In dieser Serie gehen wir auf einzelne Weltklassetalente ein, die auf dem Sprung standen – und ihn nicht schafften. Zumeist waren es persönliche Tragödien,... Verlorene Weltklassespieler (10) – Laurent Verbiest

Fußball in Belgien, AtomiumIn dieser Serie gehen wir auf einzelne Weltklassetalente ein, die auf dem Sprung standen – und ihn nicht schafften. Zumeist waren es persönliche Tragödien, Verletzungen oder einfach die Umstände ihrer Karriere: Die Aussage „Zur falschen Zeit am falschen Ort“ kann manchmal schmerzhaft wahr sein.

Wir lassen die Karrieren diverser Akteure Revue passieren, spekulieren über die mögliche Auswirkung ihres fehlenden Durchbruchs in der Geschichte des Fußballs und ein kleines „was wäre, wenn…?“ darf natürlich auch nicht fehlen. Immerhin besitzt nahezu jeder Fußballfan noch eine schöne Erinnerung an solche Spieler und jene fragende Wehmut, welche Erinnerungen man nicht verpasst hat.

In diesem Teil widmen wir uns …

Laurent Verbiest

Zurzeit sind belgische Fußballer wieder schwer im Kommen. Kevin de Bruyne steht wie Romelu Lukaku steht bei Chelsea unter Vertrag und wird heftig von Borussia Dortmund umworben. Vincent Kompany konnte letztes Jahr als bester Innenverteidiger der englischen Liga mit Manchester City die Meisterschaft holen. Eden Hazard wechselte diesen Sommer für eine hohe achtstellige Summe zu Chelsea, Moussa Dembele und Jan Vertonghen gehören bei den Tottenham Spurs zu den Leistungsträgern und Christian Benteke hält Aston Villa im Abstiegskampf fast im Alleingang am Leben.

In den 80er-Jahren gab es schon eine solche goldene Generation. 1980 wurden sie Zweiter bei der Europameisterschaft und 1986 schafften sie es bei der Weltmeisterschaft auf den vierten Platz. Spieler wie Jean-Marie Pfaff, Jan Ceulemans, Walter Meeuws, Eric Gerets, Franky van der Elst und Enzo Scifo gehören bis heute zu den Vorbildern der jungen belgischen Fußballer – sie zeigten einen taktisch modernen und spielerisch ansehnlichen Fußball, der bei der WM 1986 letztlich an Maradonas Genialität scheiterte.

Interessant ist aber, dass der für viele beste Innenverteidiger und eines der größten Fußballidole des Landes zu keiner dieser beiden Generationen gehörte; selbst den dritten Platz 1972 verpasste er.

Belgiens Franz Beckenbauer

In den 60er-Jahren waren die Belgier in einer Talphase. Der dritte Platz bei der EM 1972 wäre in den 60ern noch für undenkbar gehalten worden. Man hatte sich weder für die letzten drei Weltmeisterschaften noch für die letzten drei Europameisterschaften qualifizieren können. Auf einem jungen Mann ruhten aber große Hoffnungen.

Laurent Verbiest galt als das größte Talent des belgischen Fußballs. Bereits mit 17 Jahren konnte er sich als Verteidiger beim AS Oostende einen Stammplatz erobern. In jener Zeit eine nahezu einmalige Errungenschaft, doch Verbiest hatte das Potenzial für mehr – der RSC Anderlecht klopfte schon bald an und 1960 wechselte er zum größten belgischen Verein; im gleichen Jahr gab der 21-Jährige sein Debüt für die Nationalmannschaft.

In den nächsten Jahren mauserte er sich zum Publikumsliebling. Seine Spielweise sorgte für Bewunderung beim Publikum. Anstatt seine Rolle als Libero wie zu jener Zeit klassisch und konservativ auszuüben, ging Verbiest immer wieder mit nach vorne oder wagte sich in riskante Dribblings unter Druck. “Le Magnifique Lorenzo” (nach einer tollen Partie gegen eine argentinische Gastmannschaft erhielt er diesen Spitznamen) dribbelte gegen heranstürmende Angreifer des Gegners gerne und gekonnt, stieß immer wieder mit dem Ball am Fuß ins Mittelfeld vor und ließ dabei auch mehrere Gegner hintereinander stehen, wenn es möglich war.

Dabei sah er sich keineswegs als zusätzlicher Angreifer, sondern eher als ein Spielgestalter aus der Tiefe – und um mehr Zugriff nach vorne zu erhalten, schob er eben höher. Ähnliches taten in Europa zu jener Zeit sonst nur der fortschrittliche Cesare Maldini und Yves Bare, der ebenfalls in der belgischen Liga agierte und wie auch Verbiest dem Trendsetter der 50er, Fons van Brandt vom Lierse SK, nacheiferte. Erst in den 70ern und 80ern sollten Spieler wie Frank Beckenbauer oder der Jugoslawe Velimir Zajec diese Rolle zur Perfektion bringen.

Die beiden Belgierer ernteten viel Kritik. Zu modern war ihre Spielweise und wirkliches Lob erhielten sie erst Jahre später, als die Fachpresseeinsah, wie wichtig eine solche Spielweise für das Aufbauspiel sein kann. Die meisten Ehrungen erhielt Verbiest zumeist posthum, obwohl er für Anderlecht und die belgischen Trainer schon damals zur internationalen Klasse zählte.

Großer Spieler, große Persönlichkeit

Viermal wurde er Meister mit Anderlecht – doch die meisten erinnern sich bei Verbiest an einzelne Partien. Eine davon spielte er gegen Santos in einemFreundschaftsspiel, wo nicht Pelé, sondern der junge Belgier zum Spieler des Spiels avancierte, als er den Weltklasse-Linksaußen Pepe aus dem Spiel nahm; Verbiest konnte nämlich auch als rechterVerteidigeroderVorstopper spielen, wenn der Trainer es verlangte.

Eine andere Partie fand 1963 statt, als Anderlecht das schier übermächtige Real Madrid mit den alternden Weltstars Paco Gento, Alfredo di Stefano und Ferenc Puskas empfing. Mit einem 4:3 in zwei Spielen (3:3, 1:0) kam Anderlecht sensationell ins Viertelfinale des Landesmeisterpokals und erledigte den Mythos des großen Real-Teams der späten Fünfziger endgültig. Ferenc Puskas soll in der ersten Partie sogar keinen einzigen Ballkontakt gehabt haben und dies mit Bauchschmerzen begründet haben. Verbiest konterte verschmitzt, diese Bauchschmerzen würde er im Rückspiel nochmal haben.

In der Nationalmannschaftbestritt er 23 Spiele, das wohl denkwürdigste war der Sieg gegen die Niederlande 1964, als nach der Halbzeitpause 11 Anderlecht-Spieler auf dem Platz standen; für viele war es ein symbolträchtiges Ereignis. Der schnelle, ausdauernde und dennoch verspielte und kreative Verbiest schien wie die Schlüsselfigur einer goldenen Vereinsgeneration; seine Ausdauerwurde auf seine Karriere als Radfahrer in der Jugend zurückgeführt und seine Geduld mit der Fischerei in Verbindung gebracht, welche der Beruf seines Vaters und sein Hobby gewesen war.

Doch auch abseits des Platzes sorgte Verbiest für Schlagzeilen. Als 17-Jähriger bei AS Oostende erhielt er seine Chance angeblich nur, weil er der Vereinsführung sagte, er wäre deutlich besser als der aktuelle Stammverteidiger und dessen Ersatz. Verbiest spielte in der Vorbereitung und eroberte sich seinen Stammplatz.

Seine Karrierewurde von Verletzungen, Geniestreichen und kleinen Skandalen dominiert. Für ein halbes Jahr wurde er gesperrt, nachdem er einem Schiedsrichter folgendes sagte: “Du bist nicht so intelligent, oder?”.Über die Medien ließ er auch verkünden, er sei besser als Henri Thellin, einem anderen Libero in der Liga. Einmal attackierte ihn auch eine Frau während des Spiels mit einem Schirm, worüber Verbiest nur herzhaft lachte.

In der Mannschaft war Verbiest allerdings sehr beliebt. Wenn er Feiern plante, fanden diese auch statt – unabhängig vom Trainer. Als dieser eine Partynacht verbieten wollte, überflutete Verbiest sämtliche Hotelbetten seiner Mitspieler. Diese mussten die Zimmer räumen und fanden sich gemeinsam im Foyer wieder. An Schlaf war nichtzudenken; Verbiests guter Freund Puis holte die Gitarre und man feierte so lange im Hotel, bis sie Trainer Sinibaldi wegschickte. Ähnlichen Einfluss hatte Verbiest auch auf dem Platz.

Als Sinibaldi bei einem Hinspiel im Landesmeisterpokal die Abwehr nach vorne schicken wollte, erwiderte Verbiest mit einem einfachen “Nein”.  Man solle jetzt die Null halten und im Rückspiel zuhause gewinnen, anstatt im türkischen Hexenkessel in einen Konter zu laufen. Gesagt, getan – das Rückspiel gewann Anderlecht mit 5:1, das Hinspiel endete 0:0. In der nächsten Runde sorgte Verbiest auch dafür, dass das Spiel nicht bestritten wurde, weil der Platz in keinem bespielbaren Zustand war. Anderlecht verlor 0:3 – und gewann zuhause 9:0.

Drei Wochenvordem Spiel in der nächsten Runde, gegen Real Madrid, verstarb Verbiest bei einem Autounfall. Er war nachdem Training zu schnell gefahren, um das Spiel zwischen Manchester United und Benfica im Fernsehen nicht zu versäumen…

Rene Maric, abseits.at

Rene Maric

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