Mexiko könnte bei dieser Weltmeisterschaft ein echter taktischer Farbtupfer werden. Die Mannschaft von Trainer Juan Carlos Osorio steht für Attraktivität und Dominanz bei eigenem... WM-Analyse Mexiko: Ein taktischer Leckerbissen mit Potential

Mexiko könnte bei dieser Weltmeisterschaft ein echter taktischer Farbtupfer werden. Die Mannschaft von Trainer Juan Carlos Osorio steht für Attraktivität und Dominanz bei eigenem Ballbesitz und verknüpft dies mit der notwendigen Systemflexibilität und Anpassungsfähigkeit. Sehr passend in diesem Kontext wirkt die zuletzt häufig praktizierte 3-3-3-1-Grundordnung mit einer Raute im Mittelfeld und hoch stehenden Flügelspielern. Die Facetten des Positionsspiels können dadurch besser akzentuiert werden und gegen tiefstehende Gegner verfügt man so über noch mehr Durchschlagskraft und Kombinationsoptionen.

Neben den unkonventionellen taktischen Überlegungen kommt ein sehr interessanter und flexibler Kader hinzu, der zweifellos über sehr viel Potential und Qualität verfügt, vor Turnierbeginn aber von Verletzungsproblemen geplagt wurde.

Die Mexikaner trugen im heurigen Jahr bereits sechs Testspiele aus. Die Bilanz ist ziemlich ausgeglichen. Drei Spiele konnten gewonnen werden, zwei davon gingen verloren und gegen Wales trennte man sich mit einem torlosen Unentschieden. Zu Jahresbeginn gewannen die Mexikaner gegen Bosnien-Herzegowina mit 1:0, das zweite Länderspiel im Jahr 2018 konnte gegen WM-Teilnehmer Island ebenfalls relativ klar mit 3:0 gewonnen werden. Es folgten eine 0:1-Niederlage gegen Kroatien und das angesprochene 0:0 gegen Wales, bevor man zunächst Schottland mit 1:0 besiegte und dann die Generalprobe mit 0:2 gegen Dänemark verlor.

Viel Erfahrung auf der Torhüterposition

Im Tor kann die mexikanische Auswahlmannschaft auf viel Erfahrung bauen. Alle drei Torhüter sind mittlerweile über dreißig Jahre alt und somit mit sehr viel Erfahrung ausgestattet. Dass Alter und Erfahrung auf der Position des Torhüters nicht unbedingt Nachteile sein müssen, wissen wir nicht erst seit Buffen und Co. Guillermo Ochoa dürfte dabei im Kampf um die Nummer eins etwas die Nase vorne haben. Der Keeper von Standard Lüttich hat bereits in Summe 90 Länderspiele (davon vier Einsätze bei Weltmeisterschaften) auf dem Buckel und kann vor allem mit starken Reflexen auf der Linie überzeugen. Auch fußballerisch kann er immer wieder, wenn auch nicht so konstant wie die derzeitigen Weltklasse-Torhüter, mit guten Abschlägen und einem sauberen Aufbauspiel überzeugen. Hinter Ochoa stehen mit Jesus Corona und Alfredo Talavera zwei noch erfahrenere Torhüter bereit, welche beide über ein solides Spiel auf der Linie verfügen und gute Reflexe zeigen.

Polyvalenz in der Verteidigung

Trainer Juan Carlos Osorio ist nicht nur in der Systemfrage und der Struktur offen und anpassungsfähig, er bevorzugt in seinen Reihen auch Spieler, die auf mehreren Positionen einsetzbar sind und während des Turnierverlaufes bzw. zwischen zwei Spielen die Positionen problemlos wechseln können. Das gilt auch für die Abwehrreihe, doch auch in diesem Mannschaftsteil musste Osorio einen schmerzhaften Ausfall hinnehmen. Der Innen- bzw. Halbverteidiger Araujo wird das WM-Turnier aufgrund einer Knieverletzung verpassen. Trotz dieses Ausfalles scheinen im Kader noch einige interessante Verteidiger auf, die vor allem auch die drei Positionen in einer Dreierkette gut ausfüllen und interpretieren können. So zum Beispiel der aus der deutschen Bundesliga bekannte Carlos Salcedo von Pokalsieger Eintracht Frankfurt. Auch unter Niko Kovac hat er bereits mehrmals auf der rechten Halbverteidiger-Position in einer Dreierkette gespielt und dort mit seiner starken Physis und Zweikampfstärke zu überzeugen gewusst. In diesem Konstrukt könnte Hector Moreno von Real Sociedad auf der linken Position des Halbverteidigers zum Zug kommen, wobei Moreno auch als zentrale Verteidiger in der Dreierkette bzw. als Innenverteidiger in einer Viererkette aufgestellt werden kann. Hugo Ayala und Oswaldo Alanis, der im Sommer zu Getafe wechseln wird, sind mehr die klassischen Innenverteidiger und gleichen den Mangel an Schnelligkeit mit einer guten Antizipation und Spieleinschätzung aus.

Interessante Spielertypen in einer noch interessanteren Mittelfeld-Struktur

In diesem Spielfeldbereich wimmelt es nur vor so Spielern, welche man sofort mit Kreativität, Spielwitz und technischer Klasse in Verbindung bringt. Aber auch mit einer gewissen Lockerheit im Verteidigungsverhalten, was grundsätzlich die große Unbekannte im Spiel der Mexikaner sein wird. Auf der alleinigen Sechserposition kam häufig der nominelle Innenverteidiger Diego Reyes vom FC Porto zum Zug, allerdings verletzte sich Reyes auch vor Turnierbeginn und konnte daher bis jetzt nur sehr eingeschränkt am Trainingsbetrieb teilnehmen. Ins Auge sticht bei der Durchsicht des mexikanischen Kaders natürlich der Name Rafael Marquez. Ja, den gibt es wirklich noch. Mittlerweile 39 Jahre alt und bei Atlas Guadalajara in der Heimat aktiv, aber körperlich noch immer in einem mehr als passablen Zustand. Auch Marquez ist ja grundsätzlich als Innenverteidiger bekannt, wurde von Osorio aber überwiegend auf der Sechserposition eingesetzt. Vor dem Sechser positionieren sich in der Regel im Zentrum noch drei weitere Spieler, zwei davon in ihren Rolleninterpretationen als Achter, einen als Zehner. Die klassische Ausrichtung eben wie in einer Mittelfeld-Raute. Andres Guardado von Betis Sevilla und Miguel Layun stehen diese Achterpositionen dabei besonders gut zu Gesicht, können aber genauso von Hector Herrera (FC Porto) und Erick Gutierrez eingenommen werden. Auf die Zehner-Position passt rein von seinem Spielbau her Marco Fabian von Eintracht Frankfurt sehr gut, genauso wie das ehemalige Supertalent Giovani dos Santos, der sich zuletzt allerdings ebenfalls mit einer Verletzung herumschlagen musste.

Ausreichend Optionen für die Flügelzonen

Auf den Flügelpositionen hat der mexikanische Nationaltrainer ebenfalls sehr viele Optionen und Variationsmöglichkeiten zur Verfügung, denn alle Spielertypen bringen eine etwas andere Interpretation und Note in die jeweils vorherrschende Struktur. Jesus Corona vom FC Porto (25 Jahre) und Jesus Gallardo von UNAM Pumas (23 Jahre) wären für die zwei Flügelpositionen in der 3-Raute-3 sehr interessante und offensiv durchschlagskräftige Varianten. Auch die Tempodribblings des 22-jährigen Hirving Lozano (PSV Eindhoven, Marktwert 22 Mio.) wissen zu überzeugen. Mit Carlos Vela hat Osorio noch einen Edeltechniker im Köcher, der theoretisch auch als Mittelstürmer bzw. als Achter aufgeboten werden kann. In Summe sind die Flügelpositionen ähnlich stark bzw. auf einem ähnlichen Niveau besetzt wie jene im zentralen Mittelfeld.

Augen sind im Sturm auf Raul Jimenez gerichtet

Raúl Jimenez, der Stürmer von Benfica Lissabon, gehört zu den wertvollsten Akteuren in den mexikanischen Reihen. Jimenez ist ein sehr kompletter Stürmer, der sich bisher in 61 Spielen für Mexiko 13-mal in die Torschützenliste eintragen konnte. Mit seinen 190cm Körpergröße ist er genau das Gegenstück zum kleinen und wendigen Chicharito, dessen Rolle im Vorfeld der WM noch nicht so recht klar war, in den Gruppenspielen und vielleicht darüber hinaus mit Sicherheit aber eine Rolle spielen wird.

Ein Trainer mit innovativen Ideen, in der Heimat aber nicht unumstritten

Das ist wohl das Schicksal von mutigen und unkonventionellen Trainern, die ihren eigenen Weg gehen und sich davon auch nicht beim ersten Rückschlag davon abbringen lassen. Seit seinem Amtsantritt 2015 steht Juan Carlos Osorio permanent in der Kritik und vor allem seine häufigen taktischen und personellen Wechsel werden kritisch beäugt. Der Kolumbianer ist mit seinen 57 Jahren ein erfahrener Mann, der in seiner Trainerlaufbahn schon etliche Mannschaften trainiert hat, darunter waren aber ausschließlich Vereinsmannschaften. In seiner Vita stechen die Engagements bei den Red Bulls New York zwischen 2007 und 2009 sowie seine letzte Station beim FC Sao Paulo in Brasilien. Es wird spannend zu beobachten sein, ob und wie er seine mutigen Ideen bei einem Großereignis umsetzen wird.

Die abseits.at Einschätzung

Mexiko hat mit Sicherheit das Potential, den zweiten Platz in der Gruppe hinter Deutschland zu erobern. Allerdings würde dann als Gruppenzweiter in einem möglichen Achtelfinale Brasilien warten, die einen bedeutend stärken Eindruck machen als noch vor vier Jahren bei ihrer Heim-WM. Ein Weiterkommen gegen dieses brasilianische Team wäre eine absolute Sensation, deshalb wird das erste Spiel gegen Deutschland schon einen vorentscheidenden Charakter haben. Nichtsdestotrotz werden die Mexikaner bei dieser Weltmeisterschaft aus taktischer Sicht ein echter Hingucker sein.

Sebastian Ungerank

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