Auf der Videoplattform YouTube gibt es eine verwackelte Aufnahme aus dem Jahr 2008, die zeigt wie Jürgen Saler einen Strafstoß für den Wolfsberger AC... Anekdote zum Sonntag (196) – Die Angst des Pangls vorm (verwandelten) Elfmeter

Mannschaft, Elfmeter, Real Madrid, Einheit, KollektivAuf der Videoplattform YouTube gibt es eine verwackelte Aufnahme aus dem Jahr 2008, die zeigt wie Jürgen Saler einen Strafstoß für den Wolfsberger AC (damals noch: WAC/St. Andrä) verwandelt. Der WAC spielte damals in der Regionalliga, Saler sollte als erfahrener Kicker dabei helfen den Aufstieg zu realisieren. Einen Elfer zu schießen war für den Führungsspieler reine Charaktersache. Viele gestandene Profis müssen sich aber Vorwürfe anhören, wenn sie beim Penaltywettkampf in Entscheidungsspielen kneifen. Zwar gehört das Schießen vom Punkt für die Spieler eigentlich zum Job, in diesem Nervenkrimi hat aber nur der Torhüter etwas zu gewinnen: Der Schütze dagegen kann nur verlieren.

In der heutigen Anekdote erzählen wir vom denkwürdigen Elfermeterschießen eines Jugendturnier, bei dem Jürgen Saler und der spätere Bundesligavorstand Georg Pangl die Hauptrollen spielen. Saler hat – im Gegensatz zu jenem Video – (so viel sei jetzt schon verraten) nicht getroffen.

Jürgen Saler ist den meisten österreichischen Fußballfans als Rapidler bekannt, wobei sein Engagement bei den Hütteldorfern nicht sehr glücklich verlief: Schließlich war der gebürtige Steirer nur zu Beginn seiner Zeit Ende der 90er-Jahre Stammspieler beim Rekordmeister. In seinen fünf Saisonen bei Rapid fungierte der Mittelfeldmann meist als Kaderergänzung. Der heute 46-jährige hatte seine Karriere einst bei Red Star Knittelfeld begonnen, ehe er in die Sturm-Akademie wechselte. Später landete Jürgen über den DSV Leoben in Wien. Obwohl er dort titellos blieb, knackte er – im wahrsten Sinne des Wortes – den Jackpot: Saler tippte die richtigen Lottozahlen und streifte über eine halbe Million Euro Gewinn ein. „Das war witzig, das kann man nicht beschreiben.“, erinnert sich der Steirer, an den Moment, als er von seinem Sechser erfuhr. Trotzdem blieb Saler am Boden, investierte einen Großteil des Geldes in ein schönes Einfamilienhaus am Stadtrand von Spielberg und half seiner Familie. Der Ex-Rapidler setzte seine Karriere 2003 beim Kapfenberger SV fort. Später sollten der WAC und Zeltweg folgen. Heute arbeitet Saler – der auch Schicksalsschläge, wie den Schlaganfall seiner Frau, wegstecken musste – als Versicherungsvertreter; seine beiden Kinder sind schon junge Erwachsene.

Im Sommer 1994 – als das alles noch weit weg war – sammelte Jürgen erste Erfahrungen bei der Kampfmannschaft seines Heimatvereins und gehörte zum rot-weiß-roten U 16-Nationalteam. Letzteres nahm damals an der EM-Endrunde in Irland teil: Die jungen ÖFB-Kicker setzten sich überraschend in einer Gruppe mit Weißrussland, Spanien und Albanien durch, holten fünf Punkte und waren fix fürs Viertelfinale qualifiziert. Da im letzten Gruppenspiel ein Remis gegen Belarus erreicht wurde, ergab sich jedoch die sonderbare Konstellation, dass die Platzierungen des Ersten und Zweiten aufgrund gleicher Resultate im Penalty-Schießen ermittelt werden mussten.

Georg Pangl, der damals als Jugendsekretär beim österreichischen Verband arbeitete, erinnert sich an einen besonderen Schachzug, den die ÖFB-Betreuer für diesen Fall ausgeheckt hatten: Der damalige Co-Trainer Werner Gregoritsch begab sich inkognito und mit einem Handy ausgestattet nach Cork zum letzten Match der „Nachbargruppe“ Deutschland gegen Dänemark. „Gregerl“ sollte per Telefon den Spielstand durchgeben, während Trainer Paul Gludovatz die österreichischen Elferschützen gegen Weißrussland bestimmte. In der Parallelgruppe hatte sich Russland nämlich bereits qualifiziert, von der Begegnung Deutschland-Dänemark war allerdings abhängig, ob die jungen Russen Gruppenerster oder -zweiter sein würden. Da die jungen Dänen eine Bomben‑Endrunde spielten und auch von sämtlichen Beobachtern als unbesiegbar bezeichnet wurden, hatten Pangl, Gludovatz und Gregoritsch die Idee geboren, das Elfmeterschießen (für den Fall eines Unentschieden gegen Weißrussland) entweder zu gewinnen oder zu verlieren – je nachdem wie sich die U 16-Teams von Deutschland und Dänemark nach 90 Minuten trennen würden. Österreich wollte jedenfalls im Viertelfinale gegen Russland, gegen die man sich Chancen ausrechnete, antreten.

An diesem Sommertag sollte es allerdings zu einem regelrechten Showdown kommen: Kurz vor dem Elfmeterschießen zwischen Österreich und Belarus, funkte Gregoritsch Pangl, der das Match der Rot-Weiß-Roten beobachtete, per Handy ein 3:3 durch. Bei diesem Ergebnis musste Österreich den Penaltywettkampf für sich entscheiden, um den russischen Wunschgegner im nächsten Match zugelost zu bekommen. Per „Stille-Post“ wurde diese Information auf den Platz geschmuggelt: Die ersten rot-weiß-roten Penaltyschützen traten an und verwandelten ihre Schüsse. Doch plötzlich klingelte Pangls altmodisches Mobiltelefon wieder. Am anderen Ende der Leitung war ein aufgeregter Werner Gregoritsch: „Schurl, wir müssen doch verlieren. Deutschland hat gerade das 4:3 geschossen!“

Am Spielfeld hatte sich gerade Jürgen Saler den Ball auf den Elfmeterpunkt gelegt. Pangl gestikulierte wie wild in Richtung des Mittelfeldspielers: „Jürgen, du musst verschießen! Die Dänen sind Zweiter!“ Saler jedoch zuckte mit den Schultern und brüllte verwundert zurück: „Herr Pangl, ich kann doch keinen Elfer verschießen!“ Pangl – mit der einen Hand das riesige Handy am Ohr, mit der anderen Hand seinen Worten Ausdruck verleihend – beharrte jedoch auf seinem Wunsch. Die wenigen Zuschauer, der Schiri und die übrigen Spieler beobachteten das seltsame Schauspiel. Pangl wurde vom heutigen U 21-Teamchef schließlich aufgeregt mitgeteilt, dass das Match in Cork in diesem Augenblick abgepfiffen worden sei und Dänemark nunmehr fix auf Gruppenplatz Zwei gelandet war. Pangl vergaß aufzulegen und flehte in Richtung Saler:

„Bitte, Jürgen, vertrau mir und verschieß! Ich erklär‘ dir alles später!“ Die sich überschlagende Stimme des ÖFB-Sekretärs führte bei Saler zu einem Einsehen. Der spätere Rapidspieler gab klein bei und schickte einen unehrenhaften Edelroller Richtung Tor, den der weißrussische Keeper ohne Probleme hielt. Weißrussland gewann das Elfmeterschießen 4:3 und Österreich bekam seinen Wunschgegner. Gegen die junge Sbornaja konnten sich die Rot-Weiß-Roten im nächsten Spiel auch tatsächlich behaupten und stiegen ins Halbfinale auf. Dort verlor man jedoch unglücklich mit 0:1 gegen die Türkei. Unglücklich? Eigentlich war dies die gerechte Strafe für das unsportliche Verhalten zu dem Pangl Saler überredet hatte: Letztendlich war das ganze Theater für die Fisch‘.

Marie Samstag