Die irre Jagd der Bullen aus Salzburg auf Ball und Gegner geht in die nächste Runde und findet nun gegen Lazio Rom ihre Fortsetzung.... Der Tag, an dem die Bullen den BVB jagten

Die irre Jagd der Bullen aus Salzburg auf Ball und Gegner geht in die nächste Runde und findet nun gegen Lazio Rom ihre Fortsetzung. Das aus BVB-Sicht schmeichelhafte 0:0 reichte der Mannschaft von Trainer Marco Rose, um nach dem 2:1 Auswärtssieg in Dortmund ins Viertelfinale aufzusteigen und nach Real Sociedad eine weitere Mannschaft aus einer der europäischen Topligen auszuschalten.

Der entscheidende Punkt im Rückspiel war die Balance aus Pressing, Absicherung und zielstrebig durchgespielten Angriffskombinationen. Dazu kontrollierten die Salzburger in beiden Spielen die im modernen Fußball so wichtigen Umschaltphasen, wodurch sich Salzburg in beiden Begegnungen eine bessere Abschlussfrequenz und –qualität erarbeiten konnte und über sehr weite Strecken der 180 Spielminuten eine deutlich höhere Aktivität und Durchschlagskraft ausstrahlte.

Die entscheidende Dominanz in den angesprochenen Umschaltsituationen sowie die vorgenommenen Anpassungen von Peter Stöger nach dem Hinspiel stellen daher auch den Mittelpunkt dieser Analyse dar.

Grundordnungen und Personal

Nachdem Marco Rose in den ersten 30 Minuten des Hinspiels in Dortmund noch auf eine etwas unkonventionellere 5-3-2 Grundordnung mit pendelnder Viererkette setzte, vertraute er im Rückspiel vom Beginn weg auf die eingespielte 4-3-1-2 Struktur. Bestärkt vermutlich durch die Erkenntnisse, dass in Dortmund nach der Umstellung der nötige Zugriff im Pressing und die Durchschlagskraft in den eigenen Angriffsvorträgen hergestellt werden konnten.

Personell nahm daher der Salzburg-Coach logischerweise auch keine Änderungen vor. Ulmer, Ramalho, Caleta-Car und Lainer bildeten daher vor Torhüter Walke die Viererkette. Vor dieser Viererkette nahm wieder Samassekou die Position des Sechsers ein. Neben ihm auf den Achterpositionen komplettierten Berisha auf halblinks und Haidara im rechten Halbraum das Mittefeldband der Bullen. Youngster und Neo-Teamspieler Xaver Schlager durfte wie bereits erwähnt von Beginn an auf der Zehner-Positionen hinter den beiden Spitzen ran, nachdem er vor einer Woche in Dortmund noch Spezialaufgaben auf der linken Flügelverteidigerposition zu erfüllen hatte. Sagt eigentlich alles über die enorme Flexibilität und Spielintelligenz des jungen Akademie-Spielers aus.

Die erneut recht breit angelegten Sturmpositionen besetzten wie gewohnt Dabbur und Hwang.

Dortmund-Coach Peter Stöger nahm wie erwartet ebenfalls keine Veränderungen bezüglich seiner Grundordnung vor. Er blieb beim 4-2-3-1, wobei wir später noch sehen werden, dass er vor allem im eigenen Aufbauspiel sehr wohl kleinere Anpassungen in der Struktur und Staffelung vornahm.

Personell hingegen sah sich Stöger vor allem im defensiven Bereich verletzungsbedingt zu Umstellungen gezwungen, was sich nicht unbedingt positiv auf die Stabilität seiner Mannschaft auswirken sollte.

Vor dem überragenden Bürki bildeten Sokratis und Zagadou das neu formierte Innenverteidiger-Pärchen. Vor allem Zagadou hatte zu Spielbeginn große Probleme mit dem aggressiven Angriffspressing der Salzburger und wurde aufgrund der spür- und sichtbaren Unsicherheit von den Bullen rund um Hwang relativ rasch als leichtes Pressingopfer auserkoren. Die rustikalere Herangehensweise des BVB in der zweiten Hälfte sollten die spielerischen Mängel der beiden Innenverteidiger etwas kaschieren, wobei auch das Abwehrverhalten für ein solches Niveau häufig nicht ausreichend war.

Flankiert wurden die beiden von Marcel Schmelzer und Lukas Piszczek, der nach überstandener Verletzung wieder in die Viererkette zurückkehrte.
Aufgrund der Rückkehr des Polen konnte Gonzalo Castro in das zentrale Mittefeld neben Dahoud rücken, wobei wie schon im Hinspiel Dahoud oft wesentlich höher agierte als sein Partner auf der Doppelsechs. Für den zurzeit weit unter seinen Möglichkeiten spielenden Julian Weigl blieb daher nur ein Platz auf der Ersatzbank.
Die offensive Dreierreihe des BVB formierte sich wieder aus Schürrle, Götze und Reus. Batshuayi komplettierte die offensive „Präsenz“ der Dortmunder als Mittelstürmer.

Salzburg kontrolliert alle Spielphasen dank kluger Strukturen und einer immensen Intensität

Nach diesen beiden Partien kann man ohne überheblich zu klingen konstatieren, dass Salzburg in allen vier Spielphasen in Punkto Strategie, Taktik und Tempo die überlegene Mannschaft war. Diese strukturelle Überlegenheit führt dazu, dass die individuelle Qualität des BVB eigentlich nie zur Geltung kam und die Salzburger den Spielrhythmus und das Spieltempo über weite Strecken diktieren konnten. Die Phasen, in denen die Mannschaft von Marco Rose etwas passiv wirkte und in die eigene Hälfte zurückgedrängt wurde, konnten im Vergleich zu den Spielen gegen Real Sociedad noch einmal erheblich verkürzt werden. Dabei muss man aber anmerken, dass Sociedad die spielerisch bessere und kreativere Mannschaft war als der derzeitige BVB.

Dank der gewohnten Grundordnung fanden die Salzburger zu Spielbeginn recht schnell ihren Pressingmodus und lösten die gestellten Aufgaben des Dortmunder Spielaufbaus schnell und erfolgsstabil. Die beiden Stürmer Dabbur und Hwang positionierten sich dafür wieder in einer vertikalen Linie vor den gegnerischen Innenverteidigern und blockten somit die in die defensiven Halbräume. Xaver Schlager dahinter gab dies die Möglichkeit, sich lose an Castro zu orientieren und den Sechserraum des BVB zuzustellen, wodurch der BVB praktisch nie über diese Zonen das Spiel aufbauen konnte und variantenreichere Angriffe hätte starten können. Den folglich „logischen“ Pass auf die Außenverteidiger Piszczek und Schmelzer antizipierten bereits die beiden Achter Haidara und Berisha und konnten dadurch den passempfangenden Außenverteidiger bereits bei der Ballannahme unter Druck setzen und durchlaufen, was den Druck und den Stress auf den ballführenden Spieler extrem erhöht. Diesen Mechanismus kennt man von den Bullen in dieser Saison unter Marco Rose und man kann sich in der Theorie recht zuverlässig auf dieses Verhalten vorbereiten, auf dem Rasen ist es aber aufgrund der extremen Intensität und des permanent hohen Zeit- und Entscheidungsdrucks auf den ballführenden Spieler praktisch unmöglich, diesem Strudel zu entkommen. Der gegnerische Spieler im Zentrum wird von mehreren Seiten und mit oft schlechtem Sichtfeld für eine Spielfortsetzung aggressiv attackiert und er sieht dadurch oft nur den potentiell freien Raum auf den Flügeln. Durch diesen provozierten Pass sind die Salzburger meist einen Schritt voraus und können den Gegner dank guter Druckkomponenten in den Flügelzonen erneut maximal unter Druck setzen. Dazu kommt, dass der Gegner in diesen Spielfeldzonen häufig noch nicht gut positioniert und gestaffelt steht, wodurch die Optionen für eine erfolgreiche Spielfortsetzung stark eingeschränkt sind. Dieser Pressingstrudel hört erst auf, sobald der Ball im out ist oder in den Besitz der Bullen gelangt ist, woraufhin ein schneller Gegenangriff über die Achter (spielen meist den ersten Ball in die Tiefe), den breiten Stürmern, dem Zehner im Zwischenlinienraum und schlussendlich den nachrückenden Außenverteidigern erfolgt.

Gegen Dortmund kam im Spiel gegen den Ball noch „erleichternd“ hinzu, dass die Innenverteidiger Sokratis und Zagadou äußerst fehleranfällig und behäbig das Spiel von hinten heraus aufbauten (auch aufgrund mangelnder Optionen in der Tiefe) und so den Bullen einige leichte und hohe Ballgewinne ermöglichten. Man denke dabei nur an die beiden Top-Möglichkeiten von Hwang in der ersten Halbzeit.

Aber nicht nur das organisierte Pressing bei gegnerischem Ballbesitz war auf einem sehr hohen Niveau, auch das Gegenpressing in den Spielsequenzen nach einem Ballverlust war äußerst homogen und griffig, was natürlich mitentscheidend war, warum die Dortmunder Offensivstars nie in aussichtsreiche 1 gegen 1 Situationen kamen.

Die Voraussetzungen für ein griffiges und erfolgreiches Gegenpressing sind natürlich bekannt: eine saubere Struktur bei Ballbesitz mit möglichst vielen diagonalen Verbindungen und Dreiecken (bei Ballbesitz förderlich für die Passzirkulation, im Gegenpressing für den Zugriff und die Absicherung), eine antizipative Spielweise der Spieler in der Restverteidigung mit mutigem Herausrücken auf etwaige Spieler hinter dem eigenen Gegenpressing-Block sowie als Basis sozusagen eine hohe Zweikampfaggressivität und Handlungsschnelligkeit. Wie eigentlich immer im Fußball bedingen sich diese Faktoren untereinander.

Im Folgenden exemplarisch zwei solche Gegenpressing-Aktionen, jeweils nach Ballverlusten in den offensiven Halbräumen. Auffallend dabei natürlich die Überzahlsituationen in Ballnähe und das mutige Herausrücken der beiden Innenverteidiger Caleta-Car und Ramalho. Dabei ist in diesen Sequenzen immer wieder das von den RB-Masterminds Ralf Ragnick und Helmut Groß propagierte „kontrollierte Chaos“ zu erkennen.

In dieser Szene wurde der Ball nach mehreren kurzen Ballstafetten im linken offensiven Halbraum verloren. Der neue ballführende Spieler Castro wurde daraufhin sofort von mehreren Spielern und von allen möglichen Seiten (Samassekou frontal, Schlager von der Seite, Dabbur und Berisha von hinten) unter Druck gesetzt. Durch das Herausrücken von Caleta-Car konnte sich Batshuayi nicht in Richtung Tor aufdrehen und Salzburg so den Druck hochhalten. Ansonsten wäre der entwickelte Druck ins Leere gegangen und mit einem vertikalen Pass sieben Salzburger aus dem Spiel genommen worden.

Ähnliche Konstellation wie vorhin, nur dieses Mal im rechten Halbraum. Fünf Spieler bilden ein dichtes Netz um den ballführenden Dahoud, der ballnahe Raum ist damit verdichtet. So wie vorher Caleta-Car verteidigte auch hier Ramalho mutig nach vorne auf Batshuayi und befindet sich damit als Innenverteidiger ca. 20 Meter in der gegnerischen Hälfte. Mut und Vertrauen kann man sich eben nicht herbeireden, sondern am besten am Trainingsplatz mit impliziten Spielformen und vielen Wiederholungen erarbeiten.

Neben dem Pressing und Gegenpressing war ein weiterer entscheidender Aspekt in diesem Gesamtwerk, dass sie auch aus der Position heraus gegen einen „organisierten“ BVB immer wieder geradlinig und schnell zwischen die Linien kamen und die Angriffe fortsetzen konnten. Eine Überzahlsituation im Mittelfeld (3 gegen 2) sowie ein mannschaftlich nicht geschlossenes Abwehrverhalten des BVB ermöglichten den Bullen immer wieder, in den Zwischenlinienraum zwischen Abwehr und Mittelfeld zu kommen. Xaver Schlager konnte in diesen Situationen vor allem seine Qualitäten zeigen, der sich mehrmals sehr gut im Rücken der beiden Sechser Castro und Dahoud anbot, welche sich beide nach vorne orientierten. Wichtiger Nebenaspekt: Die Stürmer Dabbur und Hwang konnten die Innenverteidiger binden, wodurch diese nicht auf Schlager herausrücken konnten.

Auch hierzu gibt es einen schönen Spielausschnitt, der das Dilemma der Dortmunder verdeutlicht:

Dortmund verlor den Ball, woraufhin Salzburg versuchte, das Spiel von hinten heraus neu aufzubauen. Die Dortmunder wollten diesen Aufbauversuch in Person von Andre Schürrle nutzen und sofort draufgehen. Schürrle verließ dafür seine angestammte Position im linken Mittelfeld und attackierte Ramalho. Schmelzer schloss daraufhin den offenen Raum und schob nach vorne auf Stefan Lainer. Auch Dahoud orientierte sich nach vorne auf Haidara, das Blickfeld des zweiten Sechsers Castro ist ebenfalls nach vorne gerichtet.

Ramalho lässt sich auf nichts ein und spielt den gut getimten Chip-Ball auf Schlager, der sich im Rücken der beiden Sechser den Ball annehmen konnte. Auffallend und entscheidend der große freie Raum zwischen Mittelfeld und Abwehr. Die Innenverteidiger stehen so tief, dass sie auf dem Bildausschnitt gar nicht mehr sichtbar sind. Zusammen mit den beiden Stürmern konnte Schlager dadurch immer wieder gefährliche Angriffe initiieren.

Stöger ortete potentielle Schwachstellen im Salzburger Abwehrverbund…

Peter Stöger passte im Vergleich zum Hinspiel seine Aufbaustruktur in Nuancen an. In Hälfte eins wurde vornehmlich noch versucht, das Spiel flach von hinten heraus über die beiden Innenverteidiger aufzubauen. Aus der 4-2-3-1 Grundordnung wurde dabei häufig ein 4-1-4-1 gebildet. Gonzalo Castro war dabei der tiefere Sechser und erste Anspielpunkt für die Innenverteidiger. Dahoud schob derweil nach vorne und positionierte sich in den Räumen des linken offensiven und defensiven Halbraums. Interessant waren die Strukturen auf dem rechten Flügel rund um Reus herum. Während im Hinspiel vor allem noch die linke Seite mit Dahoud und Götze überladen wurde, sollte dies mit Götze im Rückspiel auf der rechten Seite konstruiert werden, vermutlich um Marco Reus besser ins Spiel einbinden zu können.

Mit dieser Anpassung wollte Stöger eventuell auch die scheinbar offenen Räume neben der Salzburger Mittelfeldraute überladen und von dort durchrechen. Ansatzweise waren die Läufe aus dieser Spielfeldzone von Mario Götze hinter den Salzburger Außenverteidiger Ulmer interessant. Ulmer sollte dadurch gebunden werden und ein herausrücken auf Reus erschweren, der dadurch etwas Platz erhalten sollte. Wirklich konstant waren diese Bewegungen aber nie zu sehen. Ein weiteres Problem aus Sicht des BVB war auch, dass sie durch das hohe Pressing der Salzburger selten konstruktiv in diese Räume vorstoßen konnten und von dort die Bewegungen hätten starten können.

 

… und sah sich in Hälfte zwei schließlich gezwungen, den Zufall heraufzubeschwören

Nach drei spielerisch äußerst überschaubaren Halbzeiten hatte Stöger von seiner Mannschaft wohl genug gesehen und sah die einzige Chance darin, den im Fußball doch wesentlichen Zufallsfaktor stärker zu akzentuieren. Wenn man die drei vorangegangen Halbzeiten gesehen hat, kann man diese Entscheidung von Peter Stöger nur allzu gut verstehen. Dortmund brauchte zwei Tore und es war ihnen bis dahin nicht gelungen, mit ihren spielerischen Möglichkeiten Torchancen herauszuspielen. Stöger und seinem Trainerteam blieb also gar nichts anderes übrig, als das Spiel mit langen Bällen zu forcieren. Der bis dahin ineffektive Spielaufbau aus der eigenen Abwehr wurde eingestellt, stattdessen spielte Bürki überwiegend lange Abschläge tief in die Salzburger Hälfte hinein und eröffnete den Kampf um den zweiten Ball. Die Wechsel in der Halbzeitpause gingen dementsprechend auch in diese Richtung. Götze und Reus blieben in der Kabine, für sie kamen Philipp und Isak auf den Rasen der Bullen-Arena.

Durch diese rustikale Spielweise konnten sich die Dortmunder zwar ein paar Abschlüsse erarbeiten, der letzte notwendige Druck für die Aufholjagd konnte aber auch mit dieser Art und Weise nicht entwickelt werden. Stattdessen entstand dadurch immer mehr ein offener Schlagabtausch zwischen den jeweiligen Strafräumen, oft mit den besseren Umschaltaktionen für die Salzburger. Ein Tor sollte aber auch ihnen nicht gelingen.

Fazit

Red Bull Salzburg qualifizierte sich nach diesen beiden Matches gegen Borussia Dortmund absolut verdient für das Viertelfinale der Europa-League. Das Team von Marco Rose war strategisch und taktisch überlegen und beherrschte eigentlich alle Spielphasen, vor allem die beiden Umschaltphasen. Das dürfte der neuralgische Punkt in diesem Aufeinandertreffen gewesen sein. Dazu kommt die überlegene Zweikampfstärke und Schnelligkeit in all ihren Facetten, mit der die Dortmunder nicht Schritt halten konnten. Zusammengefasst spiegeln all diese kleinen Puzzleteile genau das wieder, was am Ende steht: ein verdienter Aufstieg in die nächste Runde. Die Boulevardpresse spricht zwar von einer Sensation, hat man aber diese Mannschaft in Bundesliga und Europa-League über das gesamte Jahr verfolgt, ist der Aufstieg zwar immer noch eine Überraschung, aber auf gar keinen Fall eine Sensation oder ein Wunder. Das haben Marco Rose und seine Spieler gewusst. Dieser Gedanke und der Glaube daran waren die Basis für ein derartiges Auftreten mit all seinen taktischen Ausprägungen.

Sebastian Ungerank

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