Eine Waffe im Strafraum zu sein ist etwas völlig Anderes, als mit einer Waffe bedroht zu werden. Das weiß Terrence Boyd seit einem bestimmten... Anekdote zum Sonntag (184) – Sturmgewehr gegen Stürmer

Eine Waffe im Strafraum zu sein ist etwas völlig Anderes, als mit einer Waffe bedroht zu werden. Das weiß Terrence Boyd seit einem bestimmten Abend vor rund zehn Jahren nur zu gut. Als Spieler präsentiert sich der Offensive bis heute in manchen Matches gefährlich wie ein Sturmgewehr und das obwohl er selbst zugibt, dass seine Ballbehandlung eher hölzern ist. Als er jedoch während seines Engagements in Wien abseits des Fußballplatzes in den Lauf eines solchen Präzisionsgewehres blicken musste, stockte dem Deutsch-Amerikaner der Atem. Bis heute hat er nicht vergessen, was damals passiert ist.

Erst als 18-jähriger machte Boyd zaghafte Schritte Richtung Profifußball, indem er in die Jugend von Hertha BSC wechselte. „Ich habe das Handwerk leider nie richtig erlernt, weil ich zu spät ernsthaft Fußball gespielt hab. Also habe ich bis heute keine gute Technik, aber ich war hungrig.“, erinnert sich der gebürtige Bremer an diese Zeit. Über die zweite Mannschaft von Borussia Dortmund kam Boyd 2012 zu Rapid Wien, wo dem 1,88 Meter großen Stürmer der Durchbruch gelang. „Es war eine wunderschöne Zeit.“, resümierte der vierzehnfache Nationalspieler seine zwei Jahre in Wien, auch wenn er im Frühling 2013 von sechs WEGA-Beamten kurzfristig Besuch bekam. Was war passiert?

Am 27. April 2013 hatte Boyd mit Rapid das Heimspiel gegen Salzburg verloren und versuchte diese Niederlage am nächsten Abend mit ein paar Flaschen Bier zu vergessen. Der US-amerikanische Teamspieler entspannte mit vier Freuden auf der Terrasse seiner großzügigen Wohnung irgendwo in Wien. Es war ein schöner Abend; der Himmel blau-rosa, die Temperaturen mild. Aus dem Verstärker dröhnten Hip-Hop-Beats, der Griller heizte auf und die fünf jungen Männer lümmelten in bequemen Outdoor-Möbeln herum und führten Schmäh. Nahe der Terassentür lag verhängnisvollerweise eine Softgun, eine Druckluftwaffe, die der Hausherr gerne frühmorgens benutzte, um die gurrenden Tauben zu vertreiben. Nicht gerade tierfreundlich von Mister Boyd, doch der Rapid-Stürmer wollte sich seinen Schönheitsschlaf nicht jeden Tag von den „fliegenden Ratten“ rauben lassen. Nachdem die ersten Bierflaschen ausgetrunken waren, kam schließlich, was kommen musste: Einer von Terrence‘ Kumpels entdeckte die Airsoftwaffe und schickte sich an einige Kunststoffkugeln in den Innenhof abzufeuern. Die jungen Männer hantierten lachend mit der täuschend echt aussehenden Pistole. Keiner von ihnen rechnete mit den Folgen, die dieser Zwischenfall haben sollte.

„Wir haben gerade die Hühnerfilets auf den Grill gelegt, da hörten wir lautes Klopfen an der Tür: ‚Polizei, sofort aufmachen!‘“, erinnerte sich Boyd an jenen Moment, der das lustige Zusammensein schlagartig unterbrechen sollte. Der Rapid-Kicker beugte sich über das Geländer der Terrasse der Maisonette und sah im Gang des Hauses vermummte Männer mit Sturmgewehren vor seiner Wohnungstüre stehen. Von einer Sekunde auf die andere fühlte er sich wieder nüchtern: Boyd hastete die Treppe hinunter und öffnete mit schlotternden Knien die Türe: Als er in sechs Gewehrzielläufe blickte, wurde ihm ganz anders. Die Beamten drückten den Sportler sofort an die Wand, klopften ihn ab und fragten ohne Umschweife: „Wo ist die Waffe?“ Boyd erwiderte: „Ich habe keine Waffe. Was denn für eine Waffe?“ Die Polizisten ließen nicht locker: „Die Waffe, die ihr auf der Terrasse herumgezeigt habt!“ „Das ist nur eine Softgun!“, keuchte der Angreifer.

Wie im Actionfilm durchsuchten die österreichischen Elitepolizisten trotzdem die Wohnung, sicherten jeden Raum und kontrollierten Terrence‘ Freunde, ehe sie Entwarnung durchfunkten: „Falschmeldung!“ Die Stimmung entspannte sich, als die WEGA-Einheit Boyd erzählte, sie hätten einen Hinweis aus der Nachbarschaft erhalten, dass mehrere Männer mit einer Waffe auf der Terrasse stünden, weswegen sie gezwungen waren in voller Montur anzurücken. Boyd und seine Freunde präsentierten den Sicherheitsorganen die Softgun und beteuerten, dass niemand zu Schaden gekommen war. Die Polizisten zeigten daraufhin Verständnis. Einer von ihnen klopfte dem Ex-Hertha-Kicker auf die Schulter und wünschte ihm viel Glück für das kommende Match gegen Sturm. Bevor die WEGA-Beamten jedoch die Wohnung verließen, bat Boyd sie noch um Diskretion: „Es wäre super, wenn die Geschichte nicht bekannt würde.“ Die Polizisten winkten ab und meinte, der Einsatz würde natürlich intern bleiben.

Schleckerbatzl! Kurz nach dem Aufwachen am nächsten Morgen, schaltete Boyd sein Handy ein und sah – zu seinem Entsetzen – tausende Nachrichten eintrudeln. Bald rief ihn auch Rapids Pressesprecher Peter Klinglmüller an: „Was hast du gemacht? Schau mal in die Zeitung!“, schnauzte dieser den Profi an. Der Stürmer checkte die Internet-Schlagzeilen und musste reißerische Überschriften à la „Schüsse bei Rapid-Spieler“ lesen. Auch in den sozialen Netzwerken machte die Geschichte vom Vorabend bereits die Runde. So viel zum Thema Diskretion.

Als Boyd schließlich zum SCR-Training im Prater anrückte, empfingen ihn der damalige Rapid‑Sportdirektor Schulte und der (heute wieder) Rapid-Trainer Barišić mit einer deftigen Standpauke. Der Verein brummte dem damals 22-jährigen eine Geldstrafe in Höhe von 6.000€ auf. Klinglmüller erklärte gegenüber den Medienvertretern: „Boyd hat eine wichtige Vorbildwirkung und das war einfach nicht okay.“ Damit war die Sache für die Hütteldorfer gegessen, doch Terrence sollte den Abend bis heute in Erinnerung behalten: „Ich habe mir damals fast in die Hose gemacht: Wenn man plötzlich in den roten Laser eines Gewehres schaut, ist das einfach nicht cool.“ Die Autorin dieser Zeilen kann ihm da nur beipflichten; auch wenn sie selbst eines Abends „nur“ von einer einfachen Streife heimgesucht wurde, weil aus ihrer Wohnung angeblich Hilfeschreie zu hören waren. Sie weiß seither auch, dass es nie „cool“ ist, wenn plötzlich die Polizei vor der Türe steht.

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag