2010 hat Christian Ewers den afrikanischen Fußball porträtiert, indem er vierzehn Geschichten über Spieler und Vereine des schwarzen Kontinents geschrieben hat. Pate für den... Buchrezension: „Ich werde rennen wie ein Schwarzer, um zu leben wie ein Weißer“

2010 hat Christian Ewers den afrikanischen Fußball porträtiert, indem er vierzehn Geschichten über Spieler und Vereine des schwarzen Kontinents geschrieben hat. Pate für den Titel des Buches stand ein Zitat von Samuel Eto’o: Der damalige Kapitän der kamerunischen Nationalmannschaft sagte anlässlich seiner Spielerpräsentation beim FC Barcelona: „Ich werde rennen wie ein Schwarzer, um zu leben wie ein Weißer.“ Mittlerweile sind über zehn Jahre vergangen. Eto’o ist seit 2019 kein aktiver Sportler mehr und arbeitet jetzt als Präsident des Fußballverbandes von Kamerun. Seine Welt und die der anderen Protagonisten des Buches hat sich weitergedreht, doch wie ist es heute um den afrikanischen Fußball bestellt? Kommen schwarze Fußballer immer noch mit denselben Ambitionen nach Europa wie einst? Läuft die Förderung des Sportes in Entwicklungsländern aktuell besser?

Robert hat es (nicht) geschafft

Für sein Buch sprach Ewers mit Stürmerstar Eto’o vor einem Länderspiel in Klagenfurt. Außerdem traf er Ojokojo Torunarigha, einen Nigerianer, der im gerade wiedervereinigten Ostdeutschland fünf Jahre gespielt hatte, zu einem Interview oder begleitete einen deutschen Berater zu seinem Schützling nach Belgien. Der Autor recherchierte bei den Straßenkickern der Elfenbeinküste, besuchte das „Farmteam“ Ajax Cape Town genauso wie einen schlechten Rasenplatz in einem Pariser Vorort, wo junge Afrikaner ohne Papiere von einer Profikarriere träumen. Denn das wollen sie am Ende alle: ein sorgenfreies Leben in Europa. Die Geschichte über die „Gestrandeten von Saint-Denis“ ist die letzte Episode in diesem lesenswerten Buch, das – so viel sei jetzt schon verraten – wenig an Aktualität eingebüßt hat: Schließlich sind die afrikanischen Ligen noch immer nicht konkurrenzfähig genug, um es mit Europa oder Amerika aufzunehmen, weswegen jeder im Ausland kicken will. Auch gibt es noch immer keinen afrikanischen Weltmeister – bei der Endrunde in Südafrika war z.B. für Ghana im Viertelfinale Schluss. George Weah ist bis heute der erste und letzte Afrikaner, der je Weltfußballer wurde.

In Ewers Geschichte über die „Gestrandeten von Saint-Denis“ wird von Abel Chijou Chilacha, einem Ex-Profi, erzählt, der eine „verbotene Mannschaft“ in einer Banlieue im Norden der französischen Hauptstadt betreut: Chilacha ermöglicht damals fußballbegeisterten Afrikanern sich in seinem Team zu präsentieren. Sie kicken zwar auf einem zugemüllten Kunstrasenplatz aber für die Burschen wirkt dieser Fleck trotzdem wie ein magischer Energiehort mit Chilacha als Zweigestirn: Trainer und Agent. Die Bemühungen des damals 33-jährigen scheinen aber amateurhaft. Ewers beschreibt, wie der gebürtige Kameruner sein größtes Talent zu einem Probetraining bei Paris Saint-Germain bringen will aber daran scheitert, dass er weder den Weg zum Trainingsplatz findet noch den verantwortlichen Jugendtrainer per Telefon erreicht. Am Ende kann der sechzehnjährige Robert Assio’o nur zwischen Zäunen und Überwachungskameras die Fußballfelder des Hauptstadtklubs erahnen. Die Chance seines Lebens, sie ist so nah und doch unerreichbar. Erschreckend symbolisch für so viele Kicker mit afrikanischen Wurzeln.

Heute, dreizehn Jahre später wissen wir aber, dass es Assio’o doch noch – zumindest zum Probetraining – geschafft hat: Bis Juli 2013 spielte er in der B-Elf von PSG, dann gab man ihn an einen maltesischen Klub ab, wo er sich nur eine Saison lang hielt. Seit damals ist er vereinslos. Wenn man seinen Namen im Internet sucht, stößt man zwar auf eine gleichnamige Akademie in Kamerun, nähere Informationen bleiben jedoch verborgen. Als Christian Ewers in Paris recherchierte, war Assio’o kamerunischer U16-Nationalspieler und hatte sich nach einem Turnier abgesetzt, um sein Glück in Europa zu versuchen. Er lebte – privilegiert – in einem Jugendheim im 20. Arrondissement der Millionenstadt, während seine Mannschaftskumpel teilweise in stillgelegten Métro-Schächten schliefen und Herzrasen beim Anblick eines jeden „flic“ bekamen.

Reportagen aus dem Herz der Finsternis

„Ich werde rennen […]“ ist eine Sammlung an Mini-Reportagen, die der Stern-Reporter Ewers präzise und flüssig aus den Begegnungen mit seinen Protagonisten gebastelt hat. Der Autor versucht ein eindrucksvolles Bild eines Fußballkontinents, der immer wieder als Geheimfavorit sämtlicher Turniere gehandelt wird, ohne dem Endziel wirklich nahezukommen, zu zeichnen. Afrikanische Teams bissen sich oft an taktischen Maßnahmen des Gegners die Zähne aus oder wollten mit dem Kopf durch die Wand.

Der Hype um schwarze Fußballer begann im Viertelfinale der WM 1990, als das tapfere Kamerun Fußball-Oberlehrer England die Stirn bot. Zwar sollten die Löwen letztendlich durch zwei Treffer von Lineker ausscheiden, ihre Performance vervielfachte aber den Marktwert vieler afrikanischer Fußballer, die erstmals auf dem Radar von Vereinen und Agenten landeten: Nach dem Raubzug der Kolonialzeit holte sich Europa nun Dutzende Fußballrohdiamanten aus der Alten Welt. Doch neben Kickern wie Jay-Jay Okocha oder Emmanuel Amunike wurden auch zehntausende gut- bis normalbegabte Fußballer von Beratern verarscht, von Trainern missverstanden und von der Gesellschaft verachtet.

Doch nicht nur Kicker waren betroffen, sondern auch ganze Vereine – wie z.B. Malindi SC aus Sansibar (Tansania). Ewers rekapituliert in seinem Buch die Geschichte des Klubs aus Unguja: Britische Missionare brachten den Fußball einst zur „Stabilisierung der faulen Afrikaner“ auf die Insel im Indischen Ozean. In Wahrheit ging es nur darum die Ausgebeuteten abzulenken – Brot und Spiele. Die Wirren in Sansibar, ein Staat indem nicht nur Afrikaner, sondern auch Araber, Perser und Portugiesen zusammenlebten, gingen an Malindi nicht spurlos vorbei. Die Geschichte des Vereins kurz zusammengefasst: „diskriminiert von den Briten, zerschlagen von Rebellen, verkauft von Mohammed Naushad“. Letzterer drängte als Klubmanager die Spieler dazu 1995 das Halbfinale des CAF-Cups, des afrikanischen UEFA-Cups, zu verlieren. Die Fans waren außer sich. Heute dümpelt Malindi SC nur noch vor sich hin.

Faszination und Mitleid

Natürlich darf man nicht verallgemeinern: Es gibt kein starres Bild von Afrika – einem Kontinent mit 1,4 Milliarden Menschen – oder dem afrikanischen Fußball. Schon gar nicht kann man auf schlanken 160 Seiten die unterschiedlichen Facetten desselben darstellen. Kurz vor der Fußball-WM in Südafrika war das Verlangen nach einem solchen Buch aber groß und eine Gelegenheit für viele Fußballinteressierte ein bisschen durchs Fenster in den Maschinenraum des „schwarzen Fußballs“ zu sehen. Mehr wollte Ewers wohl auch nicht bezwecken. Seine technische Entscheidung Einzelschicksale von Ghanas Traditionsklub bis zu den Townships Südafrikas zu porträtieren ist dabei als gelungen zu betrachten. Insgesamt ist „Ich werde rennen […]“ zügig zu lesen und bietet einen (naturgemäß) subjektiven, aber plastischen Eindruck in eine Welt, die manchmal furchtbar fern scheint.

Wenn man an Ewers Buch dagegen etwas kritisieren möchte, dann vielleicht, dass jene Vorurteile, die man gegenüber schwarzen Kickern hat, in den einzelnen Geschichten doch bestätigt werden. Schon im Vorwort schreibt der Autor, dass Afrika in europäischen Augen entweder der „geschundene, dunkle Kontinent“ oder „farbenfroh, etwas naiv und ungebildet“ ist. Auch afrikanische Profis gelten allgemein als schnelle Straßenfußballer, die aber mit langen Spielzügen, Disziplin, Durchhaltevermögen und Mannschaftskompaktheit ihre Probleme haben. Außerdem sind sie mit dem Leben als gutverdienende Wanderarbeiter oft überfordert, wie man z.B. an Eric Djemba Djemba sah. Ganz verliert sich dieser Eindruck im Buch nicht: So sagt ein niederländischer Profitrainer bei Ajax Cape Town, ein südafrikanischer Klub, der die Verbindungen zum AFC Ajax 2020 löste und mittlerweile Cape Town Spurs heißt (ohne etwas mit Tottenham zu tun zu haben), über seine Spieler: „Begnadet am Ball, aber ohne Blick fürs Spiel.“

Noch deutlicher wird dies in einem Interview mit Ojokojo Torunarigha. Der ehemalige Drittliga-Profi arbeitet bis heute im Nachwuchs von Hertha BSC, sein Sohn Jordan ist aktuell Innenverteidiger bei KAA Gent und spielte im Zeitpunkt der Erscheinung des Buches gemeinsam mit seinem (heute vereinslosen) Bruder Junior im Nachwuchs der Berliner. „War es ein Fehler, die Familie über alles zu stellen und sich so zu verausgaben?“, fragt Ewers den Ex-Chemnitzspieler unschuldig. Seine Antwort: „Entschuldigen Sie, aber solch eine Frage kann nur ein Deutscher stellen. Ein Afrikaner stellt sie sich nicht. Schon als Kind lernst du, dass es deine Pflicht ist, für die Familie zu sorgen. Du musst. Daran wirst du in Afrika auch gemessen: Schaffst du es nicht, deine Familie zu ernähren, bist du ein Versager. Und wenn du in Europa lebst und nichts überweist, bist du nicht nur das, sondern auch ein Verräter ein Sünder.“

Das ist jedoch der einzige Wermutstropfen an dieser großartigen Reise durch den afrikanischen Fußball. „Ich werde rennen […]“ löst auch über zehn Jahre nach seinem Erscheinen dasselbe Gefühl aus, das viele Unternehmungslustige erleben, wenn sie Flüge nach Maputo, Addis Abeba oder Mombasa buchen: Faszination für einen riesigen Kontinent, der reich an Kultur ist aber jahrhundertelang gepeinigt wurde. Heute sind Afrika und der afrikanische Fußball auf der Suche nach einer neuen Identität.

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag