Selten waren Erwartungshaltung und Endergebnis bei meinen Buchrezensionen so inkongruent wie bei Georg Pangls Blick hinter die Kulissen der Fußballwelt – und das meine... Buchrezension: Georg Pangls „Theater der Träume“

Selten waren Erwartungshaltung und Endergebnis bei meinen Buchrezensionen so inkongruent wie bei Georg Pangls Blick hinter die Kulissen der Fußballwelt – und das meine ich positiv. Als ich das Machwerk in den Händen hielt, spürte ich förmlich schon, wie mir die Füße einzuschlafen drohten. Letztendlich „verputzte“ ich „Mein Theater der Träume“ aber auf einen Satz und fühlte mich blendend unterhalten. Die Erinnerungen des einstigen Bundesligavorstandes sind „ein Stück österreichische Fußballgeschichte“, wie er selbst sagt. Der heute 57-jährige gründete nach seinem Ausscheiden aus der European Professional Football Leagues (EPFL), der Vertretung von 36 europäischen Profiligen, die „Pangl Football Group“ und machte sich als Unternehmer selbstständig. Die Entwicklung des Profifußballes sieht er zwar kritisch, wie er in fünf Thesen am Ende seines Buches erklärt, allerdings ist Pangl heute als eine Art „Edel-Lobbyist“ tätig und somit immer noch Teil des Systems. Er schwimmt genauso im Organismus des Fußballgeschäftes wie Fans, die Anti-Kommerz-Doppelhalter hochhalten, aber den Sport durch ihr Interesse mitfinanzieren. Auch ich bin auf eine Art und Weise Teil der Maschinerie.

Georgi, Schurl, George, Schorschi

Pangl hat viele Namen: Meist nennen ihn Kollegen „Schurl“, international wird er „George“ gerufen. Schon im Prolog klopft ihm kein Geringerer als David Beckham mit den Worten „Hi, Georgi, how are you?“ auf die Schultern. Der der im burgenländischen Stotzing, oberhalb von Eisenstadt, Aufgewachsene hat es weit gebracht, nachdem er eher zufällig zum Fußball kam. Der junge Georg arbeitet einst bei einem Transportunternehmen in Wiener Neudorf als ihn unverhofft der ÖFB für einen Nachwuchsfunktionärsjob einstellen möchte. Empfohlen hat ihn einer seiner damaligen Lehrer aus der Handelsakademie mit den Worten: „Der war Klassensprecher und hat in der Schulauswahl gespielt.“ 1986 beginnt für Pangl daher das Abenteuer ÖFB und er beweist Talent. In flotter Erzählweise berichtet der Autor von seinen Anfängen als Jugendsekretär – Übernachtungen im selben Bett wie Bruno Pezzey, geheime Partys mit Werner Gregoritsch oder private Chauffeurdienste für Zinédine Zidane und Didier Deschamps inklusive. Eine Anekdote endet, wo eine andere beginnt und der/die Leser:in will das Buch nicht weglegen.

1993 fängt Pangl noch an nebenbei die Bäckerei seines Großvaters zu schupfen – Familiensache. Sein Tag beginnt um 6 Uhr früh und endet spät abends, doch der gebürtige Burgenländer brennt für seine Arbeit. Seine Strebsamkeit macht sich bezahlt: Als „Venue Director“ der Champions League ergattert der Funktionär einen begehrten Nebenjob. Pangl macht steile Karriere bei der UEFA, wo er u.a. Champions League-Finali organisiert. Von Nyon aus fliegt er durch die Welt, damit am jeweiligen Endspieltag ein Fußballfest über die Bühne geht. Erstmals klingt im Buch zarte Kritik durch Pangls Schilderungen, denn Fußball ist ein Milliardenbusiness mit Ressourcenverschwendung ohne Ende: „Man arbeitet mehr als ein Jahr auf einen Event hin, der unvorstellbare Summen in der Organisation verschlingt. Und ab Mitternacht nach dem Finale wird die komplette Dekoration sowie das Branding entsorgt. Wenige Tage später wird das neue Logo und die Kampagne „Road to the Final“ präsentiert und die ganze Übung beginnt von vorne.“

2004 tritt der Buchautor – wieder unverhofft – den Posten als österreichischer Bundesliga-Vorstand an, weil ihn der damalige Präsident Frank Stronach unbedingt will: „Du sagst deutlich deine Meinung, hast deine Prinzipien und bringst sie auch zum Ausdruck. Das ist perfekt für den Job.“ In der hoch verschuldeten Liga muss der Ex-UEFA-Mitarbeiter mit Rasenheizungsverweigerern, Wettskandalen, TV-Rechten und Sponsoren zurechtkommen. Mit Erfolg wagt er sich an kühne Projekte wie einen Kollektivvertrag für Profifußballer und träumt von einem Think-Tank mit Stronach, Mateschitz, Landeshauptmann Pröll, Kartnig sowie (ungenannten) Top-Unternehmern und „Machern aus den Medien“ um die Bundesliga qualitativ aufzubessern. Doch irgendwann ist die Zeit Pangls an der Spitze des österreichischen Klubfußballs abgelaufen – vor allem, weil die Zusammenarbeit mit dem neuen Bundesliga‑Präsidenten Hans Rinner nicht funktioniert. Im Juni 2014 heuert der Ex-ÖFB-Jugendsekretär daher bei der EPFL an, wo er rund fünf Jahre bleibt.

Der Mann mit der Atomuhr

Es gibt so viele Geschichten, die man aus „Mein Theater der Träume“ wiedergeben könnte. Pangl berichtet von Begegnungen mit Funktionärsgrößen des Weltfußballes, aber auch von Privatem – wie etwa, als sein Sohn sein Handy ins Klo fallen ließ, justament als der Herr Papa auf einen wichtigen Anruf wartete oder als er für Ronald Koeman Zahnpasta besorgen musste.

„Mein Theater der Träume“ ist dabei flott geschrieben und stilistisch fehlerfrei. Vor allem Letzteres ist bei vielen Sportlerbiografien, die ich an dieser Stelle schon einer Beurteilung unterzogen habe, nicht der Fall gewesen.

Stutzig macht wie unorganisiert und vom Sanctus einflussreicher Männer (Frauen gibt’s keine) die milliardenschwere Fußballindustrie abhängig ist: Beispielsweise wird Pangl von Mattersburg-Obmann Martin Pucher zum Mittagessen mit dem damaligen Bundesliga-Präsidenten Frank Stronach eingeladen, der ihn dort nur wegen seiner Handschlagqualitäten engagiert. Konzept? Fehlanzeige! So geht es weiter, denn erst nach seiner Wahl zum Liga-Vorstand erfährt der Funktionär – mehr oder weniger – zufällig, dass die Liga zahlungsunfähig ist. Auch auf internationaler Ebene ist die Entscheidungsfindung eher ein Fall für die Löwinger-Bühne: Bei der umstrittenen Champions League-Reform 2018 sind etwa anfangs alle „Kleinen“ einstimmig dagegen, nach salbungsvollen Worten von Kalle Rummenigge wird die Reform jedoch von allen angenommen. Als Pangl danach den Vertreter eines osteuropäischen Klubs fragt, ob er auch abgestimmt hat und dieser das bejaht, muss ihn der Burgenländer darauf aufmerksam machen, dass er überhaupt kein Stimmrecht gehabt habe. Pangls Fazit: „Es ist interessant, wie man Demokratie leben kann.“ Offensichtlich gar nicht.

Für Fußballinteressierte lohnt sich der Blick hinter die Kulissen jedenfalls, wenn der Autor Details, wie sein geheimes Ritual vor Spielbeginn mit den Schiris lüftet: International ist es besonders wichtig, dass die Spiele wegen der TV-Übertragungen pünktlich angepfiffen werden, weswegen Pangl eine Art Handzeichen-Signal für den Unparteiischen erfindet, wenn seine Atomuhr die Anstoßzeit anzeigt.

„Alle Vereine sind gleich, aber manche sind gleicher als andere.“

In „Mein Theater der Träume“ übt Pangl ausschließlich sachliche Kritik. Auch an Personen. Intimfeind Rinner verweigert ihm am Ende ihrer Zusammenarbeit sogar die Verabschiedung von den Klubpräsidenten, indem er die Aufsichtsratssitzung (vermeintlich) früher beginnen lässt, damit die Kollegen schon weg sind, wenn Pangl kommt. Der Burgenländer gibt den entspannten Buddhisten: „Kein Problem, Hans. Alles Gute!“, verabschiedet er sich. Später schreibt er dem Sturm-Präsidenten einen Brief, den er nicht abschickt, sondern stattdessen anzündet – ein Ritual des Vergebens. Rinner stirbt vier Jahre später an Krebs.

Zwischen Pangl und Martin Pucher besteht dagegen eine wechselhafte Beziehung, die mit dem Rückzug des Bankunternehmers vom Amt des Ligapräsidenten plötzlich endet. Als kritischer Geist kann man zwar irgendwie noch glauben, dass auch der Ligavorstand von den Machaloikes rund um die Commerzialbank Mattersburg nichts gewusst haben will. Pangls Fazit zu Pucher, der viele Existenzen zerstörte, lautet aber nüchtern: „Fürchterlich! Sein Schicksal geht mir unter die Haut.“ Nur sein Schicksal? Zu Blatter, der wohl nicht mehr viele Freunde hat, oder Infantino (der Name ist Programm) findet der Buchautor im Übrigen keine kritischen Worte: Mag schon sein, dass er beide Herren zwar im persönlichen Umgang als sympathisch erlebt hat, dass diese Menschen dem Fußball aber mehr geschadet als genutzt haben, dürfte nunmehr Konsens sein.

Aktuell sieht sich der Unternehmer Pangl als „Generalist, der Freude daran hat, Spezialisten zu einem guten Zweck zusammenzubringen.“ Er arbeitet weiterhin in der Branche, obwohl er diese kritisch sieht, wie er am Ende seines Buches erklärt. Pangl prophezeit, die Schere zwischen armen und reichen Klubs werde noch größer werden. International werden nur mehr die großen Ligen für cashflow sorgen und immer dieselben Klubs die ligenübergreifenden Wettbewerbe dominieren. Die Forderungen des zweifachen Vaters nach mehr Demokratie und Mitsprache der Fans, belegt dieser aber nicht mit Strategien oder Plänen. Georg Pangls Kampf für kleinere Vereine während seiner Zeit als internationaler Funktionär in allen Ehren; heute netzwerkt er trotzdem als Teil einer riesigen Maschinerie, die sich mit Umweltprojekten oder Frauenförderung in Mikrodosen weißzuwaschen versucht. Fußball ist ein Scheiß-Geschäft.

„Mein Theater der Träume“ von Georg Pangl ist 2022 bei Egoth erschienen und kostet 25,50 EUR.

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag