Jeden Sonntag wollen wir in dieser Serie Spieler beleuchten, die ungewöhnliche Wege eingeschlagen haben. Wir möchten Geschichten von Sportlern erzählen, deren Karriere entweder im... (Wo)Men to (re)watch (18) –  Edith Klinger und die ersten Wiener Fußballerinnen

Jeden Sonntag wollen wir in dieser Serie Spieler beleuchten, die ungewöhnliche Wege eingeschlagen haben. Wir möchten Geschichten von Sportlern erzählen, deren Karriere entweder im Konjunktiv stecken blieb, die sich zu einem gegebenen Zeitpunkt radikal verändert haben oder sonst außergewöhnlich waren und sind: Sei es, dass sie sich nach dem Fußball für ein völlig anderes Leben entschieden haben, schon während ihre Profizeit nicht dem gängigen Kickerklischee entsprachen oder aus unterschiedlichen Gründen ihr Potenzial nicht ausschöpften. Auf jeden Fall wollen wir über (Ex)-Fußballer reden, die es sich lohnt auf dem Radar zu haben oder diese (wieder) in den Fokus zu rücken. Wir analysieren die Umstände, stellen Fragen und regen zum Nachdenken an. In der achtzehnten Ausgabe sprechen wir über Edith Klinger und die ersten kickenden Damen aus Wien…

Mädchen wie Buben haben den Drang sich zu bewegen, das war schon immer so. Als vor der Jahrhundertwende der Fußballsport in Kontinentaleuropa aufschlug, liefen nicht nur Knaben, sondern auch ihre weiblichen Altersgenossinnen der Lederkugel hinterher. Frauenfußball ist keine neuzeitliche Erfindung, über die Wurzeln des Sportes hört und liest man jedoch kaum etwas. Damals wie heute mussten sich kickende Frauen rechtfertigen und wurden mit den immer gleichen Klischees konfrontiert: Frauenfußball sei unästhetisch, langweilig; ja, anfangs versuchte man den Damen sogar einzureden, kicken sei für das weibliche Geschlecht ungesund, da feminine Körper über „sensiblere Organe“ als Männer verfügen. Mit folgendem Text soll eine kleine Zeitreise in jene Tage unternommen werden, in denen „22 Wiener Mädl ihren ersten Ball“ erlebten – wie eindeutig zweideutig – eine bekannte österreichische Tageszeitung am 15. Oktober 1936 titelte…

„Na, wenn es ihnen Freude macht…“

Mit den Worten „Wenn die Damen ihren Spaß dabei haben, die Leute kommen ins Stadion, ist doch schön […], sie machen ja nichts Schlechtes.“ tappte Roman Mählich, Ex-Profi, Fußballexperte und Vater zweier Töchter, einst ins Fettnäpfchen. Schulterzuckend will so mancher Zwergen-Patriarch nichts Niederträchtiges an diesem Satz erkennen; die meisten stellen sich jedoch wohl absichtlich blind: Mählichs Aussage reiht sich in die Historie der Berichterstattung über Damenfußball ein, denn zu allen Zeiten wurden – mal ironisch, mal unverblümt, sexistisch oder fahrlässig – die fußballerischen Bemühungen der Frauen in den Dreck gezogen.

Schon einer der rund 2000 Zuschauer soll bei der Premiere des organisierten Wiener Frauenfußballs gesagt haben: „Das wird ein Theater, wie die Mädl‘n danebenhauen werden.“ An diesem Oktobertag 1936 nahm Austrias Starstürmer Matthias Sindelar höchstpersönlich den Ankick vor, jene Dame, die für den ersten Treffer sorgte, wurde wie er „Papierene(r)“ gerufen: Emma Redl. Die Mittelstürmerin des Damen-Fußballklubs Wien (DFC) gehörte zu den ersten erfolgreichen Wiener Fußballerinnen. Gemeinsam mit ihren Kolleginnen begeisterte sie an diesem Herbstnachmittag das Publikum. Die Kritik lobte später insbesondere „die Schneid und den Mut der Damen.“ Letztendlich trennten sich in dieser ersten Begegnung der DFC Wien und die Austria mit einem 3:3-Unentschieden.

Mehr als zehn Jahre zuvor hatten tapfere Fußballpionierinnen bereits ein erstes reines Damen-Fußballmatch veranstalten wollen: Da aber eine Mannschaft im September 1923 nicht vollständig angereist war und so die nur neun Frauen zählende Mannschaft eine Gegnerin zugesprochen bekam, also zehn gegen zehn spielten, kann dies nicht als offizielle Premiere gewertet werden. Auch Versuche als reiner Frauen-Fußballverein in den österreichischen Verband aufgenommen zu werden scheiterten damals.

Fast zwölf Jahre später war es jedoch so weit: Im Dezember 1934 ließ eine Frau den 1. Damen-Fußballklub (DFC) mittels Hinterlegung der Vereinsstatuten bei der zuständigen Behörde genehmigen. Ihr Name: Edith Klinger – nicht zu verwechseln mit jener Frau, die später im ORF herrenlose Tiere zu vermitteln versuchte. Per Zeitung ließ „Fräulein“ K. verlautbaren, dass jede Wienerin zwischen 17 und 25 Jahren, die „Fußballerblut durch ihre Adern fließen fühlt“ sich in der Gonzagagasse 11 in Wien I melden könne. „Wir Frauen schwimmen, wir reiten, wir spielen Tennis, Golf, warum nicht auch Fußball?“, fragte sie in einem – aus heutiger Sicht vor Misogynie triefenden – Zeitungsartikel. Es meldeten sich zahlreiche Damen – ledige und verheiratete, bürgerliche und proletarische. Klinger setzte darauf im (geschichtsträchtigen) Februar 1934 die erste Generalversammlung des Vereins im (heute nicht mehr existierenden) „Café zum alten Rathaus“ in der Wipplinger Straße an. Dort einigten sich die anwesenden Damen auf eine Einschreibgebühr von 50 Groschen (30 Groschen für Arbeitslose) und einen Mitgliedsbeitrag von einem Schilling. Ins erste Präsidium wählte man neben der Gründerin Klinger noch Alice Maibaum, Emilie Redl, Martha Smetana, Wilma König und drei Herren, denn „ohne [die] geht’s halt nicht“ – das fand zumindest der anwesende (männliche) Chronist.

Die kickenden Damen trafen sich in der Folge donnerstags und sonntags zum Training auf dem sogenannten Lehrersportplatz, dem heutigen Postsportplatz, in Wien-Hernals, wo auch das Premierenmatch im Herbst ‘36 stattfinden sollte. Schon kurze Zeit später gründete sich ein Ableger des DFC, der komplett ohne Herren auskommen wollte, als „Österreichischer Damen-Fußballklub ‚Wien‘“. Im August 1935 war die Anzahl der Wiener Frauenfußballvereine auf stolze drei Klubs angewachsen. Neben Spielvereinigungen wie Vindobona oder Favoriten, hatten auch die heutigen Wiener Großklubs Austria und Rapid weibliche Namensvetterinnen, die mit den Stammklubs aber nur die Namen gemeinsam hatten.

Klinger und ihre Mädls

Der Wiener Frauenfußball erlebte einen ersten Boom: Zwischen 2000 und 3000 Zuschauer:innen pro Match sorgten für eine kleine aber feine Fangemeinde rund um die Hauptstadt. Bei internationalen Partien waren sogar bis zu 4000 Menschen anwesend. Im März 1936 wurde mit der „Österreichischen Damenfußball Union“ eine eigene Liga gegründet; den Vorsitz übernahm mit Franz Holzer der Trainer des DFC, Edith Klinger fungierte als seine Stellvertreterin. Doch die Freude über die Austragung einer eigenen Meisterschaft war nur von kurzer Dauer, denn die Herren des ÖFB hatten genug vom Damenfußball und verboten den teilnehmenden Vereinen kurzerhand auf Verbandsplätzen zu spielen. Die mangelnde Unterstützung war den Kickerinnen zunächst egal – immerhin waren sie Widerstand gewohnt -, sie spielten auf eigens akquirierten Plätzen. Erster Damenmeister wurde Mitte Juli 1936 die Austrianerinnen. Mit der Zeit wurde es jedoch schwieriger Plätze zu mieten, da der Verband privaten Platzbetreiber drohte bei Kooperation mit den Fußballerinnen nicht mehr länger mit ihnen zusammenzuarbeiten.

Für die nächste Saison organisierte sich die „Damenfußball Union“ daher ein eigenes Spielfeld im Prater, den Olympiaplatz, und rief einen Cupbewerb ins Leben. Trotz dieser Bemühungen kam jedoch außerhalb Wiens nicht mehr genügend Schwung in die Sache: In den Bundesländern gab es zwar Interesse, aber aufgrund der Spielfeldprobleme konnten sich keine Mannschaften halten. Außerdem schafften es die eingespannten Ehefrauen und Mütter in ganz Österreich nicht immer zum Training bzw. zu den Spielen zu kommen. Auf Unterstützung ihrer Männer konnten die wenigsten bauen. Das musste DFC-Stürmerin Maria Lutz am eigenen Leibe erfahren, als ihr im Zuge ihres Scheidungsverfahrens im September 1936 vorgeworfen wurde, sie hätte wegen des Fußballs „ihre Hauswirtschaft und ihr Kind vernachlässigt“: Herr Lutz habe für sich und den gemeinsamen zehnjährigen Sohn kochen müssen, weil die Offensivspielerin ihre Zeit lieber „im Kreise der Fußballerinnen [verbrachte] […] und das Wirtschaftsgeld für Sportzwecke verwendete“.

Lutz gehörte wie Klinger, die 1935 Österreichs erste Schiedsrichterin wurde, zu den Hauptprotagonistinnen dieser Zeit. Edith Klinger war zwar klein und zierlich, konnte sich jedoch auf dem Feld als Unparteiische resolut durchsetzen. Mit 111 Toren gilt Leopoldine Kantner als erfolgreichste Torschützin der 1930er-Jahr. Josefine Lauterbach nahm als Handballerin an den Olympischen Spielen teil, ehe sie zu kicken begann. Einige Fußballerinnen dieser Zeit mussten nach der Annexion an Nazideutschland aufgrund ihrer jüdischen Herkunft fliehen, unter ihnen das DFC‑Präsidiumsmitglied Alice Maibaum oder „Tormännin“ [sic!] Gusti Lovato von Vindobona.

Mitte der 30er traten die Wiener Frauenfußballerinnen gegen ihre Geschlechtsgenossinnen aus Tschechien und Ungarn an, als den Brünnerinnen die Teilnahme gegen eine Wiener Auswahl einmal verboten wurden, traten diese fluggs aus dem tschechischen Fußballverband aus und gründeten – nach österreichischem Vorbild – einen eigenen Frauenfußballbund. Die Damenfußball Union plante weitere Reisen nach Frankreich oder England, diese konnten aber aus finanziellen Gründen nicht mehr realisiert werden.

In die vierte Saison der Frauenliga platzte schließlich der Anschluss an Nazi-Deutschland im März ‘38, der zwar zunächst kurzfristige Erleichterung bringen sollte, denn mit der Auflösung des ÖFBs fiel das Platzproblem weg. Die Nationalsozialisten hatten jedoch für Frauenfußball – wie man sich redlich vorstellen kann – überhaupt nichts übrig: Sie verhängten im Juni desselben Jahres ein allgemeines Spielverbot für Frauenfußball und zwangen die österreichische Damenfußballunion zur Auflösung.

Der erste Frühling des Wiener Frauenfußballs war letztendlich nur kurz und voller schmerzvoller Erfahrungen, aber auch eine glückliche Zeit, wenn man den lächelnden Damen in gestreiften Trikots auf den vergilbten Schwarzweißfotos glauben möchte. Tatsache ist, dass Edith Klinger und Co. zu den Wegbereiterinnen des Frauenfußballs in Wien, Österreich und Europa gehören und ein Beweis dafür sind, wie man mit Beharrlichkeit und Kreativität allen Umständen zu trotz Träume realisieren kann. Danke euch, ihr Kickerinnen!

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag