Anfangs haben die wenigsten mitbekommen, was da eigentlich im Parken zu Kopenhagen kurz vor dem Pausenpfiff wirklich passierte. Plötzlich lag Christian Eriksen am Boden... Kommentar: Eriksens Herzstillstand, Voyeurismus und Doppelmoral

Anfangs haben die wenigsten mitbekommen, was da eigentlich im Parken zu Kopenhagen kurz vor dem Pausenpfiff wirklich passierte. Plötzlich lag Christian Eriksen am Boden und war offenbar ohnmächtig geworden. Mit geöffneten Augen lag der dänische Superstar da und benötigte sofort medizinische Betreuung. Das Bild, als die Rettungskräfte begannen, eine Herzdruckmassage an Eriksen durchzuführen, wird sich ins kollektive Gedächtnis von Fußballfans weltweit einbrennen. Die Reaktion der TV-Regie der UEFA, sowie zahlreicher nationaler TV-Stationen sorgt aber nun zurecht für große Kritik – und ist leider wieder einmal das Zeugnis für eine inakzeptable Doppelmoral.

Gerade was die ersten Minuten der gestrigen Tragödie rund um Christian Eriksen betrifft, muss man Regien und TV-Stationen noch in Schutz nehmen. Die Situation hatte allen Menschen, die auch nur irgendetwas mit diesem Spiel zu tun hatten, alles abverlangt und wurde womöglich nicht von allen sofort verstanden. Die Szene wirkte so surreal, dass man gerade zu Beginn niemandem einen Vorwurf machen darf, wie die weitere Berichterstattung ablief. Erst als man sah, dass Christian Eriksen in jener Spielfeldecke des Parken, im Blickfeld tausender Zuschauer reanimiert wird, war allen Beobachtern das Ausmaß des Notfalls klar.

Und genau ab hier darf Kritik beginnen. Allem voran an der TV-Regie der UEFA, aber auch an Fernsehanstalten, die die Privatsphäre und Persönlichkeitsrechte von Eriksen und seiner Familie mit Füßen traten. Es braucht nicht noch einen Schwenk auf den medizinischen Einsatz, mit dem Millionen Fußballfans vor den Fernsehschirmen sehen, wie der Elektroschock aus dem Defibrillator Eriksens Körper erzittern lässt. Es brauchte keine Superzeitlupen-Wiederholung vom Moment, als Eriksen ohne ersichtlichen Grund in sich zusammensackte und auch keine „Analyse“ dieser Szene. Und schon gar nicht brauchte es die boulevardesken Szenen rund um die völlig schockierte Frau von Christian Eriksen, die in jenem Moment wohl nichts weniger brauchte, als Öffentlichkeit.

Man muss es schon noch einmal betonen: Ja, Einzelne haben gut und pietätvoll auf diese Situation reagiert. So etwa die junge ORF-Kommentatorin Anna-Theresa Lallitsch, die in ihrem allerersten Live-Spiel als Kommentierende keine schwierige Aufgabe hätte erwischen können und dennoch ruhig und unaufgeregt blieb, verstand, dass es nun keinerlei Kommentar brauchte. Dasselbe trifft auch auf die Moderatorin und Experten im ORF-Studio zu, wenngleich es die medizinischen Diskussionen wohl auch nicht gebraucht hätte. Dennoch, Verständnis, irgendwie muss man schließlich weitermachen und dass da in so einer Lage auch teils entbehrliches, lückenfüllendes Blabla dabei ist, muss man angesichts der Brisanz verstehen. Wir sind alle nur Menschen.

Was die UEFA allerdings mit ihrer Bildregie veranstaltete spottete jeder Beschreibung. Immer wieder hielt man auf Eriksen, auf seinen Überlebenskampf, schließlich auch noch auf seine Frau. Sensationsgeilheit und Voyeurismus in Reinkultur. Vor allem, wenn man sich vor Augen hält, welche Policy ebendiese UEFA sonst so verfolgt: Gibt es einen Platzsturm, so wird schnell fröhliche Publikumsemotion gezeigt, um den Sponsoren diese „unschönen“ Szenen zu ersparen. Handelt es sich gar um eine Platzstürmerin wird alles daran gesetzt, dass man im familienfreundlichen UEFA-Programm mit keinem Nippel konfrontiert wird. Pyrotechnik und Spruchbänder, Kritik an Sponsoren oder der Geschäftsgebarung des europäischen Verbands werden ausgeblendet, als wäre all das nicht Teil der Realität im Soziotop Fußball oder von öffentlichem Interesse. Aber wenn ein Spieler, noch dazu ein sehr populärer, auf dem Feld um sein Leben kämpft, dann sehen die Verantwortlichen dies offenbar sehr wohl als Situation öffentlichen Interesses. Nicht nur eine Nachricht von Freund*innen trudelte gestern auf WhatsApp ein, in der es hieß, dass der Fernseher abgedreht werden musste, um diese Szenen den eigenen Kindern zu ersparen.

Und auch die Fernsehstationen stehen in der Pflicht. Es stand jeder Redaktion frei, die Geschehnisse im Parken im Stillen zu verfolgen und mit möglichst kühlem Kopf abzuwiegen, wie man mit der Sache umgeht. Möglichst schnell zurück ins Studio zu schalten und die ethischen Gründe hierfür klar zu argumentieren, wäre die richtige Herangehensweise gewesen. In Zeiten von Twitter, Facebook und Co. ist es für diejenigen, die sich am Todeskampf eines Menschen ergötzen wollen, sehr einfach, sich das Material zu „besorgen“. Aber es wäre die Chance für Broadcaster gewesen, sich klar gegen die verrückten, doppelmoralischen Wert- und Prioritätsvorstellungen der UEFA zu stellen. Das geschah – so denke ich – gestern in den allermeisten TV-Stationen der Welt nicht konsequent genug.

(Daniel Mandl)

Daniel Mandl Chefredakteur

Gründer von abseits.at und austriansoccerboard.at | Geboren 1984 in Wien | Liebt Fußball seit dem Kindesalter, lernte schon als "Gschropp" sämtliche Kicker und ihre Statistiken auswendig | Steht auf ausgefallene Reisen und lernt in seiner Freizeit neue Sprachen