Ein Tormann muss ein positiv Verrückter sein, ein Lautsprecher, der seine Vorderleute antreibt, sie zu Höchstleistungen pusht, er muss Fels in der Brandung sein,... Die Antithese eines Tormanns – Walter Saria

Tormann ParadeEin Tormann muss ein positiv Verrückter sein, ein Lautsprecher, der seine Vorderleute antreibt, sie zu Höchstleistungen pusht, er muss Fels in der Brandung sein, der dem Sturm gegnerischer Angriffe standhält. Viele Fußballfans würden diese Zuschreibungen der Männer und Frauen zwischen den Pfosten wohl ohne Weiteres unterschreiben. Doch dieser Artikel ist einem Mann gewidmet, der so gar nicht in diesen klischeehaften Rahmen zu pressen war.

Wenn man an österreichische Torhüter jüngerer und etwas weniger jüngerer Vergangenheit denkt, so fallen neben der aktuellen Nummer 1, Daniel Bachmann, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Namen Manninger, Konsel, Wohlfahrt & Co. Bei etwas älteren Semestern werden Otto Konrad, Klaus Lindenberger oder Herbert „Funki“ Feurer nostalgische Regungen auslösen. In letzterer Generation ist auch Walter Saria zu verorten. Einer, der nicht minder spektakulär durch die Lüfte, dennoch und wohl zu Unrecht etwas unter dem Radar flog.

Anfänge in der Südoststeiermark

Geboren im Jahr der Staatsvertragsunterzeichnung (1955) in St. Peter am Ottersbach machte Saria seine ersten fußballerischen Schritte im nahe der Heimat liegenden südoststeirischen Feldbach. Kleines Detail am Rande: Unterzieht man beide Orte einer Google-Suche und durchforstet anschließend den Wikipedia-Eintrag und die Rubrik „Persönlichkeiten“, wird man nach dem Namen Walter Saria vergeblich Ausschau halten. Der eindeutige Beweis dafür, dass auch Wikipedia nicht unfehlbar ist, hätte Saria sich doch zweifelsohne zumindest eine kurze Erwähnung verdient. Beschäftigt man sich mit dem Menschen Walter Saria, so weicht die Überraschung über fehlende Erwähnungen einer gewissen Stimmigkeit, doch dazu später mehr.

Der sportliche Weg führte den knapp über 1,75 Meter messenden und damit für heutige Tormannverhältnisse „kleinen“ Saria mit Juli 1975 zu Sturm Graz. Im Rahmen eines Sturm-Legendenabends auf seine Größe angesprochen gab er 2019 zu Protokoll, in der Gegenwart wohl keinen Akademie-Kriterien entsprochen zu haben, somit wäre der SK Sturm Graz heute um eine Legende ärmer. Denn der sportliche Wert Sarias für „seinen“ Verein kann kaum hoch genug geschätzt werden. Insgesamt 319 Bundesliga-Spiele verbrachte er zwischen den Pfosten der „Blackies“, dazu 39 UI-, 24 ÖFB- und 14 UEFA-Cup-Matches. Knapp 400 Pflichtspiele oder 35.298 Minuten also. Unterstrichen kann sein Status durch folgende Zahlen werden: 114 Mal blieb Saria ohne Gegentreffer, eine Quote von über 28 Prozent an Spielen, in denen er „die Null hielt“. Wenn man bedenkt, dass die sportliche Kluft zwischen Graz und etwa den Wiener Vereinen zu damaligen Zeiten zu Gunsten letzterer noch ein offenes Geheimnis war und Saria wohl mehr zu tun hatte als seine Pendants aus der Hauptstadt, wird dieser Wert noch beeindruckender. Nicht umsonst bezeichnete Ex-ÖFB-Teamtormann und Saria-Coach Günther Paultisch den Entschluss, auf Saria als Schlussmann zu setzen, als „eine seiner besten Entscheidungen“.

Zu Nationalteam-Ehren reichte es für den zweifachen Familienvater dennoch nie. Zu groß war die Konkurrenz durch den erwähnten Feurer, Heinz Fuchsbichler, vor allem aber Friedl Koncilia. Sarias langjähriger Teamkamerad und Sturm-Ehrenkapitän Andy Pichler mutmaßte in einem Interview, dass man als Sturm-Akteur gegenüber den Spielern der Wiener Großclubs damals einen Startnachteil hatte, wenn es um Berufungen in den Teamkader ging. Für einen Torhüter wiegte dieser noch schwerer als für Feldspieler. Dennoch kam für Saria ein Klubwechsel nicht infrage, zu eng war er mit Graz und seiner Heimat verbunden. Mit seinem „Herzensclub“ feierte er große Erfolge, drang unter anderem 1984 ins Viertelfinale des UEFA-Cups vor, wo gegen den damaligen englischen Spitzenclub Nottingham Forrest das knappe Aus kam. Saria war für die Steirer über zehn Jahre lang die große Konstante auf der Torwartposition. O-Ton Andy Pichler: „Ich kann mich nicht erinnern, dass er jemals eine längere schlechte Phase gehabt hätte.“

Bescheidenheit als Mittel der Ruhe

Neben seinen sportlichen überzeugte Saria während und nach seiner mit menschlichen Qualitäten. Allüren und Personenkult um selbst oder andere waren ihm ebenso fremd wie öffentlichkeitswirksame Auftritte. Stattdessen stand Saria für Kameradschaft, Bescheidenheit Teamgeist und Fairness. Auch dies lässt sich durch eine Statistik und Anekdoten belegen. In über zehn Jahren als Fußballer kassierte er keine einzige gelbe oder rote Karte. Angesprochen auf den Ausfall von Starspieler Hans Krankl vor einem Meisterschaftsspiel gegen Rapid Wien gab Saria folgendes zu Protokoll: „Ja, Krankl ist heute nicht dabei, aber für mich ist das nicht so wichtig, meine Aufgabe ist es, Bälle von allen Spielern von meinem Tor fernzuhalten!“

Einer seiner Nachfolger als Torhüter bei Sturm Graz, Michael Paal, berichtete in einem Interview mit Sturmnetz.at folgendes: Einmal hat er sogar in Kauf genommen, sich selbst einen „Trainingsrückstand“ zu attestieren, nur um mich zu fördern, nur, damit ich bei Sturm auch einmal die Chance als Einser-Goalie bekomme.“ Sturm-Historiker Herbert Troger berichtet von einem gehaltenen Elfmeter Sarias in der Schlussminute eines entscheidenden Spiels gegen die Vienna 1977, in einer Saison, in der Sturm Graz gegen den Abstieg kämpfte. Von den Mitspielern auf den Schultern vom Platz getragen und von Fans frenetisch gefeiert meinte Saria: „Was zählt ist nur die Mannschaft und dieser Sieg.“

Saria war also offenbar kein Mann des Rampenlichts. Nach seinem Karriereende sah man ihn nur mehr selten im Stadion, er lebte ein ruhiges und beschauliches Leben in der Nähe von Graz. Bis zu einem gewissen Grad dürfte ihm der Fußball auch fremd geworden sein. So bemängelte er, dass zu Kartnig-Zeiten das Herz der Sturmfamilie dem Geschäftssinn untergeordnet worden sei. In einem Interview mit dem Kurier aus dem Jahr 2016 bezeichnete Saria die finanzielle Entwicklung im Spitzensport als problematisch, die Ausbeutung der „Ware Mensch“ als ständigen Begleiter.

Im Februar 2021 verlor Walter Saria sein letztes Match, seinen Kampf gegen eine heimtückische Tumorerkrankung, Sturm Graz und Fußball-Österreich damit eine seiner Größen. Sein Ableben fand zwar Erwähnung in vielen Medien des Landes. Dennoch schien das Echo auf den Verlust Sarias verglichen mit seinen Leistungen leise. Eine Tatsache, die dem Menschen Walter Saria gerecht wird. Einem fairen, kameradschaftlichen, heimatverbundenen, unterstützenden Zeitgenossen, dem das Rampenlicht zwar ein ständiger Begleiter, trotz allem aber fremd war, der sein Ego in den Dienst der Mannschaft stellte. Man möchte meinen, Saria sei kein „typischer Tormann“ gewesen, wenn man sein Auftreten mit jenem der selbstbewussten Kahns, Bachmanns, Konsels oder Konrads der Gegenwart und Vergangenheit vergleicht. Die sympathische Antithese eines Tormanns eben.

Julian Berger, abseits.at

Julian Berger