Jeden Woche wollen wir in dieser neuen Serie einen Blick in die Vergangenheit werfen: Wir spielen sozusagen einen Zuckerpass in den Rückraum und widmen... Wiederholung in Zeitlupe (11) –  „Goldene Elf“ ohne WM-Titel

Jeden Woche wollen wir in dieser neuen Serie einen Blick in die Vergangenheit werfen: Wir spielen sozusagen einen Zuckerpass in den Rückraum und widmen uns kurz und bündig legendären Toren, Spielen, Fußballpersönlichkeiten, Ereignissen auf oder neben dem Platz und vielem mehr. Wir wollen Momente, Begebenheiten, Biografien im Stile von Zeitlupenwiederholungen aus dem TV nochmals Revue passieren lassen. Gedanken machen wir uns dabei über Vergangenes, das in der abgelaufenen Kalenderwoche stattgefunden hat. Heute behandeln wir die wohl beste ungarische Nationalmannschaft der Geschichte, die am 4. Juni 1950 eine über vier Jahre lange andauernde Siegesserie gestartet hat …

Ferry und der „totale Fußball“

Wir alle kennen den Witz: Otto Habsburg (Gott hab ihn selig!) erfährt, dass Österreich‑Ungarn spielt und fragt: „Gegen wen?“. Tatsächlich war das Duell der beiden Länder, die einst als Doppelmonarchie verbunden waren, in frühen Fußballtagen ein Klassiker der von einem besonderen Stil – der Donauschule – geprägt war. Heute sind diese Zeiten lang vorbei: Das ÖFB-Team erlebt Auf und Abs, unser Nachbarland spielt international schon lange keine Rolle mehr. Ein nicht-magyarischer Fan kann wohl kaum drei ungarische Nationalspieler aufzählen. Ein Spiel der beiden Teams gilt heute weder als Prestigeduell noch als fußballerischer Leckerbissen.

Als vor mehr als 70 Jahren, am 14. Mai 1950, jedoch das „Bruderduell“ anstand, kündigte die Zeitung „Neues Österreich“ „eine schwere Probe unseres Fußballteams“ an. Puskás und Co. reisten vollmotiviert Richtung Wien. Am Ende hatten die Österreicher aber das Glück auf ihrer Seite: In einem kampfbetonten Spiel war zwar der magyarische Star Ferenc Puskás die treibende Kraft auf der Seite der Rot-Weiß-Grünen, dennoch siegten die Österreicher 5:3. Mann des Spiels war ein gewisser Gerhard Hanappi. Zu diesem Zeitpunkt waren die Magyaren bereist zwei Jahre lang unbesiegt gewesen. Niemand ahnte, dass ihre neue Siegesserie – nach dieser Niederlage –  jedoch doppelt so lang werden sollte.

Unbestrittener Star des Teams war der heute als größter ungarischer Fußballer aller Zeiten bekannte Ferenc Puskás: Puskás, der als Ferenc Purczeld 1927 in Budapest geboren wurde, kam durch seinen Vater zum Fußball. Er debütierte schon als Teenager im Herrenteam von Budapest Honvéd FC. Als 18‑jähriger feierte der „galoppierende Major“ oder „Puskás Öcsi“ (Bruder Puskás) – wie er genannt wurde – sein Debüt in der ungarischen Nationalelf: (Wieder) gegen Österreich. Nur fünf Jahre später sollte er die beste ungarische Nationalelf aller Zeiten anführen, die damals jedem anderen Team überlegen war: Die „Goldene Elf“ (ungarisch: Aranycsapat).

Das Geheimnis ihres Erfolges bestand aus mehreren Komponenten: Trainer Gusztáv Sebes revolutionierte den Fußball, indem er auf moderne Fitnessprogramme setzte und seine Spieler flexibel agieren ließ. Sebes war einer der ersten Trainer, die mit „hängender Spitze“ spielen ließen. Er machte aus dem herkömmlichen 4-2-4- ein 2-3-3-2-System und ebnete so den Weg zum niederländischen Konzept des „Totalen Fußballs“. Außerdem setzte sich die „Aranycsapat“ großteils aus Kickern von Honvéd (7 Spieler!) und MTK Budapest zusammen. Spieler mit herausragendem Talent, wie Mittelfeldregisseur Bozsik oder Torwart Grosics, konnte so schon im Verein ihr Zusammenspiel perfektionieren.

Die Siegesserie der „Goldenen Elf“ begann am 4. Juni 1950, als die Ungarn Polen mit 5:2 schlugen. 1952 krönte man sich in Helsinki zum Olympiasieger und peilte den Triumph bei der WM-Endrunde zwei Jahre später an. Dazwischen wurde England mit 6:3 geschlagen, die bis zu diesem Zeitpunkt noch nie ein Heimspiel gegen ein nicht-britisches Team verloren hatten: Die Magyaren spielten Stanley Matthews und Co. an die Wand und galten spätestens zu diesem Zeitpunkt als unbestritten beste Mannschaft der Welt.

Als Titelfavorit traf man nach einer Bomben-WM-Endrunde im Finale auf Underdog Deutschland. Puskás erzielte in diesem Spiel nach sechs Minuten die Führung, doch das Blatt wendete sich: Am Ende führte die deutsche Mannschaft, die von eben diesen Ungarn in der Vorrunde noch mit 8:3 deklassiert worden waren, dank zweier Tore von Helmut Rahn mit 3:2. Puskás erzielte noch den vermeintlichen Ausgleich, doch dieser Treffer wurde wegen Abseits aberkannt. Mit hängenden Köpfen mussten die Ungarn ihre Niederlage eingestehen. Nach über vier Jahren war es ein harter Schlag für die Ost‑Europäer: Es hatte nicht zum großen Coup gereicht. Während die Deutschen ihr „Wunder von Bern“ feierten, konnte sich die Ungarn von 42 Länderspielsiegen am Ende nichts kaufen. Das Nationalteam wurde angefeindet, Spieler bedroht und diskriminiert. Trotzdem schaffte es das Nationalteam wieder eine „kleine“ Serie von 16 Siegen in Folge zu starten, ehe der Ungarnaufstand 1956 den endgültigen Schluss für nationale Fußballtriumphe bedeutete: Ferenc Puskás blieb im Ausland, wechselte im Alter von 31 Jahren zu Real Madrid, wo er noch acht Jahre lang höchst erfolgreich spielen und zu einer Legende des „weißen Ballets“ werden sollte. Der nur 1,72 Meter große Linksfuß, der immer wieder Fitnessprobleme hatte, holte sechs nationale Meistertitel, wurde mehrfach Europapokalsieger und spielte – nach seiner Einbürgerung – noch vier Mal für die spanische Nationalmannschaft. Er kehrte in den 80ern nach Ungarn zurück, wo ihn das kommunistische Regime als „Verräter“ brandmarken wollte. Doch das Volk feierte Puskás als Held, wussten doch alle, dass seine Erfolge mit der „Goldenen Elf“ damals und heute unerreichbar sind.

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag