Ursprünglich sollte es ein kurzes Interview mit Austria-Trainer Michael Wimmer werden, da wir zunächst rund 30 Minuten Zeit für ein Gespräch mit dem Coach... Michael Wimmer im Interview (1): Das Derby war definitiv ein „Gamechanger“

Ursprünglich sollte es ein kurzes Interview mit Austria-Trainer Michael Wimmer werden, da wir zunächst rund 30 Minuten Zeit für ein Gespräch mit dem Coach der Veilchen erhielten. Doch aus der geplanten halben Stunde entwickelte sich ein 90-minütiges, intensives Gespräch, das wir aufgrund des großen Umfangs nun in drei Teilen veröffentlichen. Im ersten Teil beleuchten wir Michael Wimmers Anfänge bei der Wiener Austria und zeigen viele interessante taktische Gedanken des Trainers sowie seiner Arbeitsweise auf. Der zweite Teil fokussiert sich auf die Gegenwart und den Auf und Abs in diesem Herbst. Im dritten und abschließenden Teil richten wir den Blick nach vorne und diskutieren Ausblicke und Zukunftspläne.

abseits.at: Sie sind nun seit fast einem Jahr Trainer bei der Wiener Austria. Wie haben Sie ihre Anfangszeit erlebt? Mit welchen Erwartungen sind sie damals in diese Aufgabe gegangen? Es ging ja damals ziemlich turbulent bei den Violetten zu.

Michael Wimmer: Die Situation zu Beginn meiner Bestellung als Cheftrainer der Austria war natürlich nicht einfach und dass die Reaktion auf den Abgang meines Vorgängers relativ heftig ausfiel, habe ich in der Form auch erst nach meiner Übernahme und als ich da war mitbekommen. Andererseits war mir aber auch im Vorfeld klar, dass diese Aufgabe generell auch eine Herausforderung werden würde – aufgrund der gesamten Umstände rund um den Verein und der generell kurzen „Überlebensdauer“ der vorherigen Trainer. Da gab es natürlich auch einige Stimmen, die im Vorfeld meinten, dass ich es nicht länger als ein paar Monate schaffen würde. Ich habe aber oft betont, dass Austria Wien in Deutschland einen sehr guten Namen hat und ein absoluter Traditionsverein ist. Ein Traditionsverein ist meiner Meinung nach allgemein immer etwas Spezielles und für mich war daher sofort klar, dass mich das reizt und ich diese Aufgabe übernehmen will, so herausfordernd und schwierig es im Vorfeld auch dargestellt wurde.

Natürlich war es dann auch am Anfang so, dass man kritisch beäugt wurde vom Umfeld, was aber meiner Meinung nach vollkommen legitim war. Mein Vorgänger genoss eine große Sympathie bei den Fans und ist eine Austria-Legende. Ich habe aber gleichzeitig auch nie das Gefühl gehabt, dass die Fans gegen mich waren, sondern dass Manfred Schmid einfach ein hohes Standing hatte, was natürlich nicht von ungefähr kam, sondern eine Form der Auszeichnung für seine Arbeit war. Ich habe es dann akzeptiert, dass sie mich erstmal kennenlernen wollten und ich habe relativ schnell festgestellt, dass es eben nie gegen meine Person gerichtet war. Es ist dann am Anfang ergebnistechnisch auch relativ gut gelaufen, mit dem positiven Frühjahrsstart und vier Siegen aus sechs Spielen. In weiterer Folge gab es dann auch ein emotionales Highlight, nämlich den 2:0-Derbysieg im Heimspiel gegen Rapid, wodurch wir uns für die Meistergruppe qualifizieren konnten. Das war dann der „herzlich willkommen in der Austria-Familie“-Moment, der mich nicht nur stolz gemacht hat, sondern wodurch auch sicherlich einiges an Druck in mir selbst abgefallen ist.

Was für eine Mannschaft haben sie nach ihrer Übernahme vorgefunden? Wie würden Sie den Zustand beschreiben?

Wimmer: Als ich ankam habe ich eine Situation vorgefunden, wo mannschaftlich alles intakt war. Eine Mannschaft, die geschlossen zusammenhielt, gleichzeitig aber auch extrem lernwillig war. Demensprechend hat die Mannschaft meinen Co-Trainer Ahmet Koc und mich mit offenen Armen empfangen – ohne jegliche Vorbehalte oder einer Form der Ablehnung. Vom ersten Training an spürte man auch die Offenheit und dass die Spieler die Situation angenommen hatten, weshalb mir die Arbeit mit den Spielern vom ersten Tag an auch enorm viel Spaß bereitet hat. Das hat sich auch seit dem 3. Januar zu keinem Zeitpunkt verändert und ich gehe jeden Tag mit viel Freude in die Kabine, um mit den Jungs zu arbeiten.

Und welche Schwerpunkte haben sie in der Anfangszeit gesetzt?

Wimmer: Mir war in erster Linie mal wichtig, die Spieler so schnell wie möglich kennenzulernen. Aus diesem Grund habe ich auch als eine der ersten Amtshandlungen, mit jedem einzelnen Kaderspieler ein längeres Gespräch geführt. Dabei ging es mir nicht nur um sportliche oder inhaltliche Aspekte, sondern in erster Linie auch um private Themen, um die Menschen dahinter besser kennenzulernen und einen Eindruck von den Charakteren zu bekommen. Und dann wollte ich in weiterer Folge aber auch von jedem Spieler wissen: „Wo siehst du dich persönlich auf dem Spielfeld“? Dabei sollten die Spieler nicht an irgendwelche Systeme denken und sich von diesem Gedanken loseisen, sondern es ging mir in erster Linie um Räume am Spielfeld. Bin ich zum Beispiel lieber im linken Halbraum? Auf der „Zehn“ und im Zwischenlinienraum? Kippe ich gerne nach hinten ab? Oder bin ich lieber am Flügel und der Außenlinie?

Daraus ergibt sich für mich natürlich ein Bild, mit dem man die ganzen Spielerprofile dann zusammenfasst und in die strategische Überlegung geht, welche Grundordnung man für die eigene Mannschaft wählt. Man kann einen Spieler ja auch nicht in einen Raum oder in eine Positionierung zwingen, wenn der sich da nicht wohlfühlt. Da habe weder ich als Trainer, noch der Spieler selbst etwas davon. Dann habe ich anschließend versucht mit viel Videostudium die Prinzipien, die ich verfolge, sei es mit oder gegen den Ball, vorzustellen und dann draußen in den jeweiligen Trainings oder Testspielen auf diese Schwerpunkte auszulegen.

Was war ihnen in der Hinsicht wichtig? Wie sahen diese Schwerpunkte aus?

Da erinnere ich mich noch sehr gut an eines unserer ersten Testspiele in der letzten Wintervorbereitung, wo wir den Regionalligisten Traiskirchen zu Gast hatten. Das Spiel ging zwar 3:2 für uns aus, aber hätte gut und gerne auch 10:8 enden können. Da habe ich natürlich auch kritische Stimmen und Aussagen wie „das geht doch nicht“ vernommen. Was viele aber nicht wissen ist, dass es für dieses Testspiel nur eine einzige Vorgabe gab: Nämlich den Ball zu jagen und zu attackieren! Egal in welcher Höhe, egal wo. Ob in Unterzahl, oder ob es in punkto Zahlenverhältnis überhaupt Sinn machte zu pressen, spielte dabei keine Rolle. Es ging nur darum, dass der „Ballnäheste“ Vollgas attackiert, ohne zu schauen, ob jemand vor ihm oder hinter ihm ist.

Da haben natürlich einige Zuseher kritische Aussagen nach diesem Auftritt gegen einen Regionalligisten geäußert und selbst die Spieler warfen mir fragende Blicke zu. Ich wollte es aber genauso. Es war mir wichtig, weil eine meiner Grundprinzipien lautet – Druck auf den Ball zu bekommen. Das war dann auch das Ziel in dieser Trainingswoche und konkret in diesem Testspiel, diese Vorgabe nämlich genauso umzusetzen, damit die Spieler ein Gefühl für die Spielidee bekommen. Da ging es mehr um den Prozess, als um das Resultat.

Wie haben sie hier den Spagat zwischen der Vereinsphilosophie und ihren eigenen Erwartungen gemeistert? Gab es da Unterschiede? Sie dürften sich ja laut ihrer Aussage an ihren Spielern angepasst haben und nicht umgekehrt.

Wimmer: Es ist natürlich so, dass die Verantwortlichen der Austria eine aktive Spielweise sehen wollten, wo es möglichst viele hohe Ballgewinne und Balleroberungen gab. Das hat der Verein im Vorfeld auch schon als Anforderungsprofil festgelegt und so sind wir auch in die Gespräche gegangen, wo ich dann ebenfalls meine Philosophie vorgestellt habe. Wenn es nicht gepasst hätte, wäre ein Engagement definitiv auch nicht zustande gekommen. Wäre von mir verlangt worden, tief zu stehen und passiv zu agieren, um dann umzuschalten, hätte ich gleich abgewunken und klar kommuniziert, dass ich so einen Fußball nicht coachen kann und auch nicht möchte, weil ich dafür inhaltlich nicht stehe.

Im Vorfeld habe ich natürlich die Spiele der Austria analysiert und mir ein Bild darüber gemacht, ob man mit dem verfügbaren Kader überhaupt meine Spielidee und meine Prinzipien umsetzen kann. Zu dieser Erkenntnis bin ich recht schnell gelangt und war dementsprechend auch vollkommen davon überzeugt, dass die Spieler in der Lage sind, meine Vorstellungen und die des Vereins umzusetzen. Gleichzeitig war mir aber auch klar, dass man für die absolute Wunschvorstellung von der Umsetzung der anvisierten Spielanlage, sicherlich zwei, drei Transferperioden brauchen würde, um über punktuelle Verstärkungen diesem Ziel näher zu kommen. Wie wir allerdings wissen, ist das Transferfenster hier auch nicht immer so einfach(lacht).

Es ist aber nun mal so, dass das kein geradliniger Prozess ohne Hürden und Umwegen ist. Das mussten wir auch mit dem Abgang von Haris Tabakovic am eigenen Leibe erleben. Hier ist dann auch irgendwie klar, dass man mit drei eher kleineren Spielern wie etwa Fitz, Huskovic oder Gruber nicht den gleichen Spielstil praktizieren kann, wie man es mit einem klassischen „Zielspieler“ davor tat. Da war dein Spiel natürlich drauf ausgelegt, diesen „Zielspieler“ entsprechend mit Bällen zu füttern, sei es vertikal aus dem Zentrum, damit dieser die Bälle prallen lässt, oder sei es über die Flügel mittels vielen Flankenbällen, weil die „Box“ dann entsprechend mit einem Strafraumstürmer besetzt ist. Wenn dir das dann wegbricht, ändert sich auch folglich dein Spielstil und hat Auswirkungen auf die gesamte Mannschaft – nur aufgrund dieses einen Spielers, der nicht mehr da ist.

Als sie im vergangenen Sommer die Frühjahrsaison Revue passieren ließen – die ja mit dem Einzug in die Meistergruppe und der Qualifikation für den Europacup nicht unerfolgreich war – haben sie da das Gefühl gehabt eine gute Basis für die aktuelle Saison erarbeitet zu haben? Oder sahen sie da noch einige Problemzonen?

Wimmer: Es war schon so, dass ich nach dem letzten Spiel gegen Austria Lustenau und der abschließenden Saisonanalyse gesagt habe, dass wir auf einem guten Weg sind. Es waren einige unserer anvisierten Spielprinzipien klar ersichtlich und für mich war es vor allem erkennbar, welches Ziel wir im Spiel mit dem Ball verfolgten. Ich war mir aber auch im Klaren, dass wir im Schnitt zu viele Gegentore kassiert haben. Unsere Analyse hat dann aber ergeben, dass wir einen überwiegenden Teil der Gegentore nicht nach eigenen Pressing-Situationen kassiert haben, oder weil dieses oft überspielt wurde, sondern oftmals eigene Ballverluste im Ballbesitz oder individuelle Fehler die Ursache dafür waren. Da stellt man sich dann natürlich die Frage: „Wie stellt man das ab und welchen Ansatz wählt man dafür?“ Holt man vielleicht Neuzugänge um das Problem zu beheben?

Gleichzeitig haben wir aber auch mit Lukas Mühl unseren Kapitän und einen starken Defensivspieler verloren, was die Sache natürlich nicht vereinfacht hat. Nichtsdestotrotz hatte ich das Gefühl, dass wir uns im Frühjahr eine gute Basis erarbeitet haben und jetzt bei weiteren Punkten an gewissen Schrauben drehen konnten. Ich fand dann auch, dass wir es in der Vorbereitung ganz ordentlich gemacht haben und unsere Anpassungen gefruchtet haben. Daher sind auch die Spiele speziell gegen Galatasaray und Limassol von der Performance her gut verlaufen. So bin ich auch mit einem positiven Gefühl in die ersten Pflichtspiele gegangen und verortete uns auch nach der guten Vorbereitung auf dem richtigen Weg.

Wie würden sie den anschließenden Saisonstart bewerten? Es ging ja gleich im Drei-Tage-Rhythmus ordentlich zur Sache und sie wurden voll gefordert.

Wimmer: Den ersten richtigen Härtetest hatten wir ja gleich in der Qualifikation zur Conference-League gegen Borac Banja Luka, wo wir mit über 70 Prozent Ballbesitz überaus dominant und aktiv aufgetreten sind und was für mich auch direkt im ersten Spiel eine Art „Benchmark“ war, wo ich mir im Nachgang gedacht habe, dass wir an den Fußball herankommen, den ich mir von meiner Mannschaft vorstelle. Auch wenn wir vielleicht ein oder zwei Kontersituationen zugelassen haben, die man vermutlich nie zu Gänze verhindern kann, hatten wir dennoch eine Vielzahl an Torchancen und speziell gegen Ende hin einen unheimlichen Druck auf den Gegner aufgebaut, der dann ja auch belohnt wurde.

Allerdings konnten wir den Schwung danach nie so richtig mitnehmen und es kam natürlich auch der Abgang von Haris Tabakovic hinzu, der uns zu einigen Umstellungen zwang. Dann hatten wir ja auch das Legia-Spiel auswärts in Warschau, welches wir mit 2:1 gewannen. Interessanterweise wurde uns von vielen Seiten eine starke Leistung attestiert und vielleicht das beste Spiel in der Ära Michael Wimmer, was ich so nach zweimaliger Nachbetrachtung nicht wirklich gesehen habe. Wir haben ja auch eine Menge an guter Torchancen für den Gegner zugelassen und unser Torhüter Christian Früchtl meinte auch zu mir, dass sei sein bisher bestes Spiel im violetten Trikot gewesen. Dann kam das Heimspiel gegen Legia, was ja ein ganz komisches Spiel war und auch verschiedene Phasen hatte, wo wir mehrmals aufmachen mussten, um einen zwei Tore-Rückstand zu egalisieren und im Endeffekt auf die dramatischste Art und Weise verloren haben.

Einige Beobachter sehen ja dieses Heimspiel gegen Legia als mentalen Knackpunkt an, nachdem es für die Austria danach bergab ging und man in eine Krise von sieben sieglosen Spielen schlitterte. War es aber nicht auch so, dass der Tabakovic-Abgang schlicht so gravierend war, dass das negative Konsequenzen auf das Auftreten der Mannschaft hatte? Seine Bedeutung für euer Spiel beschränkte sich ja nicht nur auf das Erzielen von Toren, sondern Tabakovic war ja auch in punkto Bälle sichern und weiterleiten ein wichtiger Faktor und kam im Durchschnitt oftmals auf über 50 Ballkontakte, was für einen Mittelstürmer ungewöhnlich viel ist. Genauso wichtig war er aber auch in meiner Wahrnehmung, was das Spiel gegen den Ball anging, wo er quasi als erster Verteidiger das Kommando für den Pressing-Auslöser gab und eine Führungsrolle übernahm.

Wimmer: Das war sicherlich auch für uns intern ein Thema, speziell was die erste Pressinglinie anbelangt, wo wir uns an die neuen Umstände anpassen mussten. Wir haben ja dann auch die Grundformation etwas adaptiert und erstmals zu einem 3-5-2 statt dem üblichen 3-4-3 gegriffen, um einfach vorne in der ersten Pressinglinie mit einer 2-1 oder „V“ Ordnung zu agieren und mit einer klassischen Doppelspitze den Abgang von Tabakovic zu kompensieren. Unser Lösungsansatz ging dann in die Richtung, dass wir mit zwei Angreifern beginnen, wenn wir keinen klassischen Stoßstürmer haben, weil diese zwei Stürmer in Summe dann quasi einen Stoßstürmer ergeben und diese verlorengegangene Präsenz in einer gewissen Form zumindest wiederherstellen können.

Es war dann auch definitiv so, dass Tabakovic dann oftmals jener Spieler war, der im Pressing den Anfang oder auch den Auslöser für das Pressing fand und die Mannschaft mitzog. Doch noch wichtiger war seine Intensität und seine Wucht, mit der er in diese Pressingsituationen hineinging. Wenn ein 1.90 Meter großer und 90 Kilogramm schwerer Stürmer mit einer unheimlichen Intensität und Wucht auf einen Verteidiger zuläuft, überlegt dieser zweimal was er macht, wird nervös und ist dadurch anfälliger für Fehler. Da musste Haris auch nicht mal den Ball gewinnen, sondern hat auch seine Mitspieler in bessere Situationen gebracht, weil er ungenaue Pässe auf die Außenzonen provoziert hat.

Was gab es hier für Alternativen? Wie habt ihr versucht, die erste Pressinglinie und das Pressing generell wieder anzukurbeln?

Wimmer: Wir haben anfangs noch versucht, mit unserer Verhaltensweise in der gleichen Form weiterzumachen und an der Pressinghöhe nichts zu verändern. Spätestens nach der 1:2-Niederlage gegen Altach mussten wir uns dann aber eingestehen, dass wir etwas verändern müssen. Das war dann für uns schlicht der Knackpunkt, wo wir im Trainerteam beschlossen haben, dass einen besseren beziehungsweise anderen Anfang für das Pressing finden müssen mit dem Ziel, dass es wieder kompakter wird. Ich bin ja auch generell ein Verfechter davon, auf ein rein mannorientiertes Pressing zu setzen, weil ich der Meinung war, so den besten Zugriff auf den Gegner herstellen zu können.

Davon bin ich dann auch ein Stück weit abgerückt und zu einem raumorientierten Pressingansatz überzugehen, wo wir auch die Pressinglinie um ein paar Meter zurückgezogen haben. Das machten wir in der Hoffnung, der Mannschaft so die nötige Kompaktheit und Sicherheit wiederzugeben, um so dann mit einer besseren Geschlossenheit den richtigen Moment für den Pressingauslöser zu finden, um dann den Gegner zu attackieren. So war es dann nicht mehr ein Spieler alleine, wie etwa Tabakovic, der für den Pressing-Auslöser verantwortlich war, sondern wir waren als Mannschaft gefordert. Das hat schlussendlich auch den Spielern ein gutes Gefühl gegeben.

Das war dann auch eine der Umstellungen in dieser Negativphase, wo wir den Entschluss gefasst haben zu reagieren. Wir fangen zwar fünf, sechs Meter tiefer mit dem Pressing an, gehen dann aber aus dieser Position über ins hohe Pressing und wollen dann trotzdem hoch enden. Gleichzeitig haben wir auch angefangen, uns durch das raumorientierte Pressing noch stärker an den Gegner zu orientieren, was wir zuvor in der Form nicht taten. Unser Grundgedanke war immer, dass wir mit unserem eigenen Pressing das Spiel des Gegners vorgeben wollen, statt uns an ihm zu orientieren. Wir hatten aber das Gefühl, dass wir der Mannschaft so etwas mehr Sicherheit geben können, wenn sie sich mehr an den Gegner orientiert und noch klarere Abläufe vorgezeigt bekommt.

Im Umkehrschluss bedeutetet das also, dass ihr vor dem letzten Wiener Derby euren Ansatz adaptiert und versucht habt, so den „Bock umzustoßen“. Ironischerweise gelang es ja in dem Spiel mit nur neun Spielern torlos zu bleiben, was euch zuvor mit elf Mann nicht gelang. Wie wichtig war im Nachhinein betrachtet dieses Spiel, auch im Hinblick auf die daraus entstandene Serie an ungeschlagenen Spielen?

Wimmer: Das war definitiv ein „Gamechanger“ für uns und vor allem ein moralischer Sieg. Uns wurde im Vorfeld ja oftmals der Vorwurf gemacht, dass wir nicht verteidigen konnten. Plötzlich gelingt es dir, mit nur neun Spielern knapp 40 Minuten lang ohne Gegentor zu bleiben. Nach dem Spiel bin ich durch die Kabine gegangen, habe gleich die Erleichterung gespürt und es hat sich definitiv auch wie ein Sieg angefühlt. Vor allem haben die Spieler aber gemerkt, dass unsere Anpassungen und das Nachziehen der Stellschrauben funktioniert haben und damit kam in einer gewissen Form auch ein „Brustlöser“ hinzu, wodurch das Vertrauen zurückkam.

Wir haben ja eben auch ab dem Spiel in Altach ein bisschen etwas angepasst, ohne die Spielprinzipien oder das System zu verändern. Da bin ich auch in die Kabine gegangen und habe den Spielern gesagt: „Männer, wir brauchen mehr Balance in unserem Spiel!“ Ich habe ihnen am Anfang nämlich gesagt, der Kernsatz von mir lautet „so zielstrebig wie möglich, so kontrolliert wie nötig“. Und in dieser Negativphase war die Gewichtung nicht auf 50:50, sondern eher auf 70% Zielstrebigkeit und 30% Kontrolle. Das haben wir dann eben versucht zu korrigieren und auf ein gutes Mittelmaß zu bringen. Das haben wir in der Phase gebraucht und das hat uns dann auch eine gewisse Sicherheit wiedergegeben.

Ich muss ja auch ganz ehrlich sagen, dass das für mich die erste Krisensituation als Cheftrainer war. Natürlich hat man solche Phasen auch als Co-Trainer erlebt, allerdings nicht in der ganz großen Verantwortung und das ist auch nicht wirklich vergleichbar. Ich habe dann schon auch gemerkt, dass ich den Spielern nach sieben sieglosen Spielen wieder etwas mitgeben muss, was ihnen hilft. Diese Erwartungshaltung stell ich auch an mich selber, ihnen zu helfen und etwas Funktionierendes mitzugeben.

Also sind sie in dieser Phase auch in die Selbstreflexion gegangen und haben überlegt, was sie als Trainer besser machen können? Was müssen sie verändern?

Wimmer: Für mich tragen die Spieler nie die Schuld, es liegt immer an mir. Davon bin ich überzeugt. Das ist ja auch vergleichbar mit dem Familienleben. Wenn sich mein Sohn auf einen Test vorbereitet und ich ihm zwei, drei Mal Tipps gebe, er aber den Test nicht besteht – wer trägt dann die Schuld? Ich, weil meine Tipps nicht gut waren? Weil er zu faul ist oder sind es sonstige Gründe? Ich weiß aber, dass meine Spieler garantiert nicht faul sind, ganz im Gegenteil. Ich erlebe sie als unheimlich hungrig und lernwillig. Deshalb bin ich der Überzeugung, dass wenn wir gewinnen, immer nur die Spieler der Grund sind, wenn wir verlieren suche ich zuerst den Fehler bei mir selbst und nicht bei ihnen. Ich kann auch gleich ein praktisches Beispiel nennen, welches erst kürzlich stattgefunden hat.

Gerne.

Wimmer: Das Cup-Achtelfinale gegen Austria Klagenfurt. Da haben wir es in der Arbeit gegen den Ball auch nicht wirklich gut gemacht. Der Gegner hatte da auch über 55 Prozent Ballbesitz, weil wir ganz wenige Balleroberungen und Probleme mit dem Zugriff hatten. Das nehme ich dann auch auf mich, weil wenn es zehn Minuten vor der Halbzeit nicht mehr so greift, dann muss ja auf dem Feld etwas passiert sein. Mein Job ist es hier, in der Halbzeit die richtigen Maßnahmen zu setzen und das zu korrigieren. Es wurde allerdings auch in der zweiten Halbzeit nicht wirklich besser und bin ich auch in der Nachbetrachtung nicht zum Entschluss gekommen, dass wir aus den Etappen zu wenige Spieler nach vorne auffüllen und dadurch keine optimale Spieleranzahl für das Pressing hatten, sondern dass es andere Gründe gab, auf die ich hätte einwirken können.

Da habe ich dann auch kein Problem damit, am nächsten Tag in die Kabine zu gehen und vor die Spieler zu treten, um die Schuld auf mich zu nehmen – sofern meine Lösungsansätze nicht funktionieren. Umgekehrt passiert es ja auch, dass ich einem Spieler sofort aufzeige und vorhalte, wenn er zum Beispiel einen Laufweg nicht gemacht hat. Daher kann ich auch mal sagen „Puh, Leute das war nicht gut von mir und nehme es auf meine Kappe“.

Hier findet ihr sden zweiten Teil unseres ausführlichen Interviews, wo unter anderem ausführlich über das neue Mittefeld-Duo Jukic und Potzmann diskutiert wird.

Dalibor Babic