Mit dem ersten Gruppenspiel in der Qualifikation für die Weltmeisterschaft 2026 begann eine neue Ära im brasilianischen Fußball. Einerseits hat man mit Fernando Diniz... Die Brasilianer und ihre Tore

Mit dem ersten Gruppenspiel in der Qualifikation für die Weltmeisterschaft 2026 begann eine neue Ära im brasilianischen Fußball. Einerseits hat man mit Fernando Diniz nun einen neuen Nationaltrainer an der Seitenlinie, der nach dem Ende der Ära Tite und der Interimszeit von U20-Coach Ramon Menezes die Zügel der Seleção übernimmt. Andererseits schoss sich Superstar Neymar mit seinem Doppelpack gegen Bolivien auf die Spitze der ewigen Torschützenliste der Pentacampeões, womit er den König des Fußballs Pelé mit 79 Toren um zwei Treffer überbietet.

Oder ist er das? Während sich die FIFA im Fall Pelé an die von ihr anerkannten 77 Tore in 92 Spielen hält, beharrt der brasilianische Fußballverband CBF auf eine größere Anzahl, die dem Weltmeister von 1958, 1962 und 1970 gelungen sein soll. Insgesamt seien der Santos-Legende 95 Treffer in 113 Partien zuzuschreiben. Die Diskrepanz in den Zahlen hat jedoch eine klare Ursache.

Auf Länderspielebene werden vom Weltverband einzig jene Tore anerkannt, welche gegen andere vollwertige Nationalmannschaften erzielt wurden, wobei es keine Rolle spielt, ob dies im Rahmen eines Freundschaftsspiels oder eines offiziellen Wettbewerbs gelang. Demnach teilen sich Pelés 77 A-Länderspieltore auf 34 in Freundschaftsspielen, acht in der Copa América, sechs in der WM-Qualifikation, zwölf in Weltmeisterschaften sowie 17 in weiteren Turnieren auf. Brasiliens Fußballverband hingegen fasst die offizielle Torrechnung noch ein bisschen weiter und inkludiert darüber hinaus auch Treffer in Freundschaftsspielen gegen Klubmannschaften oder Regionalauswahlen, gegen die die Seleção im 20. Jahrhundert regelmäßig antrat, un kommt somit auf 95 Treffer.

Ungenaue Zahlen und ihr Hintergrund

Dass die Torrechnung im Land des Fußballs nicht ganz genau genommen wird, ist vor allem durch den Fall Pelé bekannt. Es wird nicht nur über Zahlen auf Länderspielebene, sondern auch über jene auf Klubebene debattiert. Demnach habe er den Ball 1283-mal erfolgreich hinter die Torlinie befördert. Eine Zahl, die auch von der FIFA wiedergegeben wird. Offiziell sind ihm jedoch für Santos und New York Cosmos je nach Quelle etwa 750 bis 790 Tore gelungen, während sich die restlichen Treffer durch Freundschaftsspiele erklären. Sogar Tore, die er während seiner Zeit beim Militär schoss, werden dabei berücksichtigt.

Auch vor Pelé bestimmten Fußballstars die Schlagzeilen in Brasilien. Zu nennen sind hier beispielsweise Leônidas da Silva, Domingos da Guia, Zizinho, Ademir de Menezes oder Heleno da Freitas. Der Mann, der ihnen jedoch den Weg ebnete, war Arthur Friedenreich, dessen Blütezeit in den 1910er- und 1920er-Jahren stattfand. Auf sein Konto sollen 1329 erfolgreiche Abschlüsse gehen, doch diese Zahl lässt sich leicht aufklären. Wie der deutsche Autor und Brasilienexperte Martin Curi in seiner Biografie über den legendären Stürmer schreibt, konnten brasilianische Journalisten etwa 550 Friedenreich-Tore nachrecherchieren. Die Herkunft der Zahl 1329 erklärt sich dadurch, dass Frieds Vater und später ein Teamkollege zu jedem Spiel Buch führten. Im Laufe der Zeit sammelten sich 1239 Spielberichte an, woraus allerdings schnell Tore wurden. In einem Buch über brasilianische Fußballlegenden aus den 1960er-Jahren wurden die 2 und die 3 vertauscht, womit der Mythos von 1329 Treffern entstand.

Als aktuelleres Beispiel einer nicht eindeutigen Torzählung gilt Romário, der ebenfalls auf über 1000 Tore kommen soll. Am 20. Mai 2007 verwandelte der Weltmeister von 1994 einen Elfmeter gegen Sport Recife, wodurch er sich in eine Sphäre befördert haben soll, zu der vor ihm nur wenige Fußballer, beispielsweise auch Puskás oder der Österreicher Franz „Bimbo“ Binder, Zugang gehabt haben. Obwohl er groß gefeiert wurde, darf auch an Romários Tausender gezweifelt werden, da in diesem Fall auch Treffer für Jugendteams miteingerechnet wurden und Trainingsspiele gegen andere Klubs im Nachhinein zu Freundschaftsspielen deklariert wurden.

Abschließend ist zu bemerken, dass im Fußball auch abseits des Platzes gefeilscht und getrickst wird, wie die erwähnten Beispiele zeigen. Die Marke von mehr als 1000 Toren haben mit großer Wahrscheinlichkeit bereits einige Fußballspieler erreicht, doch in offiziell anerkannten Partien ist dies wohl noch niemandem gelungen, selbst nicht den Stars der letzten 20 Jahre Cristiano Ronaldo und Lionel Messi. Des Weiteren ist die Zählweise je nach Quelle unterschiedlich, wodurch in der Frage, wer die meisten Tore erzielt hätte, immer wieder verschiedene Zahlen erwähnt und wieder entkräftet werden. Nicht zu vergessen ist auch der Marketingaspekt. Es lässt sich leicht Werbung mit einem Spieler machen, der mehr als tausendfach das Netz zappeln ließ.

Tim Bosnjak, abseits.at

Tim Bosnjak