Hannes Kartnig ist ein Glückskind: Pleiten, Gefängnisaufenthalte, Krebs konnten ihm nichts anhaben, der Ex-Sturm-Präsident ist quicklebendig und nach wie vor in der österreichischen Medienlandschaft... Anekdote zum Sonntag (187) – Vertrauter Feind

Hannes Kartnig ist ein Glückskind: Pleiten, Gefängnisaufenthalte, Krebs konnten ihm nichts anhaben, der Ex-Sturm-Präsident ist quicklebendig und nach wie vor in der österreichischen Medienlandschaft präsent: Ob Fachfragen zur aktuellen sportlichen Situation bei den Grazern oder Unterhaltungsshows im Staatrundfunk – der Pleitier ist gefragt. Nur in die Merkur Arena geht Kartnig heute nicht mehr: „Weißt, ich will nicht in den Klub runtergehen, da sind dann betrunkene Leute. Du kannst nie sicher sein, ob dich nicht einer beschimpft.“ Ob es nur Betrunkene sind die Kartnig beschimpfen würden?

Zwar ist die Ära des gebürtigen Gleisdorfers – mit zwei Meistertiteln und drei Cupsiegen – die erfolgreichste Zeit in der schwarz-weißen Klubgeschichte, doch waren diese Meilensteine auf tönerne Füße gebaut, wie der Verein wenig später erfahren musste. Das finanzielle Kartenhaus brach nach der erfolgreichen Champions-League-Saison von Mählich, Vastić und Co. zusammen, 2006 folgte der Zwangsausgleich und Kartnig musste abdanken. Mit mehr Glück als Verstand schaffte es Sturm damals – anders als der Stadtrivale, FC Tirol oder Mattersburg – in der obersten Spielklasse zu bleiben.

Als Kartnig 1992 den heute dreifachen Meister übernahm, war dieser ebenfalls schwer defizitär. So gesehen schloss sich der Kreis am Ende seiner Präsidentschaft. Gemeinsam mit Manager Schilcher und Trainer Osim begann der Werbeunternehmer Anfang der 90er am Grazer Fußballwunder zu basteln: Osim formte aus jungen Österreichern und einigen Legionärs-Goldgriffen eine kurzpassspielende Truppe, die rund fünf Jahre lang an der Spitze der Bundesliga mitmischen sollte.

Zeitgleich wurde auch auf der schwarz-weißen Fantribüne eine neue Epoche eingeläutet: Die „Black Fanatics“ waren die ersten Sturm-Anhänger, die mit italienischen Elementen wie Rauchtöpfe und Bengalen experimentierten. Diese zaghaften Versuche stießen nicht bei allen Anhängern auf Gegenliebe. Zwei Jahre später wurden im Umfeld der „Fanatics“ „Brigata“ gegründet; dieser Fanklub war (und ist) ein ultra-orientierter Zusammenschluss, der damals südländische Stimmung in Graz etablieren wollte: „Wir sind mit dem Zug nach Italien und Frankreich gefahren, um dort Spiele zu sehen. Auf der Rückfahrt haben wir die Lieder, die wir gehört haben, übersetzt, umgedichtet und einstudiert.“, erinnert sich ein Protagonist an die ersten Forschungsreisen.

Gleichzeitig mit dem sportlichen Erfolg der Mannschaft wurde auch die Unterstützung auf den Rängen der Gruab‘n mehr: Die Transparente von „Jewels Sturm“ oder der „Grazer Sturmflut“ hingen bald am Zaun. Doch obwohl immer mehr Fans kamen, herrschte unter den Anhängern der Blackies keine große Einigkeit: Viele Schwoaze waren eher dem britischen Supportstil zugetan, weswegen der „Brigata“-Vorsänger bei der Ausübung seines Hobbys immer wieder mit Bierbechern beworfen wurde. Die Grazer Szene konnte sich bei den Anfeuerungsversuchen für ihre Mannschaft auf keine Linie einigen. Es kam sogar zu Handgreiflichkeiten.

Unterm Strich waren die Sturmsupporter der 90er-Jahre von Harmonie so weit entfernt wie Kartnig von seinem Idealgewicht. Doch ausgerechnet „Zar Hannes“ sollte sich als (unfreiwilliger) Friedensstifter zwischen den Anhängern entpuppen, denn der Präsident hatte für die Hardcore-Fans nichts übrig. Die ultraorientierten Gruppen waren für ihn Asoziale und Krawallbrüder. Er sperrte die Allesfahrer im Liebenauer Stadion in einen Block und zeitweise sogar in eine Art Käfig. En Revanche kümmerte sich Kartnig lieber um die zahlungskräftigen Gäste: Er ließ die Sessel im VIP-Klub goldfarben tapezieren, legte Live-Musik auf und sorgte für ein exquisites Buffet – damals einzigartig in Österreich. Der Sturmpräsident wusste, dass es diese Kuh zu melken galt: „Von den VIPs bekommst du auch Inserate und Werbung.“

Aufgrund seines Verhaltens kristallisierte sich Kartnig im Laufe der Jahre als gemeinsames Feindbild der Fans heraus. Ab dem Zeitpunkt als der Kollektiv-Support rund um das Jahr 2001 im neuen Liebenauer Stadion auflebte, hörte man immer mehr Schmähgesänge gegen den Präsidenten. Mit dem Ausbleiben der sportlichen Erfolge zu Beginn der 2000er, verspielte Kartnig seine allerletzten Sympathien: Lautstark protestierte die schwarz-weiße Szene nun regelmäßig gegen den Präsidenten, die Auflehnung gipfelte schließlich 2004/05 in einem totalen Stimmungsboykott. Nur mehr bei Auswärtsspielen unterstützten die Fans geschlossen die Mannschaft. Um die Situation zu entschärfen, sprachen die Spieler mit den Capos, außerdem bestellte das Gremium des Klubs einen neuen Vizepräsidenten. Doch der Block hatte sich auf Kartnig eingeschossen und war bestrebt den ungeliebten Zampano aus Graz-Liebenau zu verscheuchen. Nachdem Kartnig für den SK Sturm 2006 den Konkursantrag gestellt und das Präsidentenamt zurücklegte hatte, fand er sich rasch auf der Anklagebank wieder. Während der elendslangen Prozesse des Gleisdorfer versuchten die treuen Sturm-Fans derweilen die schwarz-weißen Scherben wieder zusammenzusetzen.

Im Rückblick kann man also festhalten, dass der heute 71-jährige die Sturmszene unabsichtlich versöhnte und so die Grazer Kurve zu einer der stimmungstechnisch besten in Österreich machte. Totaler Friede und Harmonie herrschen in der Nordkurve der Merkur Arena zwar bis heute nicht; „Brigata“, „Jewels“ oder die „Sturmflut“ eint allerdings die unbändige Liebe zu ihrem Verein. Der ehemalige Sturm-Funktionär hat bis heute nur verächtliche Worte für diese Fans übrig: „Die wollen sich nur selbst darstellen und wichtig sein.“ Gibt es wohl doch Gemeinsamkeiten zwischen Kartnig und den Anhängern der Schwoazn? Man weiß es nicht.

Marie Samstag