Politikwissenschaftler, Medien und Laien waren sich selten so einig wie am 24. Februar 2022 – an jenem Tag, an dem klar war, dass sich... Wie der moderne Fußball mit dem Ukraine-Krieg umgeht

Politikwissenschaftler, Medien und Laien waren sich selten so einig wie am 24. Februar 2022 – an jenem Tag, an dem klar war, dass sich die internationale Weltordnung nachhaltig ändern würde. Und während gewalttätige Konflikte, wie jener in der Ukraine, der sich nunmehr auch für den letzten Experten zu einem klassischen Krieg entwickelt hat, im öffentlichen Diskurs verständlicherweise mehr auf der Ebene der internationalen Politik und deren Institutionen geführt wird, haben die Bilder aus Mariupol und anderen zerstörten Städten mittlerweile die ganze Weltgemeinschaft erreicht und so die Diskussionen auf jeden Bereich des Lebens, sogar den vermeintlich unpolitischen Fußball, ausgeweitet. Ein Beitrag über die ewig alte Verbindung zwischen Politik und der schönsten Nebensache der Welt, die auf ihre ganz eigene Art und Weise zeigt, wofür sie stehen will.

WM 1934, Israels Ausschluss & die UEFA

Letzten Sommer wurden sie ein weiteres Mal laut, die Stimmen, die den unpolitischen Fußball fordern. Der DFB solle die Münchner Allianz-Arena im Spiel gegen Ungarn nicht in Regenbogenfarben erstrahlen lassen, ideologische Konflikte sollen nicht auf der sportlichen Ebene ausgetragen werden, hieß es. Ein Blick auf die Geschichte zeigt jedoch, dass die Trennung von Macht und Fußball genauso schwer wie unmöglich ist. Als 1934 Österreichs „Wunderteam“ im Halbfinale dem späteren Weltmeister Italien 0:1 in einem vom Schiedsrichter klar manipulierten Spiel unterlag, legte man keinen Protest bei der FIFA ein – zu groß war die Angst den italienischen Diktator Benito Mussolini zu verärgern und einen internationalen Konflikt zu provozieren. Auch die politischen Spannungen im Nahen Osten sorgten für einen Boykott der arabischen Staaten und den Ausschluss Israels aus dem asiatischen Fußballverband. Erst 1991, nach dem Ende des Kalten Krieges, wurde die IFA in die UEFA aufgenommen und so wieder Teil eines kontinentalen Verbandes. Die Frage stellt sich, wie so oft bei Konfliktsituationen, wie reagieren die zuständigen Dachorganisationen als Schlichtungseinrichtungen auf Probleme abseits des runden Leders? Im Falle der EURO 2020 etablierte die UEFA ihr klassisches, zahnloses Image: Die Allianz-Arena durfte nicht als Form des Protestes gegen ein ungarisches, LGBTQI-Gruppen einschränkendes Gesetz regenbogenfarbig beleuchtet werden. Für viele Beobachter etwas kurios, behauptete der europäische Verband noch kurz zuvor, dass diese EURO „eine EURO für alle“ sei, mit klarem Blick auf Fußballfans, die LGBTQI-Gruppen angehören, ganz zu schweigen vom omnipräsenten UEFA-Hashtag „#EqualGame“. Man scheint quasi die Taktik, die man predigt, nicht auf den Platz bringen zu können.

Schauplatzwechsel Ukraine 2022: Wenn die Verbände Zähne zeigen

Verfolgt man die Reaktionen der Fußballverbände auf die aktuelle Situation in der Ukraine, beginnt man eventuell, seine Wahrnehmung grundlegend zu hinterfragen. Plötzlich ist alles anders. Nach tagelangen Überlegungen beschlossen die FIFA wie UEFA massive sportliche Sanktionen gegen Russland: Die „Sbornaja“ ist bis auf weiteres von jeglichen Bewerben ausgeschlossen, so auch von der geplanten WM in Katar dieses Jahr, genauso dürfen die russische Klubs dürfen nicht mehr am internationalen Geschehen mitwirken. Bereits zuvor beschlossen die Nationalmannschaften des WM-Quali Playoff Weges, in dem sich Russland befindet, unter keinen Umständen gegen den Veranstalter der letzten Weltmeisterschaft anzutreten. Die vielleicht spannendste und neuartigste Maßnahme betrifft jedoch die Spieler, die in Russlands Premier Liga und darunter ihre Brötchen verdienen: Das Transferfenster wurde außerplanmäßig geöffnet, was bedeutet, dass Fußballer wie etwa der Ex-Rapidler Mateo Barac ihre Vereine ablösefrei verlassen können. Welche Auswirkungen das auf den europäischen Fußball haben wird, auch im Lichte der zu erwartenden russischen Wirtschaftskrise, ist derzeit noch nicht genau absehbar. Der organisierte Fußball zeigt auf jeden Fall ein ganz anderes Gesicht. Nach jahrelangen „Respect“-Kampagnen und Deals mit kontroversen Regimen schafft man es nun scheinbar, das Versprochene auch selber vorzuleben und sich klar zu positionieren.

Eine neue Perspektive für „the beautiful game“

Wie also geht der moderne Fußball mit dem Krieg in der Ukraine um? Sanktionen und Statements von Organisationen sind nur die eine Seite der leuchtenden Medaille des Weltfußballs. Dieser Sport wurde nämlich noch nie von Institutionen getragen, im Mittelpunkt des Geschehens standen stets zwei andere Akteure: Der Spieler auf dem Platz und der Fan auf der Tribüne. Gerade diese zwei Gruppen zeigen derzeit, warum Fußball „the beautiful game“ ist: Solidaritätsaktionen der Spieler werden von tausenden Zuschauern gefeiert, organisierte Fanszenen sammeln Spenden für Kriegsopfer. Ein Besuch im Stadion ist auch ein Stimmungsbarometer zum aktuellen Weltgeschehen. Man will sich irgendwo ablenken vom „Doomscrolling“ und wenn dann zwei Fangruppen mit den unterschiedlichsten Gesinnungen sich gemeinsam gegen Gewalt und Ausgrenzung solidarisieren, merkt man auch anhand der eigenen Emotionen, wie sehr einen das Leid anderer Menschen mitnehmen kann, seien sie auch hunderte Kilometer entfernt. Der moderne Fußball ist genauso wie mittlerweile jeder andere Aspekt unseres Lebens Teil des öffentlichen Diskurses. Social Media und Co lassen zwar Nebensachen schnell wie Hauptsachen wirken, aber wenn die echten Hauptsachen wieder schlagend werden, merkt man schnell wie nebensächlich „the beautiful game“ sein kann. Dann wird auch klar, wie die schönste Nebensache der Welt, der Fußball, eine Perspektive bieten kann, um seinen Emotionen zum politischen Weltgeschehen Ausdruck zu verleihen.

Thomas Halm