Grazer Anhängerschaft für einen klitzekleinen Moment schmähstad machte:

Sturm gegen Austria, Anfang der 90er-Jahre. Die Veilchen gehörten zur Ligaspitze, matchten sich mit Tirol, Rapid und Salzburg regelmäßig um den Titel und hatten meistens das bessere Ende für sich: ’91, ’92, ’93 hieß der Fußballmeister Austria Wien. Neben Narbekovas, Zsak, Pfeffer, Hasenhüttl und Co. war ein blitzschneller, durchsetzungsstarker Dauerbrenner der Erfolgsgarant für die nationale Dominanz der Violetten. Auch an diesem Nachmittag lief er für seine Mannschaft auf; für die Austria-Fans ist er bis heute „der Beste auf der Welt“. Er trug die Nummer 7, war rothaarig, galt als Feierbiest, Kartensammler, Meckerant, als ehrgeizig, aber jähzornig. Das wussten auch die Heimfans und sie waren sich darüber klar, dass er ihnen heute mit seinen Toren sehr wehtun konnte. Schon vor dem Anpfiff hatte sich die Gruabn daher in einen echten Hexenkessel verwandelt. Als die Teams aufs Feld liefen, wurde es noch schlimmer. Aus der schwarz-weißen Fanmasse kam ein Bierbecher geflogen, der den Austria-Stürmer traf: Herzlich willkommen! Eine Idiotenaktion. Doch mit der Reaktion des schlitzohrigen Kickers hatten die Heimfans nicht gerechnet: Andi Ogris – so der Name des Spielers – drehte sich bestimmt um, hob seelenruhig den Bierbecher auf, trank den letzten Schluck, der den Flug überlebt hatte, aus und prostete der aufgebrachten Menschenmenge anschließend mit sattem Grinsen und leerem Becher zu. Die Fans waren für eine Sekunde verblüfft, dann tobten sie, als gäbe es kein Morgen. Provokation pur.

Ogris Reaktion war die eines Mannes, der sich seines Rufes wohl bewusst war. „Ich war bekannt dafür, dass ich nach gewonnen Spielen gerne feiern gegangen bin. Außerdem schmeckt mir die Zigarette bis heute. Diesen Ruf bringe ich nicht mehr an, das stört mich aber gar nicht: Ich bin so wie ich bin und werde mich für niemanden mehr verändern. Außer für meine Enkeltochter, die bringt mich dazu, dass ich in manchen Situationen weicher werde.“, wusste der gebürtige Floridsdorfer lange nach seiner aktiven Karriere von seiner Reputation zu berichten.

Tatsächlich war „Ogerl“ schon als Profi nicht nur am Platz einer, der Vollgas gab, sondern auch jemand, der außerhalb nicht gerade zurückhaltend agierte. Hartnäckig hält sich das Gerücht, er habe sich einst in Trikot und Stutzen in der Halbzeitpause eines Cupspiels bei einem unterklassigen Gegner ungeniert einen Spritzer bestellt. Seine vielen durchzechten Partynächte hat der 63-fache Teamspieler nie abgestritten. Trotzdem blieb Andi im Training und Spiel ein Profi mit Top-Einstellung: Er ging stets voran, Beschimpfungen der Fans motivierten ihn nur. Auch die Bierbecher-Aktion genoss der Wiener wohl: Mit seiner schlagfertigen Tat kokettierte er nicht nur mit seiner Trinkfestigkeit, sondern bewies auch, dass er ein echter Schmähbruder ist. Blöden Becherwürfen wird mit einer solchen Antwort vermutlich eher der Gar ausgemacht als mit Durchsagen oder Strafen.

Marie Samstag