Während Profifußballer seit dem Bosman-Urteil meistens nur mehr für kurze Zeit bei ihren jeweiligen Arbeitgebern andocken, sind die „sonstigen Mitarbeitern“ – die kleinen und... Anekdote zum Sonntag (209) – Straight outta Waldviertel

Während Profifußballer seit dem Bosman-Urteil meistens nur mehr für kurze Zeit bei ihren jeweiligen Arbeitgebern andocken, sind die „sonstigen Mitarbeitern“ – die kleinen und großen Rädchen im Getriebe – oft diejenigen, die Klubs für lange Zeit prägen. Beim SK Rapid gab es beispielsweise eine Gaby Fröschl, die die administrative Arbeit im Hintergrund schupfte und die Hütteldorfer nach dem Aktiendesaster vor dem Zusammenbruch bewahrte. Ein anderer langdienender Mitarbeiter, der die grün-weiße Vergangenheit entscheidend mitgestaltete und dabei auch im Fokus stand, war Andy Marek: Der Moderator war – wie an dieser Stelle schon oft berichtet wurde – viel mehr als nur die „Stimme Rapids“. Als „Baumeister des grün-weißen Hauses“ schuf der gebürtige Niederösterreicher mit dem Klubservice eine wichtige Verbindung zwischen Verein und Fans. Angefangen hat Andy bei Rapid aber „nur“ als Stadionsprecher. Heute wollen wir von seinem „Bewerbungsgespräch“ erzählen, bei dem er gleich ins kalte Wasser geschmissen wurde:

Marek war zwar schon als Bub Rapid-Fan, seine wahre Passion galt allerdings der Musik: Andy hatte von Kindesbeinen an den Traum Sänger zu werden und sammelte erste Erfahrungen bei den Altenburger Sängerknaben. Als Twen tingelte er als DJ und Entertainer durch die Wiener Lokalszene, ehe die Pflicht rief und Marek – nach dem plötzlichen Tod seines Vaters – den familiären Textilbetrieb übernehmen musste. Dank seines Ehrgeizes werkte er auch in diesem Bereich sehr erfolgreich. Die Tage des 1962 Geborenen waren vollständig ausgefüllt, trotzdem sollte er seinem Leben an einem heißen Sommertag im Jahr 1992 eine neue Wendung geben:

Der spätere SCR-Mitarbeiter saß damals im Wiener Modecenter, wo er neue Stücke für seine Geschäfte einkaufte, und blätterte – während er auf einen Verkäufer wartete – gelangweilt in einer Illustrierten, die zur freien Entnahme herumlag. Als er sich mit mäßigem Interesse durch die Kleinanzeigen wühlte, stach ihm plötzlich eine Schlagzeile ins Auge „Stadionsprecher gesucht – SK Rapid Wien“. War es Schicksal? Marek schoss nur ein Gedanke durch den Kopf: Das mache ich! Aufkeimende Skepsis wischte der damals 30-jährige mit Handlungsschnelle weg: Denn, ehe er zweifeln konnte, riss er ruckzuck die Kleinanzeige mit dem festen Vorsatz, die angegeben Telefonnummer zu wählen, aus der Zeitschrift.

Nachdem er seine Einkäufe erledigt hatte, ging der Textilkaufmann also zum nächsten Münzsprecher und wählte mit klopfendem Herzen die angegeben Telefonnummer. Am anderen Ende der Leitung meldete sich Franz Binder junior, der im Oktober ’23 plötzlich verstorbene Sohn des legendären Hütteldorfer Kanoniers, der damals als Geschäftsführer des Rekordmeisters tätig war. Marek stellte sich vor und sagte, er rufe wegen der Anzeige an. Binder unterbrach ihn: „Sie wollen Stadionsprecher werden? Dann müssen Sie sofort vorbeikommen!“ Huch – das ging aber schnell! Marek wunderte sich: „Jetzt gleich?“ „Ja.“, beharrte Binder hörbar ungeduldiger. Andys Neugier war größer als seine Angst: Er willigte ein, legte auf und hastete zu seinem Auto.

Vor dem Haupteingang der Südtribüne des alten Hanappi-Stadions wartete Franz Binder schon auf den spontanen Jobanwärter: Er reichte Marek zunächst seine rechte Hand und dann ein Mikrofon. „Sie haben angerufen, oder? Gut, dass Sie so schnell gekommen sind. Wir haben heute nämlich ‚Tag der offenen Tür‘ und da können Sie auf der Bühne gleich zeigen, was Sie können!“ Marek war baff: Er hätte mit vielem gerechnet, aber nicht damit. Ferngesteuert ergriff er das Mikrofon. Tausend Gedanken schossen ihm durch den Kopf, als er dem Rapid-Geschäftsführer in den Kabinentrakt folgte: Hier im ehrwürdigen Stadion, wo sein geliebter SK Rapid spielte, sollte er sich nun vor tausenden Grün-Weißen beweisen. Andy begann zu schwitzen. Schnurstracks führte ihn Binder bis zum Vorplatz der damaligen Westtribüne, wo er ihm einen Zettel überreichte: „Da stehen alle Spielernamen drauf, die können Sie dann durchsagen. Jetzt reden’s einmal und zeigen’s was Sie können!“ Fieberhaft ratterte Mareks Gehirn auf der Suche nach einer passenden Begrüßung. Binder öffnete die Türe nach draußen und plötzlich fand sich der niederösterreichische Unternehmer vor rund 7.000 Rapidler:innen auf einer improvisierten Mini-Bühne wieder.

Gott sei Dank hatte Marek bis dahin schon genügend Bühnenluft geschnuppert, sodass ihn die Menge nicht einschüchterte: Andy holte tief Luft und sagte folgende legendäre Worten: „Grüß Gott meine Damen und Herren! Ich heiße Andy Marek und komme aus dem Waldviertel und ich möchte gerne Stadionsprecher bei Rapid werden!“ Das Publikum johlte: Das war was! Ein (vermeintlicher) Hinterwäldler beim traditionsreichen Hauptstadtklub – na das hatte ihnen noch gefehlt. Sie lachten Marek aus, doch diesen spornte das Gespött nur an: In Bruchteilen von Sekunden hatte er sich einen Plan zurechtgelegt und bat zunächst den damaligen Rapid-Trainer Starek auf die Bühne. Start des Interviews war eine Anekdote, die Andy kürzlich in der Zeitung über den „schwarzen Gustl“ gelesen hatte. Es ergab sich ein lockeres Plaudern. Danach sprach Marek mit Neuzugang Kühbauer und Fanliebling Jan-Age Fjørtoft. Nachdem der Ex-Entertainer sämtliche Spielernamen verlesen hatte, war die Feuertaufe auch schon wieder vorbei.  „Ich hoffe, ich habe Sie überzeugt und würde mich freuen, der nächste Stadionsprecher zu werden.“, stieß Andy noch hervor, ehe er sich verabschiedete und das Nachlassen des Adrenalins die ganze Wucht des Erlebnisses für ihn spürbar machte.

Wenig später wusste er, dass er die grün-weiße Community ausreichend beeindruckt hatte: Franz Binder teilte ihm mit, dass er der neue Rapid-Stadionsprecher war. Niemand ahnte damals, dass Andy Marek noch 599 weitere Male „Grüß Gott, meine Damen und Herren, liebe Rapid-Fans!“ vor den Heimspielen der Hütteldorfer sagen sollte. Dass er aus dem Waldviertel stamme, fügte Andy aber in Zukunft nicht mehr hinzu. Trotzdem ließ ihn das nördliche Niederösterreich nie los: In seinen 27,5 Jahren bei Rapid pendelte der Ex‑Textilunternehmer jeden Tag von seinem Haus in Groß-Siegharts nach Wien-Penzing. Man konnte das Waldviertel weder aus Andy Marek noch Andy Marek aus dem Waldviertel bringen.

Marie Samstag