„… den bestraft das Leben.“, pflegte Michail Gorbatschow zu sagen. Trotzdem gibt es Leute, denen die notorische Unpünktlichkeit nicht auszutreiben ist. Nicht nur für... Anekdote zum Sonntag (109) – Wer zu spät kommt, …

„… den bestraft das Leben.“, pflegte Michail Gorbatschow zu sagen. Trotzdem gibt es Leute, denen die notorische Unpünktlichkeit nicht auszutreiben ist. Nicht nur für sie selbst, auch für ihre Mitmenschen ist das mitunter eine echte Qual. Rapid-Trainer Peter Pacult hat einst aus dem Nähkästchen geplaudert und erzählt, dass Peter Hlinka bei Rapid regelmäßig zu spät dran war ohne dass einer seiner Kollegen besonders Anstoß daran genommen hätte. Pacult erinnerte sich an seine Zeit als Aktiver: „Beim dritten Mal hättest du ein Problem mit einem älteren Spieler gehabt, aber ein anständiges. Es geht nicht nur um die paar Minuten, sondern um die falsche Einstellung. Das Match fängt auch um 15.30 Uhr an, da kann ich nicht zum Schiedsrichter gehen und sagen: „Wart ma nu zwa Minuten.“

Jahrzehnte vor Hlinka und Pacult hatte der wahrscheinlich beste europäische Fußballer seiner Zeit ebenso seine Probleme mit der Zeit. Für Franz Hasil – Mittelfeldgenie, Feyenoord-Legionär und Bruder Leichtfuß – galt fast immer Marcel Proust Romantitel: „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“. Sein Trainer Ernst Happel bezeichnete ihn als gottbegnadeten Fußballer, dem man aber erst die Einstellung beibringen musste. Er hatte Recht. Der gebürtige Schwechater beherrschte den Ball wie kaum ein anderer, abseits vom Platz war er schusselig, bequem, konnte weder mit Geld noch – wie gesagt – mit Zeit umgehen. Man ist geneigt zu denken, dass dies vielleicht die Rache der Natur für Hasils unglaubliches Talent war. Ging es um Fußball war ein gutgelaunter Hasil exakt, elegant, schnörkellos: Er schickte Zuckerpässe in die Tiefe und ließ Weitschüsse Richtung Tor krachen. Als Junger schonte er sich auch nicht vor Fleißaufgaben: Selbst für Tacklings war sich der Edelzangler nicht zu fein. Doch wenn ihn die Lust verließ, war ihm alles egal. Dann stotterte der Mittelfeldmotor und der gebürtige Niederösterreicher schleppte sich gelangweilt über den Platz. Da half kein Schreien und kein Fluchen: Es war wie in Stein gemeißelt. Dieselben troubles pflegte Hasil mit dem Zuspätkommen: Einmal, in den 60ern, fuhr Franz mit seinem jüngeren Bruder Johann von seiner Wohnung in der Waidhausenstraße im 14. Bezirk ins Prater Stadion. Wie üblich mussten sie sich beeilen und hofften, dass der Verkehr mitspielte.

Schleckerbatzl! Stop-and-Go bis zum Südtiroler Platz, wo die beiden Hasils schließen stehen bleiben mussten, war angesagt. Die Uhr zeigte mittlerweile kurz vor 18 Uhr an und Franz wurde echt nervös. Schließlich griff er zum letzten Strohhalm: Er lenkte sein Auto auf die Schienen der Straßenbahnlinie 18 und gab Gas. Die holprige Fahrt wurde durch ein Hupkonzert der brav wartenden Fahrer begleitet, doch an der nächsten Kurve endete das Abenteuer: Zwei Uniformierte hielten Franz und Johann auf. Verzweifelt greinte der Fußballer: „Es tut mir leid. Aber ich muss dringend ins Stadion!“ Der Polizist entgegnete, dass so gut wie jeder, der hier im Stau stand zum Ländermatch wollte. Jetzt setzte der Fußballer alles auf eine Karte:  Er zeigte seinen Führerschein und erbettelte sich so eine Blaulicht-Fuhre mit Vollgas. Tatsächlich ließen sich die Streifenpolizisten erweichen und kutschierten den schusseligen Fußballer höchstpersönlich in den Prater. Dort angekommen sprang Franz aus dem noch rollenden Auto und lief Richtung Katakomben. In der Eile hatte er glatt vergessen, dass sein Bruder Johann mit seinen 15 Jahren noch führerscheinslos war und nun im vierten Wiener Gemeindebezirk mit beschlagnahmtem Auto hilflos dastand. Dein Freund und Helfer hatte jedoch erneut ein Einsehen und lotste den Jugendlichen auf den nächsten Parkplatz.

Hasil selbst behauptet, dass dieser Zwischenfall nicht die einzig seltsame Begegnung mit der Polizei war: Des Öfteren half eine Unterschrift des Kickers und das Strafmandat wegen Schnellfahrens wurde klammheimlich entsorgt. Aber: „Worüber man nicht reden kann, darüber soll man schweigen.“, wie Ludwig Wittgenstein zu sagen pflegte.

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag

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