Zwar ist nach Ernst Ocwirk schon seit über 40 Jahren eine Gasse benannt, die Bedeutung des einstigen Austrianers sowie Italien-Legionärs können aber nicht mehr... Anekdote zum Sonntag (213) – Italienische Methoden

Zwar ist nach Ernst Ocwirk schon seit über 40 Jahren eine Gasse benannt, die Bedeutung des einstigen Austrianers sowie Italien-Legionärs können aber nicht mehr viele Fußballbegeisterte einschätzen: Dabei galt der gebürtige Wiener in den 50er-Jahren als bester Mittelfeldspieler der Welt und wurde von den Fans von Sampdoria Genua ehrfurchtsvoll „il dio“ – der Gott gerufen.

Aufgewachsen war der 1926 geborene „Ossi“ in Transdanubien, wo er zuerst in Stadlau und dann beim Floridsdorfer AC kickte. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges schnappte die Austria ihrem Erzrivalen den begabten Spielmacher vor der Nase weg. Österreichweit machte Ocwirk erstmals im November ’48 beim Länderspiel gegen den amtierenden Olympiasieger aus Schweden von sich reden: „Er verteidigte im eigenen Strafraum genauso wie er die meisten Schüsse auf das gegnerische Tor abgab und zog im Mittelfeld die Bälle mit magnetischer Sicherheit an sich. Ocwirk vollbrachte das physische Wunder, dritter Verteidiger und Angriffsdirigent zu spielen.“, schrieb eine Tageszeitung. Der Wiener war einer der Ersten, der punktgenaue lange Pässe schlagen konnte; außerdem war er spielintelligent und brachte die richtige Mentalität mit. Mit den Veilchen holte er fünf Meisterschaften und drei Pokalsiege; parallel dazu feierte er auch mit dem Nationalteam Erfolge – wie den 3. Platz bei der WM ‘54. Der Austrianer galt als Dirigent aber auch als harter Zweikämpfer und wurde mehrfach zum Kapitän der Weltauswahl ernannt.

Als 30-jähriger wechselte Ernst Ocwirk in die Serie A zu Sampdoria Genua, wo er fünf Saisonen lang spielen sollte. Obwohl diese Zeit sportlich durchwachsen war, war der Mittelfeldspieler im gesamten Land ungeheuer populär. So kehrte er nach einem Intermezzo bei seinem österreichischen Stammklub nach Genua zurück, um Sampdoria zu trainieren. 1965 schlug der Ex-Kicker dann wieder in Wien-Favoriten auf: Zunächst arbeitete Ocwirk als Sportchef, schließlich löste er Trainer Heinrich „Wudi“ Müller ab, der in die zweite Reihe wechselte, und fortan als sein Co agierte. Ocwirk setzte auf professionelles Training, schnelle Tempowechsel und Manndeckung.

Kurz vor Beginn der Meisterschaft 1965/66 bekam der junge Peter Elstner, der damals in der Sportredaktion der Tageszeitung Express arbeitete, die Aufgabe sich in Eisenstadt einzuquartieren, wo „Ossi“ ein Trainingslager mit den Veilchen angesetzt hatte. Der legendäre Spielmacher kannte diese Lehrgänge aus seiner Zeit in Italien, wo eine Kasernierung vor dem ersten Spieltag nochmals das Zusammengehörigkeitsgefühl der Mannschaft stärken sollte. Das war jedoch nicht das Einzige, das Ocwirk aus Genua mitgebracht hatte. Als Elstner das Training der Austria-Kampfmannschaft beobachtete, staunte er nicht schlecht: Es war nicht, das umfassende Fitnessprogramm oder die taktischen Kniffe, die der 62-fache Nationalspieler seinen Burschen mitgab, sondern eher sein Geheimrezept: Ocwirk verordnete den Austrianern vor dem Training starken Espresso und zwischendurch ein Achterl Rotwein. Diese besondere Kur à l‘Italienne sollte die Spieler munter machen und antreiben.

Ob es am Wein bzw. Kaffee lag, jedenfalls war Ocwirk auch als Trainer erfolgreich: Er gewann zwei Meisterschaften und das Pokalfinale 1967 mit der Wiener Austria. Anschließend arbeitete er noch für den 1. FC Köln und die Admira. Unglücklicherweise starb der schwer von Multipler Sklerose Gezeichnete mit nur 53 Jahren. Bis zum Schluss war seine Frau Martha, die als Handballspielerin Vize-Weltmeisterin wurde, an seiner Seite. Die Ocwirks galten als Vorzeigeehepaar, das seine gesammelten sportlichen Erfolge gemeinsam in einer Vitrine aufbewahrte. Ocwirk, der gelernte Modeltischler aus dem Gemeindebau in Wien-Donaustadt, vergaß seine Wurzeln nie: „Ich wollte nur eines, heraus aus der Fabrik, nie mehr an der Drehbank stehen, heraus aus dem bisherigen Leben. Ich wollte die Möglichkeit bei der Austria nützen, ein großer Fußballer zu werden.“, erinnerte er sich später an seine Anfänge. Das und mehr schaffte Ocwirk: France Football erklärte ihn 1952 zum besten Spieler der Welt; Angebote von Juventus, Barcelona, Nimes oder Racing Club de Paris lehnte er ab. Ocwirk – viel mehr als nur ein Gassenname.

Marie Samstag