Martin Schmidt – der Trainer vom FSV Mainz 05 – ist ein Mann mit vielen Gesichtern: Schafhirte, DTM-Mechaniker, Bierzapfer bei Vereinsveranstaltungen oder Dauerpatient beim... Die ungewöhnliche Story des Martin Schmidt: Von der Alm in die Bundesliga

FSV Mainz 05 Wappen_abseits.atMartin Schmidt – der Trainer vom FSV Mainz 05 – ist ein Mann mit vielen Gesichtern: Schafhirte, DTM-Mechaniker, Bierzapfer bei Vereinsveranstaltungen oder Dauerpatient beim Knieorthopäden! Seit exakt zwei Jahren kennt ihn jetzt jeder Interessierte des deutschen Fußballs, steht seit dem Faschingsdienstag 2015 nun „Bundesliga-Coach“ beim Karnevalsverein auf seiner Visitenkarte! Und als solcher ist er auch gar nicht so schlecht unterwegs! Der bärtige, langhaarige Schweizer ist das Anti-Beispiel der geschlossenen Ex-Fußballprofi-Klientel, die sich oft in erster Linie durch Seilschaften für Jobs empfehlen. Der 40-Jährige ist quasi ein absoluter Außenseiter in der Branche, der sich mit Ruhe, Gelassenheit, aber dafür umso mehr Zielstrebigkeit vom Schweizer Unterhaus bis in die Europa League coachte. Wir schauen uns den Lebenslauf des Schweizers an und erzählen seine nicht alltägliche Geschichte.

Der Tausendsassa aus den Bergen

Martin Schmidt wurde 1967 im bergigen Kanton Wallis geboren. In seiner Kindheit verbrachte er viel Zeit auf der Alphütte des Großvaters.  Dort half er im Stall mit und hütete am Berg auch schon mal die Schafe – so wird es zumindest erzählt. Eine Zeit die ihn – wie er später sagte – prägte. Der verträumte Ausblick über die Weiten des Alpenpanoramas schärft die Sinne, in der Stille der Abgeschiedenheit übt man Geduld. In der Jugend folgte dann der krasse Gegensatz während seiner Mechaniker-Zeit: nach der Lehre führte er eine eigene Garage als Autotuner und war kurzzeitig sogar als Schrauber in der DTM mit an Bord. Durch seine Adern fließt Benzin, meint er noch heute. Vor mehr als zehn Jahren gründete er gemeinsam mit seiner Schwester die kleine Bekleidungsfirma „Texcon“, die die Beiden heute noch betreiben. Privat ist Schmidt gläubiger Katholik, der auch in Mainz die Kirche regelmäßig von innen sieht, das Kettchen mit dem Holzkreuz ist ohnehin immer dabei.

Aus dem Unterhaus in den Fokus des FSV Mainz

Als Spieler stieg Schmidt mit dem FC Naters von der 3. Liga bis in die Nationalliga B auf. Sein Knie war offensichtlich für diese Belastungen nicht veranlagt, insgesamt siebenmal riss sein Kreuzband bislang. 2003 wechselte er dann in die Coaching-Zone des 2.-Ligaklubs FC Raron. Gleich bei seiner ersten Station wollte er in erster Linie nicht den über alle stehenden Chef geben, sondern eher das gleichwertige, bodenständige Teammitglied sein – eine schmale Gratwanderung bei eine Gruppe von erwachsenen Männern. Beim Verein organisierte der leidenschaftliche Skifahrer Winterausflüge und „Teambuildingevents“ – wie es heutzutage so schön neudeutsch heißt. Bei den Veranstaltungen des kleinen Vereins – erzählt man sich – schenkte er Bier aus und organisierte den Auf- und Abbau. Das Vereinsleben, der Zusammenhalt innerhalb der Mannschaft steht für den Schweizer damals im Kleinen wie heute im Großen im Mittelpunkt. Generell wird er von seinen „Vorgesetzten“ als sanfter, ehrlicher Mensch gelobt, der als Chef ein feines Gespür für Nähe und Distanz besitzt.

Taktisch und von der Philosophie her, steht der akribische Problemlöser für schnellen, kraftvollen Offensivfußball mit viel Pressing. Inklusive viel Leidenschaft und Emotion, die der sonst ruhige Schweizer am Trainingsplatz und in der Coachingzone vorlebt. 2008 schaffte er mit seinem Team den Aufstieg in die 2. Liga interregional. Dort empfahl er sich für den Schweizer Erstligisten FC Thun, die ihn als U21 Trainer anheuerten. Im Sommer 2009 gewann er mit den Thuner Perspektivkickern gegen Mainz ein Jugendturnier. Trainer bei den Gegnern war damals ein gewisser Thomas Tuchel. Dieser war von diesem Spiel weg vom Schweizer begeistert und wollte ihn – vorerst vergeblich – in seinen Betreuerstab locken. Im Sommer 2010 war es dann doch so weit, Schmidt wurde nach Deutschland gelotst, als Cheftrainer der Mainzer U 23.  Mit einer schier unglaublichen Rasanz entwickelten sich die talentierten Youngsters weiter und die stiegen sensationell in die 3. Bundesliga auf. Nach dem Abgang von Thomas Tuchel im Sommer 2014, stand der Schweizer Tüftler ante portas. Doch man entschied sich für einen Dänen mit Champions-League-Erfahrung: Kasper Hjulmand. Das erfolglose Kapitel dauerte nur knappe acht Monate, heute vor exakt zwei Jahren – am 17. Februar 2015 – war die Zeit dann reif für den Schweizer. Ironischerweise genau am Faschingsdienst, oder in der „Fastnacht“ wie es in der Karnevalshochburg Mainz heißt!

Der Wechsel zu den Profis

Vier Tage später gab Schmidt im Rhein-Main-Derby gegen Eintracht Frankfurt sein Debüt auf der Trainerbank bei den Profis. Kurz davor wurde der locker wirkende Mann mit dem lustigen Akzent dem Durchschnitts-Fußballfan aus Mainz vorgestellt. Schon ein paar Tage zuvor, interviewte ein Reporter Passanten in der Mainzer Innenstadt, wer denn der neue FSV-Trainer werden sollte. Auch ein bärtiger, langhaariger Mann mit lustigem Schwyzerdütsch Dialekt lief dem Ahnungslosen vors Mikro. Der Mitfavorit für den vakanten FSV-Job nahm es mit Humor und hielt sich bedeckt.

Zurück zum Sportlichen: Der Derby-Einstand verlief perfekt – mit 3:1 setzt man ein Ausrufezeichen im Abstiegskampf, das wichtige Spiel wurde gewonnen! Aber nicht mehr mit der schnöden, ballbesitzorientierten Spielweise seines Vorgängers, die mit dem für Bundesligaverhältnisse „mittelmäßigem“ Spielermaterial so nicht umsetzbar war. Sondern mit intensivem Pressing, hoher Lauf- und Zweikampfbereitschaft und blitzschnellem Umschaltspiel. Schnelle, direkte Wege zum gegnerischen Tor waren fortan wieder Trumpf. Nach zuvor nur einem Sieg aus 13 Spielen fand der eher unbekannte Schweizer gleich die ideale Wellenlänge zu den Fans, die ihrerseits Parallelen zur erfolgreichen Klopp-Zeit wahrnahmen.

Aus den ersten neun Partien wurde 15 Punkte geholt, damit die solide Basis für den Klassenerhalt gelegt. Mit Rang elf in der Endabrechnung im Gepäck wurde der Vertrag gleich vorzeitig in der Sommerpause verlängert. Der Schweizer dankte es mit Ergebnissen zurück, in seiner ersten vollen Saison wurde mit verhältnismäßig bescheidenen Mitteln Rang sechs erzielt und damit der Einzug in die Europa League fixiert. Nach dem Out in der Europa League und im DFB Pokal steht man aktuell auf Rang zwölf in der Tabelle. Mitten im Niemandsland mit sattem Abstand zum Relegations- bzw. Europacupplatz. Sein Vertrag läuft aktuell bis Sommer 2018.

Zahlen und Fakten

Das bevorzugte System des Schweizers ist eigentlich ein 4-2-3-1. Insgesamt schickte er vor dem Spiel am Samstag gegen den SV Werder Bremen schon 77 Mal die Profis des FSV Mainz aufs Feld. Die Bilanz ist perfekt ausgewogen, je 26 Spiele wurden gewonnen und verloren, ergibt einen Punkteschnitt von 1,39  – der knapp unter dem von Klopp bzw. Tuchel liegt. Auf jeden Fall sorgt der Spielstil des zottligen Schweizers für Spektakel, immerhin drei Tore sehen die Fans im Schnitt pro Spiel. Wenn es so etwas wie einen Lieblingsspieler gibt, dann dürfte dies Yunus Malli sein! Der verbuchte durch seine Zeit in der zweiten Mannschaft bereits 95 Einsätze unter dem Schweizer, mehr als jeder andere. Der Deutschtürke dankte es mit Leistung zurück, über keinen Spieler durfte Martin Schmidt in Mainz öfters zum Jubel ansetzten: 28 Tore und 18 Assists verbuchte der 24-Jährige bei den FSV-Spielen unter seines Förderers.

Und zum Schluss noch ein kleiner Österreich-Bezug: Julian Baumgartlinger bestritt 47 Einsätze unter dem Schweizer und wurde unter ihm zum Kapitän ernannt. Der zurzeit verletzte Karim Onisowo steht bei den Mainzern seit knapp einem Jahr unter Vertrag und bestritt bislang 27 Spiele im rotweißen Trikot.

Werner Sonnleitner, abseits.at

Werner Sonnleitner

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